„Hallo, mein Name ist Tanja, ich bin 48 Jahre alt, wohne in Hofeld, arbeite in der Kostbar am See in Bosen und leide seit 2015 an Krebs. Dem folgenden Interview habe ich zugestimmt, weil ich Betroffenen zeigen möchte, dass es Gleichgesinnte gibt, die dieselben Tiefen erleben und, dass es sich trotz allem lohnt für das Leben zu kämpfen.“
Wann hast du die Schockdiagnose „Krebs“ das erste Mal erhalten und wie ging es dir damit?
„Im Juni 2015 habe ich einen Knoten an meiner Brust entdeckt. Nach einer schmerzhaften Gewebeentnahme stand die Schockdiagnose schnell fest: Brustkrebs. Der aggressive Tumor musste zügig operiert werden. Da ich damals noch Inhaberin des Bogarts in St. Wendel war, musste ich mich erst einmal um den Verkauf des Gaststätteninventars kümmern, um zusätzlich zu den gesundheitlichen Ängsten, nicht auch noch finanzielle Sorgen zu bekommen.
Ich war schon immer ein sehr agiler Mensch, der gerne arbeitet und anpackt. Nun hatte ich mir endlich meinen Traum von der eigenen Kneipe ermöglicht und dann das. Anfangs war ich ziemlich teilnahmslos, ich hatte gar keine Zeit und keinen Kopf mich mit der Diagnose auseinander zu setzen. Am 15.09. verkaufte ich das gesamte Inventar und nur einen Tag später wurde ich in Homburg operiert.“
Wie ging es danach für dich weiter? Was ging in dir vor? Wie hast du dich gefühlt?

„Nach der Operation sollte ich 18 Chemotherapien erhalten. Vier Stunden dauert eine solche Prozedur und danach geht das Ganze erst richtig los. Sowas habe ich in meinem Leben noch nicht erlebt. Übelkeit, Erbrechen, Schwindel, Müdigkeit und Schlappheit ließen dauerhaft grüßen. Innerhalb von sechs Tagen haben sich meine Fingernägel abgelöst und all meine schönen, langen, dicken Haare sind vollständig ausgegangen. Wenigstens blieben mir Augenbauen und Wimpern erhalten. Die existenziellen Ängste und auch die Angst vor dem Tod waren ab da immer präsenter. Erst als ich die Haare verlor, realisierte ich, was wirklich mit mir los war. Es war eine harte Zeit. Nach den Qualen der ersten Chemotherapie, gefolgt von einem Traum, indem ich gestorben war, entschied ich mich gegen die Fortführung weiterer Chemotherapie- Sitzungen. Die Chemo hatte in keinster Weise etwas mit Lebensqualität zu tun und war das totale Gegenteil zu meinem bisherigen Leben. Ich wollte nicht nur den ganzen Tag zu Hause rumliegen, weil es mir so elend ging. Das konnte ich nicht mit mir vereinbaren. Entgegen dem ärztlichen Rat, entschied ich mich mutig gegen eine weitere Chemobehandlung und habe es bis heute nicht bereut. Auch eine Bestrahlung lehnte ich zum damaligen Zeitpunkt ab und nahm letztlich nur spezielle Tabletten. Danach musste ich dann alle drei bis sechs Monate zur Kontrolle zu meiner Gynäkologin.“
Würdest du, nachdem was du erlebt hast, Betroffenen von einer Chemotherapie abraten?
„Nein. Der Entschluss die Chemotherapie nicht fortzuführen, war meine individuelle Entscheidung. Welche Behandlungsart man wählt, ist jedem selbst überlassen. Diesbezüglich Empfehlungen auszusprechen wäre anmaßend, das steht mir nicht zu. Das muss jeder für sich selbst wissen.“
Wann kam der Krebs wieder zurück?
„Im Juli 2018 wucherte der Krebs von jetzt auf gleich schon aus der Brust. Ich musste sofort operiert werden und vier Tage später musste ich nachoperiert werden. Anschließend bekam ich 36 Bestrahlungen, immer von Montag bis Freitag. Dabei hatte ich keine Schmerzen, aber im Nachhinein Verbrennungen. Danach ging es mir sehr gut. Ich war psychisch und physisch fit und hoffte, dass ich den Kampf nun gewonnen hatte.
Als ich im November 2019 bei einer Routineuntersuchung bei meiner Frauenärztin war, wurde zum dritten Mal aggressiver Brustkrebs festgestellt. Kurze Zeit später erfolgte dann die Mastektomie der rechten Brust. Diesmal traf es mich am meisten, vor allem seelisch. Das war die schlimmste OP, die ich bisher hatte. Ich habe Sorge, ob mein Körper die neue Brust überhaupt annimmt, ich war viel zu Hause, viel alleine und hatte die letzten Wochen viel Zeit zum Grübeln. Es drängt sich mir immer wieder das Gefühl auf, dass alles von kurzer Dauer ist und mir die Zeit wegläuft, aber ich versuche positiv zu denken und nach vorne zu schauen. Mittlerweile geht es mir besser und ich gehe auch wieder arbeiten, das freut mich. Eins ist klar: Den Kopf in den Sand stecken, gibt’s nicht. Ich war und bin eine Kämpferin.“
Kompliment Tanja! Dass du nach all dem, was du schon mitgemacht hast, so eingestellt bist, ist bewundernswert. Damit bist du ein Vorbild für viele Frauen.
