Die Weihnachtszeit am Ende eines Jahres gibt Gelegenheit, auf die Geschehnisse eines Jahres zurückzublicken und sich mit Fragen des christlichen Glaubens zu beschäftigen.
Ein Ereignis, das in diesem Jahr für große mediale Aufmerksamkeit sorgte, war die Ermordung des US-Republikaners Charlie Kirk. Der bis dahin in Deutschland den meisten Bürgern unbekannte politische Aktivist und Podcaster war am 10. September auf dem Campus der Utah Valley University auf einer Diskussionsveranstaltung getötet worden. Der Gründer der politischen Jugendorganisation „Turning Point USA“ war gerade dabei, vor tausenden Zuschauern die Frage eines Studenten zu beantworten, als der mutmaßliche Täter Tyler Robinson ihn mit einem gezielten Schuss in den Hals vor laufender Kamera aus dem Leben riss. Der 31-Jährige hinterlässt eine Ehefrau und zwei kleine Kinder im Alter von drei Jahren und einem Jahr.
Die heimtückische und kaltblütige Tat sorgte sowohl in den USA als auch international und in Deutschland bei vielen Menschen für Entsetzen. Unzählige Menschen reagierten aber insbesondere in den Sozialen Medien auch mit Freude auf das Attentat und feierten den Mord. In diesem Beitrag soll es aber weder um diese Reaktionen noch um eine politische Einordnung des Wirkens von Charlie Kirk, sondern um etwas anderes gehen: Um die Reaktion seiner Witwe Erika.
„Dieser junge Mann…Ich vergebe ihm!“
Schier untragbares Leid muss sie ertragen: Die Liebe ihres Lebens, der liebende Vater ihrer Kinder. Tot. Durch mörderische Gewalt sind alle Zukunftspläne von einem Moment auf den anderen wie eine Seifenblase zerplatzt. Und das alles wegen dieses mutmaßlich hassgetriebenen 21-jährigen Todesschützen. Wie reagiert man auf so etwas? Wie geht man damit um, wenn der eigene Ehemann ermordet wird?
Nur elf Tage nach der Tat trat die 36-Jährige auf der Trauerfeier für ihren Ehemann in einem Football-Stadion in Phoenix (Arizona) auf die Bühne und sprach zu den Zehntausenden im Stadion und etwa 100 Millionen Menschen, die die Veranstaltung live verfolgten. Und sie tat etwas, woran die meisten wohl nicht einmal gedacht hätten. Sie sagte: „Dieser junge Mann…Ich vergebe ihm!“
Sie schloss dabei die Augen, als könne sie selbst nicht ganz glauben, was sie da gerade gesagt hatte. Kann man so eine Tat vergeben? Ist es richtig, eine solche Tat zu vergeben?
„Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“
Die bekennende Katholikin erklärte, sie vergebe dem Täter, „weil es das ist, was Christus tat“. Denn Jesus habe am Kreuz gesagt: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“ (Lk 23,34). „Die Antwort auf Hass ist nicht Hass, die Antwort, die wir aus dem Evangelium kennen, ist Liebe und immer Liebe. Liebe für unsere Feinde und Liebe für diejenigen, die uns verfolgen“, fuhr Erika Kirk anlehnend an die Worte Jesu in der Bergpredigt im Matthäus-Evangelium (Mt 5,44) fort.
Dass Erika Kirk so kurz nach der Ermordung ihres Mannes und ohne dass der mutmaßliche Mörder ihres Mannes überhaupt Reue gezeigt hätte, die Kraft zur Vergebung hatte, hat viele Menschen beeindruckt und inspiriert. Der in diesem Monat auf tragische Weise verstorbene Hollywood-Regisseur Rob Reiner sagte nach Erika Kirks Trauerrede, was sie gesagt habe, sei „wunderschön“ und „bewundernswert“ gewesen. Auch als säkularer Jude glaube er an die Lehren Jesu und an Vergebung.
