„Camino Portugues- der portugiesische Jakobsweg – von Porto bis Santiago de Compostela- ein Interview mit den Pilgern Natalie Berger und Thomas Kessler

Wer kennt sie nicht? Die wohl berühmtesten Pilgerwege, die quer durch Europa führen und die Grabstätte des Apostels Jakobus in Santiago de Compostela zum Ziel haben? Die Jakobswege.
Der bekannteste Jakobsweg ist der „Camino Francés“, der von den Pyrenäen über 800 Kilometer nach Santiago de Compostela führt. Natalie, 38 Jahre, Produktionsmitarbeiterin und Thomas, 54 Jahre, Energieanlageelektroniker aus Hofeld haben den weniger überlaufenen portugiesischen Jakobsweg gewählt, der in Porto beginnt und im 280 Kilometer entfernten Santiago de Compostela mündet. Wir haben uns mit den beiden Pilgern über ihren Trip unterhalten und dabei einige interessante und nützliche Tipps für diejenigen zusammengestellt, die ebenfalls mit dem Gedanken spielen, den Jakobsweg zu gehen.

Was war euer Antrieb einen Jakobsweg zu gehen und warum habt ihr gerade den „Camino Portugues“, also den portugiesischen Jakobsweg ausgewählt?

Natalie „ Dieser Gedanke entstand im Sommer letzten Jahres unter anderem bedingt durch meine Krebserkrankung. Rund sechs Monate später um die Weihnachtszeit 2018 beschlossen wir dann diese Idee definitiv in die Tat umzusetzen um gemeinsam neue Erfahrungen zu sammeln. Weiterhin kamen Gründe wie Trauerbewältigung und einfach mal eine Auszeit vom stressigen Alltagstrubel zu nehmen hinzu.

Thomas: „ Den portugiesischen Jakobsweg haben wir einerseits ausgesucht, weil er in 17 Tagen Urlaub zu schaffen war und andererseits, weil uns die geographische Lage direkt an der Atlantikküste, durch Portugal und Spanien, sehr zugesagt hat.“

Wie habt ihr beiden euch auf die Reise vorbereitet?

Thomas: „ Körperlich haben wir uns überhaupt nicht vorbereitet. Wir wussten damals noch gar nicht auf was wir uns einließen. In der Facebook- Gruppe „Camino Portugues – das Orginal“ haben wir uns etwas informiert und die Einträge der Reisecommunity verfolgt. Diese Gruppe können wir jedem empfehlen, denn da hat man immer kompetente Ansprechpartner und erhält nützliche Informationen.
Wir stellten uns eine Liste an Dingen zusammen, die man unbedingt benötigte und ansonsten sind wir das Ganze unkompliziert als Last Minute Packer angegangen. Beim Packen der Rücksäcke stand Minimalismus an erster Stelle. Die Rucksäcke hatten nicht mehr als sieben Kilogramm Gewicht. Unserer Erfahrung nach gibt es wirklich einige Leute, die das Ganze so spontan wie wir organisieren und sich vor der Reise lediglich um Ausrüstung kümmern, man sollte das alles nicht zu eng sehen. Unser Plan B falls wir den Weg, aus welchen Gründen auch immer, nicht geschafft hätten, wäre es gewesen uns einen schönen Ort auszusuchen, dort zu verweilen und dann später mit dem Zug nach Santiago de Compostela zu fahren.“

Natalie: „Wir nahmen entgegen vieler Meinungen keine Wanderschuhe, sondern einfach nur bequeme Turnschuhe und richtig gute Wandersocken mit. Außerdem pro Person ein paar T-Shirts, wenig Unterwäsche, eine lange Hose, eine Regenjacke, eine Windjacke, Badebekleidung, ein Paar Flip Flops, zwei Handtücher, einen Schlafsack, Fuß- und Sonnencreme mit hohem Lichtschutzfaktor, eine Sonnenbrille und die wichtigsten Körperpflegeprodukte mit. Zudem hatten wir noch Erste Hilfe Utensilien wie beispielsweise Magnesium, Ibuprofen und Pflaster mit dabei. Über unser Smartphone haben wir uns morgens immer spontan Unterkünfte gesucht, da wir nur für die ersten zwei Tage in Porto ein Hostel gebucht hatten.“

Wie würdet ihr beiden euren Reiseweg beschreiben?

