Text von Roland Geiger

Heute hat unser Haus gebrannt

Heute hat unser Haus gebrannt.
Heute vor 348 Jahren.
Am 2. Februar 1677.
Auf Maria Lichtmeß.
Damals ein Dienstag.
Die Franzosen haben die Stadt St. Wendel angezündet, und unser Haus in Alsfassen war auch dabei.

Um ansatzweise zu verstehen, was da los war, muß man richtig weit ausholen. Das Ganze war eigentlich nur ein kleiner Teil des über 240 Jahre andauernden Habsburgisch-französischen Gegensatz, dem von 1516 bis 1756 dauernden Konflikt zwischen dem Haus Habsburg und dem Königreich Frankreich um die Vorherrschaft in Europa. Sowohl offen als auch verdeckt ausgetragen, prägte er 240 Jahre lang die gesamte europäische Macht- und Bündnispolitik und mündete in zahlreiche Kriege, von denen der Dreißigjährige Krieg der verheerendste war.

Der Holländische Krieg, auch Niederländisch-Französischer Krieg genannt, war ein gesamteuropäischer militärischer Konflikt, der von 1672 bis 1678 dauerte. Ausgelöst wurde der Krieg durch einen Angriff des französischen Königs Ludwig XIV. mit seinen Verbündeten (Königreich England, Schweden, Hochstift Münster und Hochstift Lüttich) auf die Vereinigten Niederlande. Um eine Vorherrschaft Frankreichs auf dem europäischen Kontinent zu verhindern, verbündeten sich Spanien und das Heilige Römische Reich mit den Niederlanden.

In dem ganzen Durcheinander – der eine griff dort an, der andere schlug dort zurück – ist es schwer, vom großen Kriegsgeschehen – sofern man das überhaupt sieht – auf Details runter zu kommen. Die Historiker jonglieren lieber mit ganzen Armeen und lassen sie hierhin und dorthin ziehen und das und jenes machen, da kann man schlecht falsch liegen, was gut ist für die Reputation. Aber wenn man en detail geht, sind Fehler viel schneller möglich. Mich interessieren die Details ganz unten – und ich habe Probleme damit, die Ereignisse zwischen ganz oben und ganz unten zu bestimmen.

Als Frankreichs Angriff nicht so richtig klappte, zogen seine Truppen 1673 auf Maastricht los, worauf Spanien und Österreich (sprich: Habsburg) eingriffen, und der Krieg plötzlich auch andere Teile Europas betraf. Der französische König sandte seine zwei fähigsten Feldherren, Turenne und Condé an den Mittelrhein und in das Elsass, um die kaiserlichen Truppen aufzuhalten. Henri de La Tour d’Auvergne, vicomte de Turenne überschritt 1674 bei Philippsburg den Rhein, schlug am 16. Juni den Herzog von Lothringen in der Schlacht bei Sinsheim und verwüstete die Pfalz. St. Wendel gehörte zwar nicht zur Pfalz, aber das hinderte ihn nicht daran, die Mauer um die Stadt sprengen zu lassen. Ein Jahr später fiel er bei Sasbach im heutigen Baden. Das wissen wir. Aber wie seine Armee dann weitergemacht hat, ist nicht so ganz klar.

In einer 1740 veröffentlichen Universalchronik namens „Historischer Bilder=Saal“ findet sich im Band 5 auf Seite 282 eine Beschreibung. Dort steht sinngemäß:

„An der Mosel hatten die Franzosen während dieser Kampagne die Stadt Zweibrücken eingenommen. Ein alliiertes Corps aus Truppen u.a. aus Osnabrück versuchte zwar, den Franzosen die Stadt wieder wegzunehmen, muß aber unverrichteter Dinge wieder abziehen, als ihnen die Nahrung ausging und sie keine Möglichkeit fanden, sich neu zu beschaffen. Um den Alliierten in Zukunft keine Gelegenheit mehr zu geben, sich in dieser Gegend aufzuhalten, so haben die Franzosen die Stadt St. Wendel und mehr dann 20 große Dörffer und Flecken dort herum auf den Grund abgebrannt.“

Auszug aus einem genauen Bericht über die elende Einäscherung der Stadt St. Wendel durch die Franzosen am 10. Februar 1677 in halbwegs modern angepaßter Sprache (Original liegt als T1 im Stadtarchiv Trier):

„Ich habe ihnen bereits von jenem 27. Januar berichtet, als der Comte de Biffy mit seiner Kavallerie und den Dragonen von St. Wendel nach Kusel geritten ist, so daß wir uns schon Hoffnung darauf machten, daß unsere Stadt von dem geplanten Niederbrennen verschont bleiben würde, besonders als dann am 28. Januar der Chevalier Perin mit dem Fußvolk auch noch nach Ottweiler abgerückt ist. Er ließ einen Leutnant und 40 Mann zurück, denen die Bürger eine Kuh schlachteten, ein Faß Bier und zwei Fässer Salz lieferten sowie täglich 36 Pfund Fleisch und genauso viel Brot und viele Maß Bier.

