Interview

Patientenverfügungen und Corona aus notarieller Sicht

Notar Jürgen Metzger

Die Corona-Pandemie hat Deutschland auch nach über einem Jahr noch immer fest im Griff. Bis heute sind viele Menschen verunsichert, ob die von ihnen verfasste Patientenverfügung aus der „Vor-Corona-Zeit“ auch bei einem schweren Covid-19-Verlauf den behandelnden Ärzten ausreichende Entscheidungshilfen für die weitere Behandlung liefert oder ob hier Handlungsbedarf besteht. Notar Jürgen Metzger beantwortet einige Fragen zu dem Thema Patientenverfügungen und Corona aus notarieller Sicht.

WNDN:

Muss ich eine bestehende Patientenverfügung in Bezug auf die Corona-Pandemie und die infolge einer Erkrankung an dem Corona-Virus gegebenenfalls notwendige intensivmedizinische Behandlung anpassen oder ergänzen?

Notar Jürgen Metzger:

Es fragt sich zunächst, ob eine vor dem Auftreten des Corona-Virus errichtete Patientenverfügung auf eine durch Corona verursachte Erkrankung und die damit einhergehenden Folgezustände und Behandlungssituationen, insbesondere die eventuelle Notwendigkeit einer künstlichen Beatmung und eines künstlichen Komas, überhaupt „passt“.

Allgemeingültig beantworten lässt sich diese Frage nicht, da Patientenverfügungen schon bisher individuell sehr unterschiedlich ausgestaltet sein können. Gerade in Bezug auf intensivmedizinische Behandlungen wie künstliche Ernährung oder künstliche Beatmung bestehen oft ganz unterschiedliche Patientenwünsche. Während einige Menschen solche Behandlungen – insbesondere wenn bei ihnen bereits gravierende Vorerkrankungen vorliegen oder sie bereits ein sehr hohes Alter erreicht haben – kategorisch ablehnen, machen andere die Anwendung intensivmedizinischer Behandlungen von den konkreten Erfolgsaussichten, dem Ausbleiben schwerwiegender Folgeschäden oder der voraussichtlichen Behandlungsdauer abhängig.

Die meisten Patientenverfügungen stellen dabei nicht auf bestimmte, medizinisch eindeutig beschriebene Krankheiten oder einzelne Krankheitserreger ab, sondern auf typische Behandlungssituationen, die auf unterschiedlichste medizinische Ursachen zurückgehen können, um auf zukünftige medizinische Entwicklungen und das Auftreten neuer Erkrankungen eingestellt zu sein. Die meisten „alten“ Patientenverfügungen – insbesondere wenn diese sich sprachlich an den verbreiteten Musterempfehlungen der Justizministerien des Bundes und der Länder orientieren – erfassen daher in der Regel auch die Fälle eines schweren Krankheitsverlaufes in der Folge einer Covid-Erkrankung oder einer vergleichbaren Virusinfektion.

Auch vor dem Hintergrund des neuartigen Corona-Virus und dessen pandemischen Auswirkungen dürfte die Ergänzung einer bereits vorhandenen Patientenverfügung somit in den meisten Fällen nicht zwingend nötig sein, weil die in einer solchen Patientenverfügung enthaltenen Wünsche und Weisungen den behandelnden Ärzten regelmäßig bereits ausreichende Entscheidungshilfen für die eigene medizinische Behandlung an die Hand geben.

WNDN:

Patientenverfügungen aus der Zeit „vor Corona“ müssen also nicht zwingend neu gefasst werden?

Notar Jürgen Metzger:

Vorsorglich könnte man in Ergänzung zu einer bereits vorliegenden Patientenverfügung klarstellen, dass die Patientenverfügung aktuell geprüft worden ist und es dem Patientenwillen entspricht, dass sie auch auf Behandlungssituationen, die auf eine Covid-Erkrankung zurückgehen, angewendet werden soll.

