Neues Jahr, neues Glück – selten war eine Redewendung gesamtgesellschaftlich zutreffender als nach dem Jahr 2020. Getreu dem britischen Motto „never waste a good crisis“ bleibt uns der Blick nach vorne: Unterschiedliche COVID-19 Impfstoffe sind entwickelt, die Vereinigten Staaten von Amerika werden von einem neuen Präsidenten regiert und ganz vorne dabei: Wir bekommen die gelbe Tonne (ernst gemeint: eine gute Idee!).
Dabei bot das Jahr 2020 die Möglichkeit zum Nachdenken, auch über bestehende Strukturen: Unternehmen überprüfen, dort wo es möglich ist, dauerhafte Home-Office Lösungen für ihre Mitarbeiter einzuführen (z. B. Allianz) und diskutieren im gleichen Atemzug über die Notwendigkeit der bisher unzähligen Geschäfts- und Dienstreisen. Die CO2-Bilanz mag es uns an manchen Stellen besonders danken (Grüße an die Klimaschützer Michael Welter und Alexander Dämmgen). Zudem haben wir uns an die Nutzung digitaler Werkzeuge gewöhnt, selbst wenn es manchmal nur die (holprige) Videokonferenz über Zoom, Teams, WebEx oder dergleichen war, die als Ergänzung zum Meeting vor Ort bestehen bleiben wird. Die Frage ist: Welche Auswirkungen haben diese Entwicklungen auf die strategische Ausrichtung einzelner Unternehmen? Sind langfristige Planungen in Zeiten von Corona, fortwährender technischer Neuerungen und der verkürzten Innovationszyklen überhaupt noch möglich? Können Entscheidungsträger langfristige Strategien entwickeln oder sind diese Zeiten längst vorbei? Gilt unternehmerischer Trial-and-Error forthin als Erfolgscredo?
Gehen wir einen Schritt zurück: Es ist Ende Januar. Die Weihnachtsgans ist längst verdaut, die guten Vorsätze haben gerade noch so ihre Gültigkeit und fast ein ganzes Jahr liegt noch vor uns. Bei vielen Unternehmen stehen häufig die letzten Feinschiffe der Jahresplanungen an. Andere haben die Planung des Jahres sogar schon abgeschlossen. Das nicht ohne Grund: Unternehmensplanungen gelten als gedankliche Vorwegnahme zukünftiger Ziele und dienen Unternehmern als Wegweiser und Anker der eigenen Unternehmensmission. Sie fördern die Motivation der Mitarbeiter, ermöglichen die Steuerung bzw. Anpassung interner Prozesse und dienen als Messlatte für die Zielerreichungskontrolle. Strategische Unternehmensplanungen beziehen sich in der Regel auf einen Zeitraum von fünf bis sieben Jahren. Plant ein Buchhändler beispielsweise in fünf Jahren 60 Prozent seiner Umsätze über das Internet zu erzielen, formuliert er damit ein strategisches Ziel. Taktische Planungen hingegen beziehen sich auf eine Zeitebene von zwei bis fünf Jahren. Ein Beispiel hierfür ist die Zusammenstellung des Produktangebots eines mittelständigen Chemieunternehmens für die nächsten beiden Jahren. Werden Planungen für wenige Monate oder für maximal ein Jahr angestellt, handelt es sich um operative Planungen. Beispielhaft kann hier die Erhöhung der Produktionsmenge eines Schraubenspezialisten von 1.800 auf 2.000 Schrauben pro Tag genannt werden.
So weit, so gut. So weit, so Theorie. Die großen Herausforderungen unserer Zeit werden bestehen bleiben, auch in einer Zeit nach COVID-19. Disruption (laut Duden eine einschneidende (meist zerstörerische) Veränderung) ist zum Modewort geworden, insbesondere im digitalen Zeitalter. Unser Wirtschaftsleben findet in der viel zitierten VUKA-Welt statt. Die Abkürzung VUKA steht für volatil (unstetig), unsicher, komplex und ambivalent (widersprüchlich). Die Logik bestehender Geschäftsmodelle wird regelmäßiger auf Neuerungen zu überprüfen sein. Weiterentwicklung ist das Gebot der Stunde, jedoch ohne dabei Mitarbeiter und Kunden zu überfordern.
Bei dieser kontinuierlichen Weiterentwicklung prallen in der VUKA-Welt nun zwei grundlegend unterschiedliche Ansichten aufeinander: Teilweise wird angenommen, dass eine strategische Unternehmensplanung in der heutigen Zeit ausgedient hat. Andere Stimmen sprechen strategischem Denken gerade in Zeiten der Neuerung und des Aufbruchs eine große Bedeutung zu. Für die erste Annahme sprechen das Tempo der Entwicklung und die damit einhergehende Unsicherheit. Vertreter dieser Sichtweise gehen davon aus, dass aktuelle Trends hinsichtlich ihres potenziellen Erfolgs analysiert, ausgewählt und umgesetzt werden, ohne dabei einer übergeordneten Strategie zu folgen. Dieser Ansatz mag verlockend klingen, besonders in unsicheren Zeiten. Auf der Umsetzungsebene hat dieses Vorgehen zweifelsfrei eine gewisse Daseinsberechtigung: Plant ein Lebensmitteleinzelhändler die Produktreihe eines Schokoriegelherstellers einzuführen, kann er dies entsprechend dem Dreiklang Analyse, Auswahl und Umsetzung tun. Langfristig bleiben Unternehmensstrategien der Wegweiser für das Ziel am Ende des Tunnels. Ohne klare Marschrichtung fehlt das gesamtunternehmerische Ziel, das den notwendigen Mitteleinsatz begründet. Das Ergebnis sind Fehlverteilungen von Ressourcen, wie Personal, Finanzmittel oder geistigem Kapital. Springt ein Unternehmen auf jeden Zug, der vorbeifährt auf, kommt es keine drei Meilen weit. Unternehmensstrategien ermöglichen einen bedarfsgerechten Ressourceneinsatz und verlieren dabei das gesamtunternehmerisches Ziel nicht aus den Augen – auch in einer Post-Corona-Ökonomie.
Unsere aktuelle Situation bietet die Chance, die eigene Unternehmensstrategie neu auszurichten und weiterzuentwickeln.
Zum Autor:
Julian Schneider ist seit Januar 2021 Geschäftsführer der Wirtschaftsförderungsgesellschaft St. Wendeler Land MBH. In seiner, immer am letzten Donnerstag des Monats erscheinenden Kolumne bringt er Wirtschaftsthemen verständlich und hochaktuell ins St. Wendeler Land.