Doch unsere Hoffnung war vergebens. Am 30. Januar kam Biffy aus Kusel zurück, nachdem er die Stadt und die umliegenden Dörfer eingeäschert hatte. Er ging auf dem Berg vor der Stadt in Stellung (Bosenberg) und ließ den Schultheißen rufen. Dem eröffnete er, daß er den Befehl erhalten habe, die Stadt St. Wendel bis auf die Grundmauern niederzubrennen und nur die Kirche, den Pfarrhof sowie die Häuser der Frau von Soetern und des Schultheißen zu verschonen. Dieses unchristliche, ja mehr als barbarische Vorhaben konnten wir nicht verstehen, war doch unsere Stadt unter den Schutz des französischen Königs gestellt worden und hatte ihre Kontributionen immer fristgerecht erfüllt, obwohl sie ständigen Einquartierungen fast ganz ruiniert hatte. Aber alles Seufzen und Flehen half nichts, und unsere Rufe um Gnade und Mitleid rührten sein Herz nicht, er versteckte sich hinter seinem königlichen Befehl: alles muß niedergebrannt werden. Einem seiner Offiziere ging das Vorhaben so aufs Gemüt, daß er laut bekannte, er wolle ein Stück seines Leibes darum geben, daß er zu solch einer Aktion niemals mißbraucht werden sollte. Doch es half nichts. Der Comte de Biffy wartete noch ein gute Stunde auf dem Berg, bis der Chevalier de Perin mit dem Fußvolk aus Ottweiler eintraf, dann zogen sie gemeinsam in die Stadt ein. Dort blieben sie bis zum 2. Februar. An diesem Morgen ritt Biffy mit seinen Reitern und Dragonern schon früh morgens nach Tholey, wo man ihnen pro Reiter einen Sack Hafer gab. Mittags um 2 Uhr waren sie wieder in St. Wendel und nahmen 2000 Pfund Fleisch entgegen. Abend um 6 Uhr wurde dann der Befehl erlassen, daß alle Weiber und Kinder in die Kirchen sich verfügen sollten, „welches auch mit zum Himmel schreyenden Weheklagen und Seufftzen geschehen“

Das Reiter- und Fußvolk wurde von einem Engländer kommandiert, der dafür bekannt war, daß er sich auf das schreckliche und grausame Mordbrennen verstand. Nachdem alle in der Kirche waren, zog dieser Engländer mit seinen Soldaten in das Schloß hinein, wo er seine Soldaten aufteilte und instruierte, damit jede Abteilung genau wußte, wo sie das Feuer anzünden sollte.

Um zehn Uhr des Nachts wurde die Trommel gerührt und kamen darauff die Soldaten in der finsteren Nacht wie die Teuffel und Höllische Furien über die Schloß=Brücken gelauffen, ein jeder etliche Stroh-Fackeln unter den Armen und eine brennende in der Hand haltent, womit sie ein ieder an seinem assignirten Orth also in allen Ecken der Statt Feuer einwürffen, daß bald darauff die gantze Statt in heller Flamme gestanden.

Verzeiht mir, daß ich diese Feuersbrunst mit meinen Worten nicht beschreiben kann. Dieses grausame Spektakel währte bis gegen drei Uhr morgens, als wieder die Trommel gerührt wurde und alle Mordbrenner sich versammelten. Um 4 Uhr morgens gingen sie durch eine Bresche (in der Mauer) aus der Stadt heraus, brannten die kleiner Kellereimühle nieder und verschwanden nach Ottweiler.

