Von Baumkronen zu Bühnenlichtern

Die Leidenschaften des Tenors Manuel Horras aus Bliesen

Doppelbelichtung Manuel Horras / Rolle des Bardolfo in der Oper Falstaff von Giuseppe Verdi (Foto und Komposition: Karin Schüßler)
Doppelbelichtung Manuel Horras / Rolle des Bardolfo in der Oper Falstaff von Giuseppe Verdi (Foto und Komposition: Karin Schüßler)

Jeder Mensch trägt Geschichten in sich. Doch manchmal begegnen wir Menschen, deren Geschichten uns fesseln. So erging es mir bei der ersten Begegnung mit Manuel Horras aus Bliesen, der einen eigenen forstwirtschaftlichen Betrieb leitet, Baumfällarbeiten durchführt, unsere Wälder aufforstet, gleichzeitig ein Haus gebaut hat, Vater von zwei Töchtern geworden ist und zweimal täglich zwecks Proben nach Saarbrücken fährt. Denn Manuel Horras singt als Tenor am Saarländischen Staatstheater in Saarbrücken. 

Karin Schüßler, wndn.de: Manuel, bitte stelle dich uns vor.

Manuel: Ich bin 37 Jahre alt, verheiratet, Vater von zwei Töchtern und wohne in St. Wendel-Bliesen. 

Vor etwa zwei Jahren lernten wir uns kennen, als du uns als Holzlieferant für unseren Kaminofen empfohlen wurdest. Gleichzeitig suchten wir dringend einen Holzhauer, der professionell eine hohe, morsche Fichte sicher entfernen kann, um das Nachbargrundstück zu schützen. Während unseres Gespräches überraschte deine Bemerkung: „Ich fahre täglich zweimal zu Proben am Saarländischen Staatstheater in Saarbrücken. Ich singe als Tenor.“ Dieser Spagat zwischen dem Holzhauer Manuel und dem Tenor Manuel macht mich neugierig… 

Der musikalische Weg zur Bühne

Wie begann dein Weg in die Welt der klassischen Musik und was führte dich schließlich als Tenor auf die Bühne und in den Opernchor des Saarländischen Staatstheaters?

Manuel: Ich war bereits als kleiner Junge fasziniert von dem Spiel der Kirchenorgel, klassischer Musik und klassischem Gesang von Tenören wie Luciano Pavarotti, Plácido Domingo und José Carreras. Im Alter von neun Jahren wünschte ich mir zu Weihnachten eine CD mit klassischer Musik, und zwar die Toccata in d-Moll von Johann Sebastian Bach. Unter der Dusche versuchte ich schon damals, den Gesang der großen Tenöre nachzuahmen und all dies, obwohl klassische Musik in unserer Familie überhaupt keine Rolle spielte.

Meine musikalische Laufbahn begann ich in zwei Kinder- und Jugendchören, zunächst in Urexweiler unter der Leitung von Rolf Mohr und später in Bliesen unter der Leitung von Christoph Demuth. Christoph Demuth, der Schulmusik mit dem Hauptfach Orgel studiert hatte, unterrichtete mich zunächst im Klavierspiel und später in Kirchenorgel. 

Nach dem Fachabitur studierte ich Kirchenmusik an der Hochschule für Kirchenmusik in Rottenburg. Das Studium schloss ich mit dem C-Examen ab und qualifizierte mich dadurch für die Optionen nebenberuflicher Tätigkeiten als Kirchenmusiker und Chorleiter. Gleichzeitig absolvierte ich eine Aufnahmeprüfung im Fach Gesang an der Musikhochschule in Saarbrücken, erhielt einen Studienplatz und widmete mich dem Studium des klassischen Gesangs mit Schwerpunkt Operngesang. Parallel zum Studium wurde mir im Alter von 21 Jahren eine Stelle als Kirchenmusiker in der Gemeinde Oberthal angeboten, wo ich daraufhin als Organist und Chorleiter tätig war. Nach einigen Jahren beendete ich diese Anstellung, um ein Engagement als Opernsänger am Saarländischen Staatstheater anzutreten.

Manuel Horras als Holzhauer (Foto: privat)

Die Liebe zur Arbeit im Wald

Spielte die Forstwirtschaft, die auf den ersten Blick keinen Bezug zur Musik hat, während dieser Jahre bereits gedanklich eine Rolle in deinem Leben?