Thomas: „Unser Start war an der uralten bekannten Kirche „Igreja Sao Francisco“ in Porto, von der wir unbeschwert einfach mal los gingen. Viele Pilger übernachten für 16 bis 20 Euro pro Person in den Refugios, das sind riesig große Schlafsäle mit beispielsweise 50 Schlafplätzen. Wir wählten dann aber doch lieber die Hostel- Variante, wo man auch zwischen Ein- oder Mehrbettzimmern wählen kann und zwischen 35 bis 55 € für zwei Personen inklusive Pilgerfrühstück zahlt.
Hat man übrigens seine Pilgermuschel gut sichtbar an seinem Rucksack wird man als Pilger angesehen und erhält die günstige Essenskarte für Pilger. Dann bekommt man für wenig Geld eine Auswahl an drei Gerichten oder ein Frühstück. Wir zahlten1,90 € für ein All you can eat- Frühstück mit Kaffee, Orangensaft, Croissant und Toast. Portugal und Spanien durften wir als sehr gastfreundliche Länder entdecken.
Täglich schafften wir rund 28 Kilometer. Wir gehörten zu den Spätpilgern, die gegen halb 10 gestartet und in der Regel gegen 18 Uhr angekommen sind. Wir legten viele Pausen ein und genossen die traumhaften Anblicke in vollen Zügen. Abends haben wir in einer Bar noch was getrunken oder gegessen. Die Menschen dort sind so gastfreundlich und das ohne Erwartung einer Gegenleistung, das habe ich vorher so noch nie erlebt.“

Natalie: „ Auf unserem Weg haben wir vieles gesehen. Junge und alte Menschen, verschiedenste Nationalitäten, Familien, die mit Kindern und Baby unterwegs waren, etc. Der älteste Pilger, den wir getroffen haben, war 86 Jahre alt. Sehr schön ist es, wenn man die gleichen Menschen, die man positiv in Erinnerung hat, wieder trifft. Das ist uns mehrfach passiert und das war immer wieder ein freudiges Erlebnis.“

Thomas: „ Die ersten Tage sind wir 120 Kilometer an der Meeresküste Portugals entlang und bei 23 bis 26 Grad größtenteils über Holzplanken an den herrlichen Sandstränden vorbei bis Caminha. Die schöne Sommerluft vom Atlantik gestaltete das Ganze noch angenehmer. Durch das zu Fuß gehen konnten wir jede Sekunde in vollen Zügen genießen. Die Zeit verging so langsam, wie man es heut zu Tage in dieser schnelllebigen Zeit kaum noch kennt. Ich habe Land, Leute, Meer und Landschaft noch nie so intensiv erlebt, das war etwas ganz Besonderes.“

Natalie: „ Da die Fähre kaputt war, mussten wir mit einem Motorboot nach Spanien übersetzen. Von  A Guarda ging es 80 Kilometer an der spanischen Küste vorbei bis Redondella. Der spanische Küstenweg ist weniger gut ausgebaut, aber eine wunderbare Erfahrung mit tollen Landschaftseindrücken. Es ging durch wunderschöne kleine Dörfer, an Windmühlen, faszinierenden Felsformationen, vielen verlassenen alten Gemäuern vorbei und durch die galizischen Eukalyptuswälder bis Santiago de Compostela. Während des Weges ist es so, dass stärkere Emotionen hin und wieder hochkommen, Zweifel holen dich ein, aber der Stolz und Freude über dieses besondere Erlebnis überwiegen. Jeden Abend haben wir uns auf den nächsten Tag und auf die neuen Erkundungen gefreut, die uns erwarteten. Wir hatten uns vorgenommen 14 bis 15 Tage für den Weg zu brauchen, haben es aber schon in 11 Tagen gepackt und sind passend zum 18 Uhr Glockenschlag in Santiago de Compostela angekommen. Das war ein unbeschreiblicher Moment. Übrigens wenn man die letzten 100 Kilometer seines Weges täglich mindestens zwei Mal in Kirchen, Kathedralen, Restaurants, Bars, Refugios, Hostels stempeln lässt, dann erhält man die „Compostela“, die Pilgerurkunde. Die Entfernungsurkunde gibt es nur, wenn man die gesamte Wegstrecke im Pilgerausweis dokumentiert hat, also vollständige Stempel der kompletten 280 Kilometer.“

Thomas: „ Ja wirklich unglaublich wie man den Moment der Ankunft erlebt hat. Es war eine echte Gefühlsexplosion. Das werde ich nie vergessen. Danach sind wir noch an „das Ende der Welt“, nach Finisterre, um uns diese Gegend dort auch noch etwas genauer anzuschauen, denn Santiago ist natürlich schon sehr touristisch.“

Diesen besonderen Moment, von dem ihr gerade erzählt habt eingeschlossen- Was sind zudem die schönsten Erlebnisse, an die ihr gerne zurückdenkt?