„Vielen Dank. Es würde mich freuen, wenn ich der einen oder anderen Betroffenen etwas Mut schenken könnte.“
Wie hat dein Umfeld reagiert, als klar war, dass du Brustkrebs hast?
„Man muss immer weitermachen und darf den Kopf nicht hängen lassen, das ist das A und O. Allesamt waren geschockt und hilflos. Manche kamen mit meiner Entscheidung, die Chemo abzubrechen, nicht klar. Die wichtigsten Personen waren für mich da und haben mir zur Seite gestanden. Speziell mein Partner Dirk hat immer an meiner Seite gestanden und dafür bin ich bis heute sehr, sehr dankbar. Ohne ihn würde ich das nicht schaffen.“
Tanja, was ist deine schlimmste Erfahrung mit deiner Erkrankung?
„Die vielen Schmerzen, die Unsicherheit und die Todesangst sind das Schwerste. Gerade in akuten Phasen, umgeben mich immerzu diese Ängste. Ich kann nicht mehr so unbeschwert und frei leben wir früher. Der Gedanke an den Tod schwirrt immer um mich herum. Ich darf mich aber nicht zu oft und zu lang damit beschäftigen. Ich schaue nach vorne und nicht nach hinten.“
Beschäftigst du dich seit der Diagnose also häufiger mit dem Tod?
„Ja, auf jeden Fall. Ich gehe schon durch, wer welche Sachen von mir bekommt und jedes Mal, wenn ich erneut schlechte Nachrichten höre, räume ich alles auf. Das habe ich mir so angewöhnt. Außerdem habe ich mir eine Liste mit Dingen, die ich gerne noch erleben möchte, geschrieben. Das wären zum Beispiel Dinge, wie den Motorradführerschein zu machen oder in die USA zu reisen. Dafür bin ich momentan noch zu schwach, aber das kann ja noch werden, denn schließlich hab ich einen starken Willen. In den letzten Jahren erfüllte ich mir den Wunsch von einem Wohnmobiltrip, einer Gardasee-Rundreise und einem Aufenthalt im Disneyland Paris mit meiner Tochter und meinem Enkel, das war wunderschön.“
Das klingt toll. Konntest du seit Erhalt der Diagnose der Situation etwas Positives abgewinnen? Hat dich die Erkrankung verändert?
„Charakterlich habe ich mich positiv verändert. Ich bin empathischer geworden und interessiere mich viel mehr für meine Mitmenschen. Deshalb bin ich auch dem sozial engagierten St. Wendeler Verein „Ally hilft- Handeln statt hoffen e.V.“ beigetreten, in dem ich mich aktiv einbringe, was mir viel Freude bereitet. Ich bin froh, dass ich nun weiß, was im Leben wirklich zählt. Heute verbringe ich viel mehr Zeit mit meinen Liebsten, das ist wichtig.
Ich war schon immer ein kreativer Mensch und habe mittlerweile schon zahlreiche Dekorationsgegenstände gefertigt. Ich arbeite mit Holz, Beton, Ton und Mosaik, stricke und webe seit neustem auch kleine Dekoteppiche. Dabei kann ich runterfahren, mich ablenken und entspannen. Das macht mir richtig Spaß, lenkt mich ab und bringt mir viele lobende Worte und glückliche Gesichter.“
Was rätst du Menschen, die auch Krebs haben und deshalb große Sorgen und Ängste in sich tragen?
„Es ist ganz wichtig, dass ihr euch mit euch selbst beschäftigt: Was will ich im Leben? Was will ich noch erreichen? Was ist mir wirklich wichtig? Achtet auf euch selbst, ordnet eure Gedanken, indem ihr Negatives aufschreibt. Lernt Nein zu sagen, mutig zu sein und zu dem zu stehen, was ihr wollt. Denkt positiv, lacht viel und tut möglichst viele Dinge, die euch gut tun, Freude bereiten und euch vielleicht sogar Erfüllung verschaffen, denn jeder braucht eine Aufgabe. Lasst euch keinesfalls hängen, pflegt euch und macht euch hübsch. Wenn ihr immer ein bisschen mehr macht, als ihr euch zutraut, dann habt ihr schöne Erfolgserlebnisse.“
Was ist dein Lebensmotto?
„Kämpfe und denke positiv!“
Wenn alles gegen dich zu laufen scheint, erinnere dich daran, dass das Flugzeug gegen den Wind abhebt und nicht mit ihm. [Henry Ford]