„Ein STOP oder ein NEIN ist immer eine nicht diskutable Grenze“

Frauen im St. Wendeler Land – Heike Fischer über Selbstständigkeit, Gewalterfahrungen und den Weissen Ring

Coachin und Mediatorin Heike Fischer ist selbst Opfer von häuslicher Gewalt und Sexismus geworden – Jetzt hilft sie mit ihren Erfahrungen im Weissen Ring e.V. (Foto: Heike Fischer)

In unserer wndn-Serie „Frauen im St. Wendeler Land“ geben Frauen aus dem Landkreis St. Wendel Einblicke in ihr Leben. Ob Single oder Familienmutter, ob Unternehmerin oder Angestellte, wir erfahren, wie sie ihren individuellen Alltag meistern, wie sie mit Herausforderungen umgehen, was ihre Erfahrungen sie gelehrt haben und welche Tipps sie anderen Frauen für bestimmte Situationen und Lebenslagen geben können. Was macht eine starke Frau aus? Unsere Interviewpartnerinnen haben vielfältige und passende Antworten zu dieser Frage. Heute sprechen wir mit Heike Fischer.

Heike Fischer ist 40 Jahre alt und gebürtige St. Wendelerin. Nach 10 Jahren auswärts, lebt sie seit 2 Jahren wieder hier in der Kernstadt mit ihrem Mann und ihrem Sohn. Neben ihrer Selbständigkeit als Coachin und Mediatorin geht sie zum Ausgleich in der Freizeit gerne mit der Familie in den Wald. Außerdem praktiziert sie Qi Gong der Vierjahreszeiten, um sich zu erden und Kraft zu tanken. Ab nächstem Jahr bietet sie vielleicht auch Qi Gong Kurse an, wenn es die Selbständigkeit zeitlich zulässt.

In ihrem Freiberuf begleitet Heike Fischer Menschen und Organisationen in Veränderungs- und Konfliktprozessen. Das kann von der Führungskraft, über die Studentin bis hin zum/zur Geschäftsführer/in jeder sein. Häufig arbeitet sie in der Mediation und der Supervision in großen Organisationen, Kitas und mittelständigen Unternehmen mit Teams, die in jenen Prozessen stecken. Sie liebt was ich tut. Als gelernte Hotelfachfrau und Betriebswirtin kommt sie originär aus einer eher operativen Ecke. Seit 2012 ist sie nun als Coachin unterwegs, seit 2015 seit Supervisorin und seit 2020 als Mediatorin zertifiziert.

Ehrenamtlich betätigt sich Fischer als Opferberaterin bei Weisser Ring e.V. Hierfür hat sie aus einer persönlichen Erfahrung heraus, ein großes Interesse Opfer in ihrer Situation zu unterstützen.

Welche Herausforderungen haben selbstständige Frauen zu meistern?

Viele, nach wie vor würde ich sagen, mehr als männliche Kollegen. Zuerst ist und bleibt es beim leidigen Thema der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Die Kinder zu bekommen ist das eine, aber Corona hat gezeigt, dass ein Unterstützernetz aus Kita und Familie unerlässlich ist. Ist das Kind nun öfter krank, was eben normal ist in dem Alter, muss man ständig schauen wer von den Eltern Zeit hat. Häufig sind es die Frauen, die dann zu Hause bleiben, denn auch sie sind es nach wie vor, die häufig die Teilzeitstellen besetzen. Dann haben wir Frauen außerdem, gesellschaftlich gewachsen und eben anders als bei Männern, ein Thema mit Sichtbarkeit und unserem Selbstverständnis als Unternehmerin. Wir neigen dazu weniger Raum einzunehmen als unsere männlichen Mitstreiter, was wiederum dazu führt, dass wir weniger wahrgenommen werden. Schließlich lernen wir häufig nach wie vor, dass wir als Frau xyz zu tun oder zu lassen haben. Selten wird dies gleichermaßen einem Mann so aufgezeigt oder besser gesagt er-klärt.

Welche sind Ihre Erfolgsgeheimnisse

Mein persönliches Erfolgsgeheimnis liegt im älter werden (lacht). Meine Erfahrung hat mir viel Ruhe und Akzeptanz mitgegeben. Daneben habe ich als größten Erfolg in meinem Leben verbucht, mich selbst gefunden zu haben. Ab da fühlte ich mich erfolgreich und das ist der erste Schritt für eine erfolgreiche Frau. Ich sprach ja schon die Akzeptanz an, es ist wichtig sich beim Thema Selbstannahme so zu sehen, anzunehmen und zu lieben, wie man ist. Veränderungspotential haben wir alle, aber zunächst sind wir genau gut so wie wir sind. Das zu lernen ist der erste Schritt in ein wirklich erfolgreiches Leben und Business.

Womit stehen sich Frauen selbst im Weg?