„ Wir durften ganz liebenswerte besondere Menschen kennenlernen, das war eine sehr schöne Erfahrung. Den Weltenbummler Victor aus Madrid haben wir mehrmals getroffen. Wir waren direkt auf einer Wellenlänge und hatten uns von Beginn an direkt begrüßt als würden wir uns schon Jahre kennen.“

Thomas: „ Als wir in Santiago de Compostela angekommen sind, war das einfach unglaublich. Wir hatten es gepackt. Das, was wir fühlten, lässt sich nur schwer in Worte fassen. Wir waren so geflasht. Wir haben uns in den Armen gelegen und waren so stolz, dass wir es uns selbst und vielen anderen bewiesen hatten. Es war ein Hochgefühl der besonderen Art. Im Vordergrund standen nicht nur Stolz und Freude, sondern auch Trauer darüber, dass der Weg nun zu Ende war.“

Natalie: „ Ja genau, die Ankunft in Santiago war der schönste und zugleich traurigste Moment in einem. Das war ein sehr prägendes Erlebnis. Unsere Ankunft und das Miterleben des Ankommens der anderen Pilger waren einfach phantastisch. Die Jubelrufe, das Hüte werfen und die Freudentränen, es war unser Camino. Wir haben beschlossen auch noch einen längeren Jakobsweg zu gehen. Der Camino France mit 800 Kilometern Wegstrecke ist unser nächstes Ziel.“

Thomas: „ Beeindruckende Landschaften, saubere schöne Wege, phänomenale Aussichten und Unmengen an positiven Eindrücken, das ist mein Fazit.“

Gab es auch weniger schöne Erlebnisse?

Thomas: „ Wir persönlich hatten wirklich keine negativen Erlebnisse, die einen bleibenden Eindruck hinterlassen haben. Aber Alleinreisenden würde ich empfehlen den Trip schon etwas intensiver zu planen und sich auch mental darauf vorzubereiten. Ganz alleine ist eine solche Erfahrung natürlich nochmal etwas anderes.“

Stichwort: Selbstfindung- Was hat das „Bezwingen“ des Camino Portugues in euch bewirkt?

Natalie: „Ich habe gelernt mich in jeglicher Hinsicht von Ballast zu befreien. Von unnötigen Personen, überflüssiger Kleidung, Möbeln, etc. Ich bin freier, lebe bewusster und sehe alles aus einem anderen Blickwinkel. Ich weiß die Dinge mehr zu schätzen und bin zufriedener mit dem, was ich habe. Der Weg hat uns viel Kraft gekostet, aber es hat sich gelohnt. Der Alltag holt einen zu Hause schnell wieder ein, aber ich bemühe mich immer wieder an die Erlebnisse zu denken und Kraft daraus zu schöpfen.“

Thomas: Ich bin ausgeglichener geworden, setze meinen Fokus anders und lebe mehr im Hin und Jetzt. Der Weg verändert einiges, aber die Festigung des Gelernten braucht, meiner Ansicht nach, mehrere Wege. Ich habe einige neue Denkansichten für mich entdeckt und es vergeht wirklich kein Tag, an dem ich nicht an diesen Weg denke. Nach unserem Camino haben wir jetzt wieder eine andere Wertschätzung für das Leben und das, was wirklich wichtig ist.““

Natalie: „ Ja absolut. Wir haben auch gelernt nochmal mehr an uns selbst zu denken. Der Trip hat einen sehr positiven Eindruck hinterlassen. Wir konnten die Zeit, jede Sekunde wirklich intensiv erleben. Der Camino ruft dich, wenn du bereit dafür bist, es ist magisch. Der Weg bewirkt viel. Lasst euch das nicht entgehen und probiert es aus.“

Wie ist denn euer Umfeld damit umgegangen als ihr von euren Plänen berichtet habt und  wie war es, als ihr wieder zurück wart?

Natalie: Wir haben vorher viel Spott geerntet. Aussagen wie „Das schafft ihr sowieso nicht, das ist viel zu anstrengend!“, mussten wir uns des Öfteren anhören. Das hat uns aber von unserem Vorhaben nicht abgehalten. Natürlich gab es aber auch genügend Personen, die unser Vorhaben guthießen und an uns glaubten. Kurz vor unserer Reise hatte ich nochmal einen bösen Rheumaschub. Deshalb war es eine Zeit lang unklar, ob es mit dem Camino Trip überhaupt klappen würde, aber zum Schluss ist nochmal alles gut gegangen.“

Thomas: „ Nach unserer Rückkehr war das Interesse an unserer Reise sehr groß. Viele Menschen wollten alles ganz genau wissen. Ich glaube ich konnte noch nie so viel über einen „Urlaub“ berichten.“

Zum Abschluss: Wem würdet ihr den Camino Portugese empfehlen und wem eher nicht?

Thomas: „ Wir können den Camino jedem, unabhängig von Alter oder Geschlecht, empfehlen. Der Weg ist gut beschildert und es ist einfach sich zu Recht zu finden: Es ist eine Bereicherung für sich selbst und eine tolle Alternative zum typischen Hotelanlagenurlaub am Pool. Man ist sein eigener Chef, ist für sich selbst verantwortlich, erhält viele Erkenntnisse und positive Erfolgserlebnisse der besonderen Art.“

Natalie: „Wir wünschen es jedem diese Erfahrung zu machen.“

„Du brauchst keine Angst zu haben, du brauchst kein Wissen, du brauchst nur Mut, deinen Weg zu gehen. [Anja Nickel]

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