“Erfahrungen, die sich niemand vorstellen kann“

 

Über die Flüchtlingskrise wird viel gesprochen und geschrieben. Aber auch im St. Wendeler Land gibt es Ehrenamtler, die anpacken statt zu schwadronieren.

Hierzu gehören die Mitglieder des Vereins „Volcano e.V.“, die sich bisher vor allem mit dem gleichnamigen Musikfestival in Theley hervorgetan haben. Das Team um Vereinsvorsitzenden Yannick Meisberger hat sich nun auch der Flüchtlings- und Jugendhilfe verschrieben.

wndn.de hat nachgefragt.

Kochnachmittag in Theley. Bild: Flüchtlingshilfe Schaumberg
Kochnachmittag in Theley. Bild: Flüchtlingshilfe Schaumberg

Yannick Meisberger, hört man den Namen „Volcano“, zieht man gleich die Verbindung zum Festival in Theley. Nun widmen Sie sich auch der Flüchtlingshilfe. Wie passt das zusammen?

Yannick Meisberger: Ja, die meisten Menschen im Landkreis St. Wendel werden unseren Namen tatsächlich durch unser Musikfestival kennen, das wir 2016 schon zum achten Mal veranstalten werden.
Aus der Organisation unseres Events haben sich im Laufe der Zeit dann aber einige Personen zusammengefunden, die aus selbstverwalteten Kontexten heraus den Anspruch der Förderung der offenen Jugendarbeit teilten.
Da sich der Verein seit jeher gegen jegliche Art der Diskriminierung stark macht, Rassismus zutiefst verurteilt und für Offenheit steht, liegt nichts näher, als seine Fähigkeiten und Ideen zu nutzen, um Menschen zusammenzubringen.
Wir haben in diesem Zusammenschluss nun nicht nur die Idee der Flüchtlingshilfe. Natürlich ist aktuell überall der Bedarf groß und dem wollen wir gezielt nachgehen. Jedoch heißt Flüchtlingshilfe einerseits für uns, dass wir ressourcenorientiert da anpacken, wo wir unterstützen können, und auf der anderen Seite nichts anderes als Jugendarbeit.
Denn es ist völlig egal, welchen Hintergrund die Kids haben – in der offenen Jugendarbeit möchten wir eine selbstverwaltete Jugendkultur fördern, unabhängig von Religion und Herkunft.

 

Welche Aufgaben haben sich Ihre Vereinsmitglieder dabei auf die Fahnen geschrieben?

Yannick Meisberger: Aktuell widmen sich unsere Vorstands- und Vereinsmitglieder vor allem unserem Projekt „together“.  Als wir mit diesem Projekt starteten, waren uns die Gedanken an eine regionale Kleiderkammer, einen offenen Jugendtreff, Patenschaften und Benefizveranstaltungen wichtig. In Kooperationen mit der Gemeinde und der Flüchtlingsarbeit am Schaumberg sind wir unserer entstandenen Agenda dann nachgegangen.
Zurzeit hat ein Kooperationsteam viele, viele Kleiderspenden sortiert und die vorübergehende Räumlichkeit der Kleiderkammer bezogen; diese steht in den Startlöchern. Schon sehr bald werden die Öffnungszeiten bekannt gegeben.
In Zusammenarbeit mit dem Team des Jugendzentrum Tholeys hat Volcano letzte Woche den offenen Jugendtreff installiert. Jeden Mittwoch um 17.30 Uhr öffnen die Türen des JuZ jetzt zusätzlich zu den Montagen und dazu sind alle Jugendlichen der Gemeinde herzlich eingeladen. Es wird gekickert, gespielt, geplant und viel gelacht.  Ganz nebenbei lernen unsere neuen Mitmenschen deutsch – und ich habe auch schon sehr viele arabische Vokabeln gelernt. Einige Personen aus unserem Kreis sind gezielt in die Arbeit der Patenschaft eingestiegen und unterstützen die geflüchteten Menschen nach ihrer Ankunft in der Gemeinde Tholey bei den ersten Amtsschritten, wie zum Beispiel durch Begleitung zum Sozialamt, Jobcenter, Konto einrichten, Arztbesuchen uvm. Diese Arbeit nimmt sehr viel Zeit in Anspruch, da die Ehrenamtlichen auch Aufgaben übernehmen, die von offiziellen Stellen nicht übernommen werden und teilweise untergehen.
Die Paten der Gemeinde Tholey, zumeist Einzelpersonen aus einem Kreis um Flüchtlingsarbeit am Schaumberg, Ein Nest für Straßenkinder e.V., Kirche, Volcano und Gemeinde, leisten eine großartige Arbeit.
Und zu guter Letzt haben wir zu Beginn unseres „together“- Projektes die Planung einer Benefizveranstaltung gestartet. WELCOME to Tholey betitelt den bunten Nachmittag und Abend, den wir am 21. November in der Kulturhalle in Hasborn durchführen werden.

 

flyerfrontDavon hat man schon gehört.  Was wird man dort erwarten? Was versprechen Sie sich von der Veranstaltung?