Manuel: Nach Abschluss der Mittleren Reife spielte ich mit dem Gedanken, eine Ausbildungsstelle beim Saarforst Landesbetrieb in Eppelborn zu beginnen, absolvierte aber zunächst das kaufmännische Fachabitur. 2016 war ich hin- und hergerissen zwischen der erneuten Option einer Ausbildung zum Forstwirt und dem Angebot des Saarländischen Staatstheaters, nach einem Vorsingen die Rolle des Bardolfo in der Oper Falstaff von Giuseppe Verdi zu übernehmen. Ich entschied mich für die Gesangskarriere. 

Opernsänger am Saarländischen Staatstheater

Kannst du mir erläutern, wie sich Engagements am Saarländischen Staatstheater gestalten? Werden dort überwiegend Engagements in Festanstellung oder projektbezogen angeboten? 

Manuel: Es gibt am Saarländischen Staatstheater zwei Optionen, engagiert zu werden, entweder als festes Ensemble-Mitglied oder als freischaffender Künstler mit Stückvertrag. Ein Engagement als Solist ist spannend, aber auch herausfordernd. Das Solisten-Dasein erfordert viel Flexibilität, weil man als freischaffender Künstler an mehreren Opernhäusern singt. Dies kann problematisch werden, wenn man eine Familie hat. 

Aufgrund meiner familiären Situation nahm ich zunächst eine frei gewordene Stelle im Opernchor mit zusätzlich kleineren solistischen Rollen an. Mittlerweile bin ich in Festanstellung und singe nun schon seit neun Jahren im Opernchor. Eine Solistenkarriere kommt für mich wegen meiner Familie nicht mehr in Frage.

Wie kann ich mir die Proben vorstellen? Wie viele Proben finden wöchentlich statt, und wie lange dauern die Proben in der Regel? Wie viele Auftritte kommen durchschnittlich auf dich jährlich zu? 

Wir singen etwa 120 Veranstaltungen pro Jahr. Die Corona-Pandemie führte zu einem deutlichen Rückgang der Auftritte, auch am Saarländischen Staatstheater. Zuvor hatte ich zusätzlich jährlich an etwa 30 bis 40 Kirchenkonzerten im Saarland teilgenommen, darunter auch in der Basilika von St. Wendel mit einer Aufführung des Mozart Requiems. Im Rahmen der Musikfestspiele Saar übernahm ich als Solist die Hauptrolle in Paul McCartneys Liverpool Oratorium. Weiterhin wirkte ich solistisch mit bei einer Aufführung des weltbekannten Komponisten Karl Jenkins, bei Aufführungen von Carmina Burana u.v.m…

Der Montag ist mein freier Tag, während ich von Dienstag bis Sonntag jederzeit verfügbar sein muss. Vor der Premiere eines neuen Stückes finden etwa sechs Wochen vorher szenische Proben statt, die morgens und abends jeweils drei Stunden dauern. Hinzu kommt die Fahrzeit zwischen Bliesen und Saarbrücken. Für Freizeitgestaltung und weitere Hobbys oder das Pflegen von Sozialkontakten bleibt dadurch leider nicht viel Zeit.

Manuel Horras privat…

Wie entwickelte sich dein Privatleben in dieser Zeit?

Manuel: Ich heiratete meine Lebensgefährtin, und kurz darauf wurde unser erstes Kind geboren. Gleichzeitig begannen wir mit dem Bau unseres Hauses, bei dem wir – mit Unterstützung eines Maurers und Familienmitgliedern – den Rohbau weitgehend in Eigenleistung erstellten. Sogar das Holz für das Dachgebälk schlug ich eigenhändig im Wald. Die Einschränkungen der Auftritte durch die Corona-Pandemie ermöglichten es mir, mehr Zeit für andere Verpflichtungen aufzubringen. In dieser Phase wurde unsere zweite Tochter geboren. Meine Frau ist zudem berufstätig und arbeitet als Lehrerin. Sie brachte zwei Islandpferde mit „in die Beziehung“, um die ich mich täglich kümmere.

Ich habe außerdem einen Jagdschein. Die Jagd ist für mich kein Hobby, sondern eine Passion, ein Handwerk, das ich mit großem Respekt vor der Schöpfung ausübe.  

Einmal St. Wendeler, immer St. Wendeler!

Manuel, den Erziehungsurlaub nach der Geburt eurer zweiten Tochter nimmst du dieses Mal in Anspruch. Ab August beginnen wieder die Proben am Staatstheater. Bist du nie auf die Idee gekommen, das St. Wendeler Land zu verlassen und der Einfachheit halber nach Saarbrücken zu ziehen? Was hält dich in deiner Heimat?

