Sportart, Gesprächsthema, Karrierehelfer – der Fußball im St. Wendeler Land

Das Vorhaben, die Bedeutung des Fußballs auf einer globalen Ebene zu erfassen, ist ehrgeizig, da sein Einfluss auf Gesellschaft und Wirtschaft immens ist und sich kaum messen lässt. Eine Fußball-Weltmeisterschaft etwa ist eher ein weltumspannendes Volksfest als eine reine Sportveranstaltung. Und der Kommerz zeigt sich im Profigeschäft überall. Vergleichsweise neu ist die Möglichkeit, sich Aktien von seinem Lieblingsverein zu kaufen.
Der Fußball ist längst in verschiedenste Lebensbereiche vorgedrungen, seine Relevanz in dieser Welt (und in dieser Republik) wird in Medien umfassend reflektiert.

Doch wie sieht es im Landkreis St. Wendel aus? Welche Bedeutung und welche Wirkung hat der Fußball hierzulande? Intuitiv würde man wohl sagen, dass er sehr wichtig ist. Doch warum? Ein Blick hinter die Fußballkultur im Landkreis kann hier Abhilfe schaffen.

Die erste Vermutung lässt sich zumindest anhand der nackten Zahlen bestätigen. In ganz Deutschland kommen auf 10.000 Einwohner 3,4 Fußballvereine, im Saarland sind es immerhin schon 3,9. Doch wer WND auf dem Kennzeichen hat, ist scheinbar total vernarrt ins runde Leder.

In unserem Landkreis gibt es 4,9 Fußballvereine pro 10.000 Einwohner – ein außerordentlich hoher Wert. Natürlich trägt auch die ländlich geprägte Siedlungsstruktur beziehungsweise die sehr hohe Zahl an Ortschaften zu diesem Verhältnis bei. Dennoch ist es bemerkenswert, dass auch kleinere Dörfer einen selbstständigen Fußballclub haben.

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Aber wieso spielen die Menschen im Landkreis so gerne Fußball? Zunächst drängen sich hier viele Vorzüge auf, die der Fußball nicht exklusiv bietet. Der Spaß an Bewegung, der Reiz des sportlichen Wettkampfs, die Kameradschaft einer Mannschaft finden sich in vielen Sportarten. Vielleicht ist die typisch saarländische „Vereinsmeierei“ ein erster Anhaltspunkt. Auf der Suche nach sozialen Kontakten wird man auf dem Land am schnellsten bei einem Verein fündig.

Wenn es dann auch noch einen schönen Rasenplatz im Ort gibt (aber beispielsweise keine Turnhalle, in der man Volleyball spielen könnte), sind die Fußballvereine nicht selten die erste Anlaufstelle. So gelingt dem sportlich ambitionierten Mittzwanziger, der gerade erst in das St. Wendeler Land gezogen ist, die Integration in die sozialen Strukturen einer Ortschaft am schnellsten durch die Mitgliedschaft in einem entsprechenden Club.

Die hohe Relevanz des Fußballs ist eng mit einem hohen Interesse verbunden. Und dies wiederum führt beispielsweise dazu, dass man in St. Wendel einen festgefahrenen Small Talk oftmals durch den Themenwechsel zum Amateurgekicke retten kann.

Zwar ist „Unn, spillsche noch Fussball?“ nicht unbedingt der beste Einstieg zu einem vielversprechenden Flirt, doch eine zwanglose Plauderei kann man damit häufig in Gang bringen. Außerdem ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass die Antwort hierzulande „Ja“ lautet. Den wortkargen Arbeitskollegen kann man an einem Montagmorgen auf ähnliche Weise zum Reden bringen. Eine provokanter Hinweis auf die gestrige 5:1-Niederlage ruft bei vielen Kreisligaspielern phantasievolle Erklärungen hervor – aus denen auflockernde Gespräche werden können.

Die Bedeutung des Fußballs sorgt auch dafür, dass man seinen sozialen Status gehörig aufpolieren kann, wenn man etwa vom bescheidenen Bezirksligaclub nach Primstal oder Hasborn wechselt. „Der spielt Saarlandliga“ ist zumindest unter Sportinteressierten eine echte Ehrerbietung. Ein Saarlandmeister in einer Leichtathletik-Disziplin ist bei uns wahrscheinlich weniger bekannt. Der Fußball ist also ein außerordentlich wichtiger Aspekt des Zusammenlebens der Menschen im Landkreis St. Wendel.

Einleitend wurde vom Einfluss auf Gesellschaft und Wirtschaft gesprochen. Die wirtschaftliche Bedeutung des hiesigen Amateurfußballs ist gleichermaßen facettenreich. Sie beinhaltet jedoch auch Gesichtspunkte, über die man nie so ganz offen redet und die nirgendwo erfasst werden. Dass Werbeeinahmen oder Eintrittsgelder für jeden Verein eine wichtige Finanzierungsquelle sind, ist hinlänglich bekannt, doch es gibt auch andere Geldflüsse, die weitaus interessanter sind.

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Jeder weiß, dass sich ein talentierter Kicker durch den Fußball einiges hinzuverdienen kann. Mittlerweile nehmen die „Spielergehälter“ aber durchaus extreme Dimensionen an. Bezirks- oder Kreisligaspieler aus dem Landkreis, die monatlich dreistellige Summen verdienen, sind sicher nicht die Regel, aber gewiss auch keine Rarität. Wie im Profigeschäft werden entsprechende Vereinbarungen auch im Amateurbereich nicht offen kommuniziert. Die Diskussion darüber, ob solche Zahlungen gerechtfertigt sind, ist so mühsam wie der Gehaltsvergleich zwischen Manager und Putzfrau.

Das in unserer Heimat weit verzweigte und dichte Beziehungsgeflecht vieler Funktionäre bringt noch ganz andere Vergütungsformen mit sich. Wer plötzlich feststellt, dass er 25 Kerzen auf dem Geburtstagskuchen und genauso viele Treffer auf dem Torekonto, dafür aber keinen festen Beruf hat, dem kann über den Fußball geholfen werden. So wird etwa ein Wechsel in eine häufig niedrigere Spielklasse mit einem Jobangebot des Trikotsponsors schmackhaft gemacht.

Ob der Neuzugang für die Stelle qualifiziert ist, ist nebensächlich, solange er samstags Tore produziert. Wenn ein Provinzmäzen einem Spieler Geld bezahlt, damit er auf einem niedrigen sportlichen Niveau für den Unterschied sorgt, ist dem per se nichts entgegenzusetzen. Eine Beeinflussung des Arbeitsmarktes ist jedoch sehr bedenklich, da es hier um existenzielle Fragen geht – vor allem für Diejenigen, die eine entsprechende Arbeitsstelle bei einer regulären Ausschreibung bekommen hätten, da sie dafür ausgebildet sind und die notwendigen Fertigkeiten haben. Fehlendes fußballerisches Talent ist in solchen Fällen anscheinend ein K.O.-Kriterium.

Natürlich treffen viele der genannten Aspekte auch auf andere Gegenden oder sogar auf ganz Deutschland zu, doch wenn in einem Landkreis so leidenschaftlich gekickt wird wie bei uns, dann sind einige Begleiterscheinungen des Fußballs sicherlich noch ausgeprägter als andernorts. Solange der schwindende Nachwuchs den Vereinen im Kreis noch Luft zum Atmen lässt, wird sich an der Begeisterung für die Sportart nichts ändern. Und das ist gut so. Negative Auswüchse und unsportliche Gefälligkeiten gibt es überall, aber befürworten muss man das nicht.

Foto: Redaktion

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