Wie schon zuvor gesagt, in erster Linie mit ihrem Selbstverständnis. Wir Frauen untereinander stehen uns aber auch noch zusätzlich oft im Weg. Wir vernetzen uns weniger als Männer, bitten weniger um Unterstützung und glauben alles alleine schaffen zu müssen und zu können. Dabei ist ein Netzwerk mit Frauen, die Ähnliches schultern, so wichtig. Gerade jüngst habe ich mich fachlich dazu ausgetauscht, dass wir Frauen auch oft nicht offen im Umgang miteinander sind. Hier wird immer noch zu häufig konkurriert statt integriert. Was mit Verlaub gesagt, völliger Schwachsinn ist. Der Markt ist groß genug für alle und wir können uns nur gegenseitig bereichern und unterstützen. Wenn es dann wiederum um Konkurrenz zu männlichen Kollegen geht, sind wir häufig nicht kantig genug. Wir Frauen arbeiten hier an einem großen Entwicklungsprozess, trotz Emanzipation ist hier noch viel Luft nach oben. Der erste Schritt liegt wie gesagt in uns und der zweite aus meiner Sicht in der Vernetzung bzw. Sichtbarkeit.

Was macht eine starke Frau aus?

Ich glaube ganz ehrlich, so aus meiner Erfahrung als Coachin und Opferberaterin, dass jede Frau eine angeborene unbändige Stärke in sich hat. Dennoch fehlt bei einigen Frauen ein wichtiger Entwicklungsschritt. Zu wissen, wer man ist, was und wen man will und wieviel davon. Ob es nun um Status, Familie, Liebe und Berufung geht ist egal. Ich sollte als Frau im Laufe meiner Entwicklung Antworten auf all diese Fragen finden dürfen. Ich nenne das Selbstwirksamkeit in der Selbstannahme, hier können wir unser Leben aktiv gestalten unter Berücksichtigung unserer Umstände.

Wie sehen Sie das Thema Gleichberechtigung in der Partnerschaft?

Ich sehe es so, dass Gleichberechtigung in der Partnerschaft dann anfängt, wenn wir aufhören diese Frage zu stellen. Es ist doch selbstverständlich, dass Mann und Frau gleichberechtigt sind. Ist dies nicht so, ist es für mich keine Partnerschaft auf Augenhöhe. Nun werden die ein oder anderen Frauen die Augen rollen, schließlich machen sie den Teilzeitjob, während Mann das Geld heimbringt. Ja, das war bei uns teilweise auch so und dennoch habe ich diese Rolle niemals für mich angenommen. Denn was ich annehme und wie ich mich fühle, entscheide ich als Frau selbst. Ich habe in der Zeit schließlich Haus und Kind versorgt und glauben Sie mir, manchmal habe ich mir gewünscht ich dürfte mehr arbeiten. Ich liebe meine Familie aber eben auch meine Arbeit. Durch Corona brachen für mich einige laufende Aufträge weg, so dass ich besser diese Rolle einnehmen konnte als mein Mann. Wäre es umgekehrt gewesen, hätte es bei uns keine Diskussion gegeben mit der umgekehrten Rollenverteilung. Mein Mann kocht und backt wesentlich besser als ich und hilft im Haushalt genauso mit.

Wie vereinbaren Sie Familie und Job?

Dazu habe ich ja schon einiges gesagt. Über Corona ist vieles anders geworden und wir arbeiten gerade daran, all das wieder neu zu verteilen und zu strukturieren, unsere Kalender sind beide prall gefüllt. Natürlich bedarf es da ab und an auch Verteilungskämpfen in der Partnerschaft, keiner von uns beiden gibt freiwillig etwas ab bzw. nimmt zusätzliche Aufgaben einfach an. Hier hilft das Mediationsprinzip der Win-Win-Lösung. Und dennoch muss man sagen, wenn das Kind krank zu Hause ist, muss einer der beiden Elternteile einen Teil seiner Tagesplanung ändern und/oder aufgeben.

Welchen Platz haben Frauen Ihrer Meinung nach in der Gesellschaft?

Das ist keine leichte Frage, da die Beantwortung nicht ohne Generalisierungen in die weibliche, wie die männliche Richtung auskommt. Generell ist es nach wie vor so, dass Frauen in „der Oberliga nicht mitspielen dürfen“. Es ist keine Selbstverständlichkeit, dass eine Frau gleichberechtigt in eine Spitzenposition kommt (8,7% Frauenanteil in Aufsichtsräten). Nicht umsonst haben wir die Frauenquote eingeführt, was ich rückblickend für einen notwendigen Schritt erachte, auch wenn dies nur 105 Unternehmen in Deutschland betrifft. Bevor ich mich damit beschäftigt habe, hatte ich mich wesentlich emanzipierter gefühlt als ich es wirklich war bzw. bin. Erst bei der intensiven Auseinandersetzung und Reflektion mit weiblicher Emanzipation fielen mir viele Selbstverständlichkeiten auf, die ich als gegeben hinnahm. Sollten sie aber nicht mehr sein im Jahr 2023!

