Es gibt Ereignisse, die sind so bedeutend, dass sie als historische Zäsur beurteilt werden. Eine solche Zäsur ist ein Ereignis, das als markanter Einschnitt, als Grenze zwischen zwei Epochen wahrgenommen wird. Eine historische Zäsur teilt die Welt ein in ein Davor und in ein Danach.
Für viele sind die Terroranschläge vom 11. September eine solche Zäsur. Gleiches gilt für den Mauerfall und die Wende von 1989. Oder das Ende des Zweiten Weltkrieges, die Stunde Null, mit der am 8. Mai 1945 die Nachkriegszeit begann.
Die größte historische Zäsur in der Geschichte der Menschheit war aber ein anderes Ereignis: Die Geburt von Jesus von Nazareth vor mehr als 2000 Jahren. Egal, woran man glaubt: Seine Geburt und die Geschichte seines Lebens haben den Lauf der Geschichte der Menschheit für immer verändert – so sehr wie kein anderes Ereignis davor oder danach. Mit der Geburt von Jesus Christus hat im wahrsten Sinne des Wortes eine neue Zeitrechnung begonnen: Die Geschichte der Welt unterteilt sich bis heute in eine Zeit vor Christus und in eine Zeit nach Christus. Bis heute – im Jahr 2019 nach Christus – wird die Geburt von Jesus Christus alle Jahre wieder auf der ganzen Welt gefeiert.
Unsere abendländische, westliche Kultur wurde durch sein Leben und seine Lehren sowie das daraus hervorgegangene Christentum grundlegend beeinflusst und geprägt. Das Christentum beeinflusste nicht nur unsere Musik, unser Brauchtum und unsere Sonn- und Feiertagskultur. Das Christentum beeinflusste auch unsere Kunst und Architektur. Ob Tholey, St. Wendel oder Köln: Bis heute werden die meisten unserer Orts- oder Stadtbilder von Kirchen und Kathedralen geprägt.
Und vor allen Dingen prägte das Christentum unsere grundlegenden Vorstellungen von Ethik und Recht. Für uns ist es heute beispielsweise unvorstellbar, dass im antiken Rom dem Familienvater noch das Recht zustand, neugeborene Kinder abzulehnen. Diese Kinder wurden dann – sei es, weil sie behindert oder Mädchen waren – ausgesetzt oder gar getötet. Erst gegen Ende des 4. Jahrhunderts nach Christus wurde diese Praxis unter christlichem Einfluss verboten.
Nach dem christlichen Menschenbild hat jeder Mensch als Geschöpf Gottes unveräußerliche Würde. Jesus ruft die Menschen daher dazu auf, Frieden zu stiften und auf Gewalt zu verzichten: „Wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halt ihm auch die andere hin“ (Matthäus 5,38). Er fordert Barmherzigkeit und Nächstenliebe – ja sogar Feindesliebe: „Ihr aber sollt eure Feinde lieben und sollt Gutes tun, auch wo ihr nichts dafür erhoffen könnt“ (Lukas, 6,35). Und als Grundsatz für den richtigen Umgang mit anderen Menschen stellte Jesus die „Goldene Regel“ auf: „Alles was ihr also von anderen erwartet, das tut auch ihnen!“ (Matthäus 7,12).
Aus dem christlichen Glauben an einen Schöpfergott entwickelte sich im Zeitalter der Aufklärung die Idee des Naturrechts und die Idee der Menschenrechte. Diese beinhaltet die Überzeugung davon, dass jeder Mensch als Geschöpf Gottes „von Natur aus“ und unabhängig von Geschlecht, Herkunft, Ethnie, Alter, Entwicklungsstand, Nutzen, Ort oder Zeit mit gewissen unveräußerlichen Rechten ausgestattet ist.
Dieses Denken bestimmte Vordenker und Vertreter der Aufklärung wie Hugo Grotius (1583-1645), Samuel Pufendorf (1632-1694) oder John Locke (1632-1704), die alle bekennende Christen waren und die in ihren Schriften auf die Bibel sowie das Leben und die Lehren von Jesus Christus – wie das Liebesgebot und die Goldene Regel – Bezug nahmen.
Die naturrechtliche Begründung der Menschenrechte zeigt sich auch in der 1776 von Thomas Jefferson (1743-1826) verfassten amerikanischen Unabhängigkeitserklärung, in der ausdrücklich auf Gott als „Schöpfer“ Bezug genommen wird:
„Folgende Wahrheiten bedürfen für uns keines Beweises: Dass alle Menschen gleich geschaffen sind; dass sie von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten ausgestattet sind; dass dazu Leben, Freiheit und das Streben nach Glück gehören; dass zur Sicherung dieser Rechte Regierungen unter den Menschen eingesetzt sind, die ihre rechtmäßige Autorität aus der Zustimmung der Regierten herleiten“.
Und auch unser Grundgesetz bekennt sich in seiner Präambel (Einleitung) zum Naturrecht, indem es feierlich erklärt:
„Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen (…) hat sich das deutsche Volk (…) dieses Grundgesetz gegeben.“
Weil es einen Gott gibt, der die Menschen gottesebenbildlich geschaffen hat, hat jeder Mensch von Natur aus unantastbare Würde (Art. 1 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes). Und weil die Würde des Menschen unantastbar ist, bekennt sich das deutsche Volk in Art. 1 Absatz 2 des Grundgesetzes „zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.“
Die naturrechtliche Basis grundlegender Wertvorstellungen der westlichen, freien Welt wollten die USA auch dadurch deutlich machen, indem sie 1956 die aus der US-Nationalhymne entnommene Formulierung „In God We Trust“ (Auf Gott vertrauen wir) zu ihrem offiziellen Wahlspruch erklärten. Zu Beginn des „Kalten Krieges“ wollte man sich auf diese Weise ganz bewusst von dem „gottlosen“, kommunistischen System der Ostblock-Staaten abgrenzen.
Und deswegen geht es an Weihnachten nicht primär um materielle Geschenke, nicht darum, was wir haben, sondern darum, wer wir sind: Jeder von uns – egal wo auf der Welt – ist ein Kind Gottes, ein Mensch, der qua seiner Existenz unveräußerliche Würde besitzt. Diese Botschaft ist das größte Geschenk an Weihnachten. Das ist die wahre Quelle der Freude an Weihnachten. Das ist, was jedes Weihnachten froh macht.
Frohe Weihnachten!