Yannick Meisberger: Es gilt immer wieder den Ängsten und Befürchtungen der Menschen Fakten entgegenzusetzen.
Über hundert Menschen, die nach der Flucht hier gelandet sind, leben in einer Bevölkerung, ohne dass man sich je gesehen, geschweige denn gesprochen hat. Wir möchten allen hier lebenden Mitbürgern und Mitbürgerinnen die Chance geben, sich kennenzulernen.
Was würde sich da mehr anbieten, als bei Musik und leckeren Speisen die Möglichkeit der Begegnung zu nutzen, während die Kinder bei einem netten Programm von erfahrenen Betreuern und Betreuerinnen beschäftigt werden?

Wir konnten für diesen Nachmittag und den Abend den bekannten Zauberer Markus Lenzen und die namhaften Singer/Songwriter Tim Krämer und Steffen Jung gewinnen.
Außerdem hat Herr Bürgermeister Schmidt die Schirmherrschaft übernommen.
Der Eintritt am 21.11.2015 ist frei und es wird Kaffee und Kuchen und warme Leckereien für kleines Geld geben. Der gesamte Erlös fließt in bestehende Projekte der Flüchtlingshilfe in der Gemeinde Tholey, wie zum Beispiel die Kleiderkammer.
Wir freuen uns natürlich auch über jede Spende.

Welche Erfahrungen haben Sie ganz persönlich in der Flüchtlingshilfe gemacht? Gibt es eine Geschichte oder eine Situation, die Sie besonders geprägt hat?

Yannick Meisberger: Ein vierzehnjähriger Junge kam in Tholey an, nachdem er sich alleine, ohne Familienmitglieder über Ungarn und Österreich durchgekämpft hat. Seine Papiere und Besitztümer gingen durch behördliche Strapazen verloren und so erreichte er unsere Gemeinde ohne alle nötigen Schriftstücke.
Er hat Erfahrungen gemacht, die sich kein Jugendlicher oder Erwachsener hier auch nur ansatzweise vorstellen kann. Bei meiner ersten Begegnung mit ihm hier bei uns, in einem Kreis von Cousins wirkte er erleichtert. Er lächelte. War zufrieden mit dem Jetzt und verdrängte das, was war. Wie lange das geht, wer weiß.
Er musste von dort aus aber weiter, um die bürokratischen Bedingungen abzuklären und die europäischen Hürden zu nehmen und konnte nicht bei seiner Verwandtschaft bleiben.
Ich hoffe, dass er schon sehr bald da ankommen wird, wo er sich sicher und wohl fühlen kann.

 

Immer wieder liest man Horrorgeschichten von Vergewaltigungen und Raubzügen? Ist die Angst berechtigt, die viele Bürger, vor allem in den sozialen Medien, verbreiten?

Yannick Meisberger: Nein. Berechtigt ist eine Angst vor tatsächlich stattfindender, rechter Gewalt und ein Handeln dagegen notwendig.
Die Generation von jetzt bestimmt die Geschichte von heute. Die Bevölkerung sollte also nicht wegsehen, wo rassistische Ressentiments entstehen, sondern darauf zeigen und da anpacken, wo man mit seinen Möglichkeiten helfen kann.
Die Menschen, die ich kennenlernen durfte, die die Strapazen einer Flucht auf sich genommen haben und schließlich hier ankamen, sind sehr herzlich und dankbar hier sein zu dürfen. Dementsprechend sollten wir sie auch aufnehmen.

 

Welche Probleme sehen Sie in naher Zukunft in der Flüchtlingsfrage?

Yannick Meisberger: Wenn die professionelle Sozialarbeit nicht zeitnah aufgerüstet wird, konzeptionell, personell und finanziell, werden die Fachkräfte und ehrenamtlichen Helfer und Helferinnen in naher Ferne erschöpft sein und eine adäquate Arbeit nicht mehr leisten können.

Wohin kann man sich wenden, wenn man sich gerne in der Flüchtlingshilfe beteiligen möchte?

Yannick Meisberger: In der Gemeinde Tholey sind die Flüchtlingsarbeit am Schaumberg, Gemeindemitarbeiter und –mitarbeiterinnen, die Kirche, Das Nest für Straßenkinder e.V und der Volcano e.V. in einer bestehenden Kooperation aufgestellt. All diese Zusammenschlüsse können jedem Interessierten seinen Ideen entsprechend gerecht werden und freuen sich zudem jederzeit über tatkräftige Unterstützung. Erreichen kann man uns über die jeweiligen Facebookseiten. Schnellstmöglich melden wir uns auf jegliche Anfragen.

Vielen Dank für das Interview und viel Erfolg weiterhin in Ihrer Arbeit.

Im Folgenden haben wir euch alle relevanten Kontaktseiten aufgelistet.

Volcano e.V. 

Flüchtlingsarbeit am Schaumberg

Nest für Straßenkinder e.V.

Natürlich könnt ihr euch auch einfach an unsere Redaktion wenden. Wir vermitteln euch dann den Kontakt.

Wenn ihr selbst in der Flüchtlingshilfe tätig seid und ebenfalls eure Erfahrungen teilen wollt, dann schreibt uns doch einfach eine Mail an redaktion[at]wndn.de .

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