Abdulrahman Al Mutwia ist seit dem Frühjahr 2016 im Saarland. Zusammen mit seinen Eltern und einigen Geschwistern kam der gebürtige Syrer aus Saudi-Arabien, wo seine Eltern als Ärzte tätig waren und aufgrund einer Gesetzesänderung ihre Anstellungen verloren. Der Krieg in Syrien verhinderte eine Rückkehr in die Heimat, sodass sich die Familie auf dem Weg nach Norden machte. In St. Wendel waren zuvor bereits einige Familienmitglieder angekommen, sodass das Saarland zum Ziel ihrer Odyssee wurde.
In wenigen Jahren lernte der heute 20-jährige die Sprache seines Gastlandes in Bravour, so dass er nicht nur an der Gemeinschaftsschule Marpingen im Sommer 2022 das Abitur ablegen konnte, sondern seitdem auch als Integrationshelfer für Flüchtlingskinder an seiner Schule arbeitet. „Ich versuche, ihnen Grundkenntnisse der deutschen Sprache zu vermitteln“. Er verstehe sehr gut ihre Situation, aus der vertrauten Umgebung gerissen zu sein und nun in einer fremden Kultur mit anderer Sprache und Schrift klarkommen zu müssen. Das helfe, eine Beziehung aufzubauen. Darüber hinaus arbeitet er seit dem Sommer 2022 auch über das Chancenwerk und das Programm „Aufholen nach Corona“ in der allgemeinen Lernförderung der Schule. Zum Sommersemester wird er zusammen mit seiner Freundin Emily, die er an der Gemeinschaftsschule Marpingen kennengelernt hat, an die Universität Trier wechseln um dort Informatik und Mathematik für das Lehramt zu studieren. Kurz vor seinem Umzug nach Trier stellte er sich den Fragen der Schülerinnen und Schülern der Klassenstufe 11 und sich selbst mit seinem so ungewöhnlichen wie bemerkenswerten Lebensweg vor.
Der aufgeschlossene junge Mann ist gläubiger Muslim. Im Mittelpunkt stehe für ihn die Ethik und der Umgang mit Mitmenschen: „Islam heißt für mich zuallererst, Respekt vor Allah und den Menschen zu haben, höflich und zuvorkommend zu sein und andere in ihrer Würde zu achten“, erklärt er mehrmals und berichtet, dass er nach der Ankunft im Saarland ebensolchen Respekt erfahren habe. „Ich hatte Glück, auf Lehrerinnen, Lehrer und Mitschüler:innen zu treffen, die mich aufgenommen haben“, fährt er in seinem freien Vortrag vor den 16-17jährigen fort. Er habe sich daher immer auf die Schule gefreut und gleich viele gute Freunde gefunden, die ihn in schwierigen Situationen unterstützten. Andere, die mit ihm im Aufnahmelager in Lebach waren, hätten andere Erfahrungen gemacht und er versteht auch, warum es zuweilen zu Problemen komme. „Wenn ich mit meiner Mutter unterwegs bin, die ein Kopftuch trägt, werden wir des Öfteren mit Vorurteilen und Beleidigungen konfrontiert“, berichtet er auf die Rückfragen der Schüler. „Als ich jünger war, hat mich das wütend gemacht“. Heute stehe er darüber, weil er wisse, dass solche Äußerungen von Leuten kommen, die entweder keine Ahnung oder selbst Probleme hätten. „Es lohnt nicht, sich über so etwas aufzuregen.“ Kein Verständnis hat er, wenn sich andere Araber danebenbenehmen und Regeln nicht beachten „Das widerspricht allem, was ich von meiner Familie gelernt habe.“
„Rassismus hat“, so seine Antwort auf die Frage aus der Klasse, „immer zwei Seiten und ist eine heilbare Krankheit. Das Gegenmittel ist Wissen“, und er verweist auf Albert Einstein: „More the knowledge lesser the ego and vice versa“, zitiert er ihn auswendig. Je größer das Wissen oder vielmehr die Weisheit, umso weniger muss man sein eigenes Ego in allen Situationen durchsetzen wollen. Ihn hat das Wissen gelassener gemacht und gleichzeitig dankbar, dass er hier die Möglichkeit bekommt, sein Leben so zu leben, wie er es möchte. „In Saudi-Arabien gab es täglichen Rassismus auch von Seiten des Staates. Wir waren dort Ausländer und hatten nur wenige Rechte oder konnten diese oft nicht durchsetzen.“ Er sieht es als großen, positiven Unterschied, dass er in Deutschland eben diese Menschenrechte habe und von vielen (wenn auch nicht unbedingt von allen) respektiert werde. Neu war für ihn die Bürokratie und vieles in der Kultur, allem voran, dass Mädchen und Jungen gemeinsam von Lehrern und Lehrerinnen unterrichtet werden. „Anfangs fand ich das befremdlich, weil ungewohnt, doch jetzt finde ich es weitaus besser als die strikte Trennung in meiner Kultur“, fährt er fort.
Die Schülerinnen und Schüler lauschten aufmerksam dem Vortrag des jungen Mannes, der lediglich drei Jahre älter war als sie. Selbstkritisch merkt er an, dass er sich nun auch etwas stärker mit der deutschen und europäischen Geschichte und der Politik beschäftigen müsse. Er sei eben eher der naturwissenschaftliche Typ. Aber für sein Einbürgerungsantrag wolle er sich auch in der Vergangenheit und der Gegenwart seiner neuen Heimat auskennen. Seine Aufgeschlossenheit hat ihm geholfen, sich schnell zu integrieren, doch ohne die Offenheit der Schule und der Mitschüler:innen wäre er vielleicht gescheitert. Er will nun etwas von diesem Glück zurückgeben und Lehrer werden. „Doch ehe ich es vergesse“, meint er augenzwinkernd“, eine Sache sei hier in Mitteleuropa mehr als gewöhnungsbedürftig“. Und er wisse nicht, ob er sich hieran irgendwann einmal gewöhnen könne: Das Wetter.