Ich habe viele Geschäftsführerinnen und weibliche Führungskräfte im Coaching. Die meisten haben Themen im Bereich Sichtbarkeit, Durchsetzung und Souveränität. Wenn man diese weiblichen Themenfelder nun in den gesellschaftlichen Kontext setzt, wird einem vieles klarer und es ist auch leichter an den entsprechenden Stellschrauben zu drehen. Hier sind eingepflanzte Glaubenssätze und Werte ein großes Thema, diese wurden uns durch die Erziehung und die Gesellschaft vermittelt. Glücklicherweise sehe ich bei der Generation Z hier deutliche Entwicklungen in die „richtige Richtung“. Diese Generation Frauen und Mädchen erlaubt es sich zu sagen, dass sie Erwartungen und Wünsche an das Leben und ihr Umfeld hat. Nun muss nur noch die Arbeitswelt mitwachsen, da gibt es Stichworte wie „New Work“ etc.

Welche Erfahrungen haben Sie in Ihrem Leben mit Sexismus gemacht?

Schlimme und weniger schlimme. Ich arbeitete ja in der Gastronomie, seit ich 14 Jahre alt war und ich machte viele Praktika in der Bank und in Büros. Sexistische Aussagen habe ich täglich gehört „Mal sehen ob Dein Kopf nur dafür da ist eine schöne Frisur dran zu machen“, aber eben auch körperliche Übergriffe. Mir wurde mal eine gusseiserne Pfanne hinterhergeschmissen, wo ich gerade noch eine Tür zwischen uns bringen konnte. Ich wurde sowohl von Gästen als auch Chefs an den Hintern gefasst und am Arm festgehalten. Ich wurde angeschrien und herabgewürdigt behandelt, sollten mir die Tränen eingeschossen sein wurde ich dann gefragt, ob ich etwas sensibel sei und ob ich meine Periode bekäme. Selbst als ich mit 30 Jahren in einen Konzern in die Geschäftsführung einstieg, in der Führung waren ausschließlich 6 weitere Männer, sagte mein Chef zu mir „laufen Sie nicht rum wie eine arrogante Hoteltussi“. Daran sieht man, dass ich selbst lange gebraucht habe, um das Selbstverständnis zu bekommen, mir so etwas sofort und auf der Stelle zu verbitten. Egal wo, egal wie, egal wer dabei ist: ein STOP oder ein NEIN ist immer eine nicht diskutable Grenze.

Wie sieht Ihre Arbeit für den Weisse Ring e.V. konkret aus?

In der Regel kontaktieren uns die Opfer über unser Opfertelefon unter 116 006 oder sie rufen direkt in unserer Außenstelle des Landkreises St. Wendel an. Der Außenstellenleiter kontaktiert dann einen von uns Opferberater:innen. Wir gehen immer zu zweit zu einer Opferberatung. Die Beratungen finden entweder bei den Opfern zu Hause vor Ort statt oder bei der Polizeiinspektion St. Wendel. Die Polizeiinspektion St. Wendel arbeitet auch eng mit uns zusammen und händigt Opfern bereits Informationsmaterial von uns aus und klärt über unsere Existenz auf.

Die Opferfälle sind sehr unterschiedlich, von Gewalt, häuslicher Gewalt über Stalking, Mobbing bis hin zu Betrug und vieles mehr, beraten wir alle Kriminalitätsopfer und Angehörige. Wir geben Halt, Informationen und unterstützen in diesen Situationen mit unterschiedlichsten Hilfsangeboten. Oft brauchen Kriminalitätsopfer neben der Beratung auch psychosoziale Unterstützung oder eine Rechtsberatung. Wir können hier vermitteln und beraten was zu tun ist, manchmal auch mit sofortiger materieller Unterstützung. Die Opfer profitieren hier sehr von unserer Erfahrung als größtem Verein in Deutschland.

Darüber hinaus engagiert sich der Weisse Ring e.V. aber auch politisch für die Rechte von Opfern und in der Prävention von Straftaten. Zur Prävention des so genannten Enkel Tricks gibt es gerade eine aktuelle Kampagne „Enkeltrick & Co“. Hier engagieren wir uns momentan in den Kommunen im Landkreis mit Info Ständen, zusammen mit der saarländischen Polizei und dem Innenministerium.

Was raten Sie Frauen/Mädchen, die Opfer von (häuslicher) Gewalt geworden sind?

Puh, da ich selbst mit 21 Jahren Opfer häuslicher Gewalt durch den Partner wurde und weiß, wie groß die Scham in diesem Moment ist, würde ich lieber eine Einladung aussprechen wollen: Nehmt doch bitte immer Kontakt mit dem Weissen Ring e.V. auf, wir helfen Euch völlig anonym und unverbindlich. Es kann jedem passieren ein Opfer zu werden, egal wie alt und welches Geschlecht. Aus meiner Sicht kann jeder Opfer werden und die Verantwortung hierfür liegt niemals beim Opfer sondern immer beim Täter. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass es sich anders anfühlt, und man glaubt man hätte eine Mitverantwortung als Opfer. Aber lasst mich hier ein klares NEIN ausrufen. Niemand ist vor einem Übergriff gewappnet und kann dies einer Täterin/einem Täter vorher ansehen. Also lade ich alle Opfer von (häuslicher) Gewalt und anderen Straftaten ein, uns zu kontaktieren und das zerstörte Vertrauen bei uns wiederzugewinnen. Wir können helfen!

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