Wer dies möchte, kann eine bereits vorhandene Patientenverfügung auch durch spezielle Anweisungen für den Fall einer Covid-19-Erkrankung ergänzen. In Betracht kommt beispielsweise, dass im Falle einer solchen Erkrankung entweder gar keine intensivmedizinische Behandlung oder jedenfalls keine künstliche Beatmung oder nur eine nicht-invasive Beatmung (z.B. mittels Maske), aber keine invasive Beatmung (z.B. mittels Schlauch im künstlichen Koma) stattfinden soll. Allerdings sollte man sich bei solchen Wünschen darüber im Klaren sein, dass hierdurch die Schwelle für den Abbruch der Behandlung unter Umständen erheblich herabgesetzt wird. In jedem Fall empfiehlt es sich, die Konsequenzen solcher Wünsche zuvor mit dem Hausarzt zu besprechen.

WNDN:

Viele Menschen haben die Sorge, dass die von ihnen in der Vergangenheit errichteten Patientenverfügungen, mit denen sie eine künstliche Beatmung am Lebensende ablehnen, bewirken könnten, bei einer Corona-Erkrankung mit schwerem Verlauf nicht mehr angemessen behandelt zu werden. Ist diese Sorge begründet?

Notar Jürgen Metzger:

Trotz der tragischen Einzelschicksale, mit denen wir durch die Medien und möglicherweise auch in unserem unmittelbaren Umfeld konfrontiert werden, handelt es sich bei Covid-19 um eine in vielen Fällen – wenn auch gegebenenfalls unter Einsatz intensivmedizinischer Maßnahmen – therapierbare Krankheit. Ein Abbruch der Behandlung lässt sich daher auch bei Vorliegen einer Patientenverfügung regelmäßig nicht rechtfertigen, solange nach Einschätzung der behandelnden Ärzte die Therapie mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit erfolgreich sein wird.

Wer dennoch unsicher ist, könnte seine bestehende Patientenverfügung dahingehend ergänzen, dass im Falle einer Covid-19-Erkrankung eine bestmögliche medizinische und pflegerische Behandlung gewünscht ist, um die Krankheit zu überstehen.

WNDN:

Wer entscheidet bei Vorliegen einer Patientenverfügung über den Behandlungsabbruch?

Notar Jürgen Metzger:

Bei den meisten Patientenverfügungen handelt es sich um so genannte „vorsorgende“ Patientenverfügungen. Sie werden in Zeiten abgefasst, in denen eine konkrete Erkrankung noch nicht eingetreten ist. Solche Patientenverfügungen sind notwendigerweise sehr allgemein gefasst. Kommt es in der Folge zu einer schweren Erkrankung, ist die Entscheidung, ob die konkrete Behandlungssituation von der Patientenverfügung erfasst ist, und über die Durchsetzung des in der Patientenverfügung niedergelegten Patientenwillens von dem Betreuer oder dem Vorsorgebevollmächtigten zu treffen.

Wer vermeiden möchte, dass das Gericht einen Betreuer zur Entscheidung über die Umsetzung der Patientenverfügung bestellt, sollte dem durch die rechtzeitige Erteilung einer Vorsorgevollmacht vorbeugen. Eine Vorsorgevollmacht ist noch immer das sicherste Mittel zur Vermeidung von Fremdbestimmung.

Dabei ist selbstverständlich der aktuell geäußerte Wille des noch selbst entscheidungsfähigen Patienten stets vorrangig vor einer etwa vorliegenden schriftlichen Patientenverfügung oder der Entscheidung eines Betreuers oder Bevollmächtigten. Solange der Patient selbst noch über die Einwilligung in ärztliche Maßnahmen oder die Ablehnung der Behandlung entscheiden kann, kommt die Patientenverfügung daher nicht zum Tragen.

WNDN:

Herr Notar Metzger, wir danken für das Gespräch.

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