Marc-André ter Stegen hat es leider nicht geschafft: Bei der Wahl zum Welttorhüter des Jahres 2019 musste der deutsche Nationaltorwart Alisson, dem brasilianischen Schlussmann des FC Liverpool, den Vortritt lassen. Gewonnen hat trotzdem ein „Deutscher“. Denn die Vorfahren des Deutsch-Brasilianers stammen aus dem St. Wendeler Land. Sein Vater spricht sogar heute noch Deutsch.
Was für eine Saison für Alisson: Im Sommer 2018 wechselte er für über 60 Millionen Euro von der Roma zum FC Liverpool und wurde so zum teuersten Torwart der Welt. Im Juni gewann er mit den „Reds“ gleich im ersten Anlauf die Champions League – den bedeutendsten Wettbewerb im Vereinsfußball (wir berichteten). Im Juli schnappte sich Alisson mit der brasilianischen Seleção die Copa América. Und gestern gab es für Alisson nun das Sahnehäubchen auf das erfolgreichste Jahr seiner Karriere: Der brasilianische Nationaltorwart wurde erstmals zum Welttorhüter gewählt. In der Abstimmung setzte sich der 26-Jährige gegen Marc-André ter Stegen vom FC Barcelona und gegen seinen Landsmann Ederson von Manchester City durch.
Alisson Beckers Vorfahren stammen aus Primstal
Der meist nur „Alisson“ genannte Brasilianer heißt mit vollem Namen Alisson Ramsés Becker und hat Vorfahren aus dem Schaumberger Land. Sie lebten über Jahrhunderte in dem Ort Mettnich, der seit 1930 zu Primstal gehört. Aufgrund seiner Herkunft hatte Alisson sogar mal einen deutschen Pass beantragt. Diesen erhielt er jedoch nicht, da die deutsche Staatsbürgerschaft lediglich bis zur dritten, im Ausland lebenden Generation vergeben wird. Alisson lebt aber bereits in der sechsten Generation in Brasilien.
Ururur-Großeltern wanderten 1828 nach Brasilien (Rio Grande do Sul) aus
Seine Ururur-Großeltern Nikolaus Becker (1798-1860) und Angela Becker geb. Krämer (1806-1874) kamen noch in Mettnich zur Welt und wanderten 1828 nach Brasilien aus. Ab den 1820er-Jahren waren viele Deutsche gezielt zur Besiedlung der Grenzregion im Süden des Landes angeworben worden. Nach der Überquerung des Atlantiks mit dem Segelboot trafen sie am 17. Dezember 1828 in Rio de Janeiro ein. Von dort aus reisten sie weiter in den Bundesstaat Rio Grande do Sul, der sich im Süden Brasiliens befindet und Zentrum der deutschen Einwanderung war. 1829 heirateten Alisson Beckers Ururur-Großeltern in der erst fünf Jahre zuvor gegründeten deutschen Kolonie São Leopoldo (Colonia Alemã de São Leopoldo). Sie bekamen zehn Kinder.
Nikolaus Becker gilt als Gründer der Lederindustrie in Novo Hamburgo
Nur wenige Kilometer nördlich von São Leopoldo (heute 230.000 Einwohner) entwickelte sich eine weitere Siedlung mit dem Namen „Hamburger Berg“, die heute Kern der Stadt Novo Hamburgo (Neu-Hamburg) ist. Die meisten Siedler stammten – wie auch Alissons Vorfahren – aus dem nördlichen Saarland und dem Hunsrück. Alissons Ururur-Großvater Nikolaus Becker gründete hier die erste Gerberei und Sattlerei in der Region und gilt daher auch als Gründer der Lederindustrie in Novo Hamburgo. Die Stadt wurde zu einem Zentrum der Leder- und Schuhindustrie. Die 250.000-Einwohnerstadt bezeichnet sich heute als „Hauptstadt des Schuhs“. Alisson Beckers Vater, der 56-jährige José Agostinho Becker, arbeitet bis heute in der Schuhindustrie. An den Pionier Nikolaus Becker erinnert in Novo Hamburgo heute noch eine der Hauptstraßen der Stadt: Die „Avenida Nicolau Becker“.