Aber damit ließen sie es noch nicht genug sein. Am 5. Februar kamen sie unter Leitung eines Offiziers namens Monbrun wieder, um alles, was außer den genannten Häusern noch stand, endgültig zu zerstören. Sie entfachten den Brand neu und steckten auch das Schloß in Brand. Und drohten uns mit Plünderung, Mord und Verwüstung, falls wir nicht binnen zwei Tagen alles abbrechen würden. Was also der Feind nicht getan, das haben die armen Bürger aus Furcht, der unbarmherzige Feind könne die angedrohte Strafe vollziehen, selbst gemacht, haben das wenige, daß der Brand nicht völlig eingeäschert hat, selbst einreißen und dem Erdboden gleichmachen müssen.

Ein solches Weheklagen/und Mord=brennung ist nicht genugsam zubeschreiben/ Gott der Allerhöchste wolle sich der armen Unterthanen erbarmen/und ferneres Mord=brennen gnädiglich abwenden.“

Woher ich weiß, daß unser Haus damals auch brannte?
Hm, um das zu beantworten, muß ich erneut ein wenig ausholen. Sorry.

Im Jahre 1655 kauften Johann Wilhelm von Hame und seine Ehefrau Anna Maria von Osburg einen Hof in Alsfassen, zu dem unser heutiges Haus und ansehnliche Ländereien gehörten. Die Schafherde, die sie in der Stadt gehalten hatten, war viel zu groß geworden, und es gab auch schon Klagen deswegen seitens der anderen Schafhalter, weshalb von Hame seine Schäferei kurzerhand nach Alsfassen verlegte, dessen Einwohner sich das gefallen ließen. Und zwar bis 1750. Damals starb Franz Ernst von Hame, der letzte Große der von Hame. Seine Kinder hatten kaum noch Interesse am Besitz ihrer Väter. Das merkten auch die „einfachen“ Leute aus Alsfassen, denen die große Schafherde in ihrem Ort ein großer Dorn im Auge war. Sie strengten einen Gerichtsprozess an, der sich über zehn Jahre. Die Alsfasser trieben seit 1719 jährlich eine eigene Herde von 400 bis 500 Tieren auf, was sie ihrem Gemeinderecht nach tun durften. Es ging jetzt um die Frage, ob die von Hame überhaupt berechtigt seien, in Alsfassen eine eigene Herde zu halten. Schließlich hätten die Alsfasser ihnen niemals ihr Recht dafür abgetreten, jedenfalls gäbe es dafür keinen Beweis. Die von Hame hielten dagegen, ihr Dienst für den Kurfürsten habe ihnen das Recht gegeben, eine Herde zu halten (jus civicum honorarium), weshalb sie den Hof zu Alsfassen mit Schafstall und ca. 200 bis 260 Stück Vieh zu halten berechtigt gewesen seien. Immerhin hätten sie schon seit 1666 in Alsfassen einen Schafstall gehabt. Tatsächlich war dieses Recht den kurfürstlichen Offiziellen nur zur Deckung ihres häuslichen Bedarfs erteilt worden; es galt aber definitiv nicht in dem großen Maßstab, wie es die von Hame betrieben.

Aber da der seelige Hofrath von Hame zu Alsfassen das Gemeinderecht gehabt und „hierdurch gleich einem starcken GemeindtsMann eine partie [Schafe] zu halten befugt“, so habe man die Sache – wenn auch ohne Rechtsvorbehalt – durchgehen lassen, auch als er als Kellner weitere Schafe hinzugefügt hatte. Aber jetzt sei der Herr Hofrath tot und seine Erben hätten kein Gemeindsrecht und deshalb auch nicht das Recht, hier eine Schäferei zu führen. Man habe nichts dagegen, wenn die Herren Erben ihre Gebäude und Gärten hier vor Ort versteigern wollte; aber das Weiderecht könnten sie nicht versteigern, denn ein solches hätten sie nicht. Das wurde am 13. Februar 1775 verkündet. Es zog sich noch ein langer Streit hinterher, der sechs Jahre dauerte und schließlich in Pfändungen von Schafen mündete, bis die von Hamischen Erben 1781 auf der Weiderecht verzichteten und ihre Schäferei versteigern ließen.

Der Prozeß produzierte einige Dezimeter Akten, und eine davon – Landeshauptarchiv Koblenz, 1 C 7557 – beinhaltet u.a. diesen Satz:
„DaZumalen hatte der selbe sein in anno 1677 abgebranntes Hoffhauß, scheuer, stallung und schäfferey Zu Alsfassen wieder aufgebaut“.

Roland Geiger, St. Wendel, Alsfassener Straße 17

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