Manuel: Einmal St. Wendeler – immer St. Wendeler! Ich habe das typische Saarländerproblem: Man will nicht weg von dem, was man kennt. Ich fühle mich fest verwurzelt im Kreis St. Wendel und finde, es gibt keinen schöneren Platz auf der Welt. Auch Überlegungen, im Ausland zu singen, empfand ich eine Zeitlang als reizvoll. Aber etwas in mir hielt mich jeweils zurück, diese Schritte zu gehen.

Forstwirtschaftliches Nebengewerbe

Du hast deine Liebe zum Wald nie aufgegeben. Mit der Entscheidung, sich im Bereich der Forstwirtschaft selbstständig zu machen, hast du einen Weg gefunden, beide beruflichen Leidenschaften, die Liebe zum Gesang und die Liebe zur Arbeit im Wald, zu verbinden. Wie kann ich mir dein forstwirtschaftliches Nebengewerbe vorstellen und wo siehst du dich in 10 Jahren?

Manuel: Ich werde mich nie gänzlich festlegen können auf den Gesang oder die Forstwirtschaft. Ich liebe meine Anstellung als Opernsänger am Staatstheater mit großartigen Kollegen und Kolleginnen und ich liebe die Arbeit im Wald, bei der Resultate unmittelbar sichtbar sind. In meinem Nebengewerbe biete ich alle forstwirtschaftlichen Arbeiten an wie Pflanzungen, Kulturpflege, Jungbestandspflege, Holzeinschlag, Problembaumfällungen, Heckenschnitt sowie Grünpflegearbeiten. 

Am Saarländischen Staatstheater befinde ich mich in einer Festanstellung. Ich hoffe, diese Position bis zur Pensionierung beizubehalten. Die Arbeit im Wald bietet mir einen Ausgleich zur anspruchsvollen Arbeit als Künstler, die sowohl körperlich als auch mental anstrengend ist. Aus diesem Grund sind auch persönliche Freiräume wichtig.  

Fast 50.000 Bäume – Aufforstung des St. Wendeler Stadtwaldes

Gibt es noch ein Thema, worüber du gerne etwas erzählen möchtest?

Manuel: Seit ca. fünf Jahren erhalte ich Aufträge zur Aufforstung des St. Wendeler Stadtwaldes. Mit meinem Team konnte ich in diesem Zeitraum bereits ca. 50.000 klimaresistentere Baumsetzlinge, darunter Edellaubhölzer, Esskastanien, Bergahorn, Winterlinde u. a. pflanzen. Nach dem 2. Weltkrieg war es notwendig, für den Wiederaufbau schnellwachsende Bäume wie Fichten anzupflanzen. Und auch heute werden wir nicht daran vorbeikommen, Bäume zu setzen, die schnelle Erträge ermöglichen (z. B. Douglasien). Denn Bauholz wird immer gebraucht werden.  

Ich empfehle, zertifiziertes einheimisches Holz zu kaufen, denn es gibt Länder, in denen mafiöse Strukturen für Kahlschläge sorgen, um an das „schnelle Geld“ zu kommen. Dabei ist auch der Umweltgedanke überaus wichtig, vor allem in Hinblick auf die nachfolgenden Generationen, für die wir Verantwortung tragen. An Kompromissen kommen wir aber auch beim Klima- und Umweltschutz nicht vorbei.  

Deine beeindruckende Mitwirkung bei der Aufforstung des Stadtwaldes sowie von Waldgebieten im Landkreis ist eine überaus wertvolle Arbeit, deren Wert für künftige Generationen kaum zu bemessen ist. Auch ich sehe es so. Bei allen politischen Problemen dieser Zeit dürfen die Umwelt und das Klima nicht vergessen werden. 

Wie nimmst du derzeit die nationalen und internationalen Konfliktthemen und Konfliktherde wahr. Was macht das mit dir?

Manuel: Da zitiere ich ganz kurz große Männer unserer Geschichte: „Denk ich an Deutschland in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht (Heinrich Heine) oder ein Zitat aus der Kirchenkantate (BWV 21) von Johann Sebastian Bach – „Ich hatte viel Bekümmernis in meinem Herzen“. 

Vielen Dank, Manuel, dass du so offen und ausführlich über dein spannendes Leben berichtet hast. Ich freue mich darauf, dich in einem deiner nächsten Konzerte live zu erleben

Möchtest du den Lesern Kontaktdaten hinterlassen, über die sie dich als Sänger oder für forstwirtschaftliche Arbeiten erreichen können?

Manuel: Es ist schwierig, mich telefonisch zu kontaktieren. Aber ich bin über meine E-Mail-Adresse erreichbar: bauerstallerforst@gmx.de

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