Vater und Oma sprechen heute noch Deutsch
Alisson Becker wurde 1992 in Novo Hamburgo geboren. Sein Vater und seine 94-jährige Oma sprechen heute noch Deutsch. Laut Alisson erinnert in seiner Heimat vieles an Deutschland: „Die Architektur, die Kultur, die Feiern – auch wir haben ein Riesen-Oktoberfest.“ Vom SC Internacional in Porto Alegre wechselte er 2016 in die Ewige Stadt zu AS Rom, wo er – obwohl er selbst kein Deutsch spricht – dennoch „il tedesco“ („der Deutsche“) genannt wurde.
Familie und Glaube sind ihm wichtig
Kraft geben Alisson seine Familie und der Glaube an Gott. Bei der Übergabe des Champions-League-Pokals trug er ein T-Shirt, auf dem auf dem zwischen einem Kreuz und einem Herzen ein Gleichheitszeichen abgebildet war. Um ein großer Torhüter zu werden, sei neben harter Arbeit und Fokussierung auch der Glaube wichtig, so der bekennende Katholik.
Seit 2015 ist er mit der Ärztin Dr. Natália Loewe Becker verheiratet. Mit ihr hat er eine zweijährige Tochter und einen Sohn, der im Juni geboren wurde.
Felipe Kuhn Braun, Mitglied im Stadtrat von Novo Hamburgo, der eine Tante und einen Onkel des Keepers persönlich kennt, beschreibt Alisson gegenüber wndn.de als Familienmenschen: „Er hält einen engen Kontakt zu den Tanten, Onkeln und weiteren Verwandten in Novo Hamburgo.“
„Jahrhundertereignis“ für Primstal
Kontakt nach Primstal, der Heimat seiner Vorfahren, hat Alisson Becker keinen mehr. Alwin Arm, der Vorsitzende des VfL Primstal, freut sich trotzdem für Becker: „Natürlich sind wir als Verantwortliche des VfL Primstal sehr stolz und überglücklich, dass Becker diesen großen Titel einheimsen konnte!“
Dass ein Spieler, der seine Wurzeln in Primstal hat, zum Welttorhüter gewählt wird, sei für sie „ein echtes Jahrhundertereignis“. Und natürlich würden sie sich freuen, wenn der berühmte Sohn oder besser gesagt der berühmte Urururur-Enkel eines Tages mal in Primstal vorbeischauen würde, um die Heimat seiner Vorfahren kennenzulernen. Der Vorsitzende des Saarlandligisten verspricht: „Wir würden ihm selbstverständlich einen gebührenden Empfang bereiten, den er nie vergessen würde!“
Zur Information:
Der FIFA-Welttorhüter ist eine Auszeichnung, die seit 2017 jährlich durch den Weltverband FIFA an den besten Fußballtorhüter verliehen wird. Bei der Premiere siegte der Italiener Gianluigi Buffon. Letztes Jahr gewann der belgische Nationaltorwart Thibaut Courtois.
Bereits seit 1987 verleiht die IFFHS (International Federation of Football History & Statistics), eine internationale Vereinigung von Fußballstatistikern, den Titel des Welttorhüters. Der erste Welttorhüter war 1987 der Belgier Jean-Marie Pfaff vom FC Bayern München. 1996 wurde Andreas Köpke als erster Deutscher zum Welttorhüter gekürt. Oliver Kahn wurde dreimal (1999, 2001, 2002), Manuel Neuer sogar viermal (2013-2016) ausgezeichnet. Rekordsieger mit fünf Ehrungen sind Gianluigi Buffon (2003, 2004, 2006, 2007, 2017) und der Spanier Iker Casillas (2008-2012).