Der auch in Deutschland bekannte „Hör mal, wer da hämmert“-Schauspieler Tim Allen, dessen Vater 1964 von einem alkoholisierten Autofahrer bei einem Verkehrsunfall getötet worden war, schrieb wenige Tage nach der Trauerfeier: „Dieser Moment hat mich tief berührt. Ich habe über 60 Jahre damit gekämpft, dem Mann zu vergeben, der meinen Vater getötet hat. Ich werde diese Worte nun aussprechen, während ich schreibe: ‚Ich vergebe dem Mann, der meinen Vater getötet hat.‘ Der Friede sei mit euch allen.“
„Wie auch wir vergeben unsern Schuldigern“
Im Vaterunser, dem Gebet, das Jesus Christus seine Jünger zu beten gelehrt hat, heißt es: „Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern“ (Mt 6,12). Papst Johannes Paul II. sagte einst, dass wir „alle die Vergebung Gottes und des Nächsten nötig“ haben und dass wir deshalb „alle bereit sein [müssen], zu vergeben und um Vergebung zu bitten“. Doch was bedeutet Vergebung? Bedeutet Vergebung, dass alles „vergeben und vergessen“ oder „wieder gut“ ist?
Vergebung ist zunächst mal kein Gefühl, sondern eine Entscheidung. Und so ist Erika Kirk vermutlich keinem Gefühl gefolgt, als sie dem Täter vergab. Denn man sieht ihrem schmerzverzerrten Gesicht an, wie schwer es ihr gefallen sein muss, „Ich vergebe ihm“ zu sagen. Aber sie glaubte, dass es das Richtige war, zu vergeben, weil Jesus dem Mörder auch vergeben hätte. Daher hat sie vermutlich ganz bewusst die Entscheidung getroffen, den Mörder ihres Mannes nicht zu hassen, sondern ihm stattdessen zu vergeben. Weniger, weil es sich gut anfühlte, sondern weil sie davon überzeugt war, dass es gut ist, dies zu tun.
Vergebung ist ein Akt der Liebe
Vergebung bedeutet dabei nicht, dass das Unrecht der Tat abgegolten wäre. Der Täter ist nach wie vor schuldangemessen zu bestrafen – als Unrechts- und Schuldausgleich, zur Abschreckung der Allgemeinheit und des Täters und um durch die Bestätigung der Unverbrüchlichkeit der Rechtsordnung einen gesellschaftlichen Lern-, Vertrauens- und Befriedungseffekt zu erzielen. Mord ist kriminelles Unrecht und ein solches Unrecht muss grundsätzlich bestraft werden. Vergebung ist kein Akt der Gerechtigkeit und bedeutet kein Vergessen. Vergebung ist ein Akt der Liebe.
Doch kann man selbst so schwere Verbrechen wie einen Mordanschlag vergeben? Der bereits zitierte Papst Johannes Paul II. war im Jahr 1981 selbst Opfer eines Attentats, das er nur knapp überlebte. Kurz darauf vergab er dem Täter. Er sagte einst, dass gerade dann, wenn jemand beispielsweise aufgrund einer kriminellen Handlung einen nahen Angehörigen verliere, der Schmerz dazu führen könne, dass man gar nicht anders könne, „als die Versuchung zu Hass und Rache zu spüren“. Doch dank „der heilenden Kraft der Liebe, die ihre erste Quelle in Gott hat, der die Liebe ist“, könne „die befreiende Erfahrung der Vergebung, freilich unter großen Schwierigkeiten, auch von einem verletzten Herzen erlebt werden.“
Vergebung heilt Geist und Seele
Es liegt in uns Menschen, nach Verletzungen mit Hass und Gewalt zurückschlagen zu wollen. „Hurt people hurt people“ – verletzte Menschen verletzen andere Menschen. Auf Hass und Rache zu verzichten, ist eine scheinbare Schwäche, tatsächlich aber eine Stärke. Vergebung befreit uns von Hass und Rachegefühlen und heilt unseren Geist und unsere Seele. Und Vergebung kann auch zu Versöhnung führen.
Erika Kirks Akt der Vergebung ist ein Glaubenszeugnis. Er zeigt eindrücklich die Kraft des christlichen Glaubens und die Kraft der Liebe, die jeden Hass und jede Gewalt überwinden kann. Durch ihren Glauben und ihre Liebe zeigt sie, wo die wahre Hoffnung ist. Die Lichter am grünen Tannenbaum weisen uns darauf hin: Auf das Licht Jesu Christi, die „Flamme unserer Hoffnung“, die an Weihnachten in die Welt kommt.



