Theley: „Wenn ich hierhin komme, dann fühle ich mich zu Hause“

Interview mit Odilo Kardinal Scherer und Jacinto Bergmann

Von Christian Funck und Thomas Funck

Am vergangenen Wochenende besiegelte die Gemeinde Tholey ihre Städtepartnerschaft mit der südbrasilianischen Gemeinde Alto Feliz, in der 85 Prozent der Bevölkerung Vorfahren aus dem Schaumberger Land haben. Teil der 28-köpfigen Delegation aus Brasilien waren auch zwei katholische Würdenträger, deren Vorfahren vor rund 150 Jahren aus Theley auswanderten: Der in Alto Feliz geborene Erzbischof von Pelotas, Jacinto Bergmann (66), und der Erzbischof von São Paulo, Odilo Kardinal Scherer (68), dessen Vater und Großvater in Alto Feliz geboren wurden. Mit den beiden Deutsch-Brasilianern sprach wndn.de über ihre saarländischen Wurzeln, die letzte Papstwahl, den christlichen Glauben und Fußball.

Kardinal Odilo Scherer

wndn.de: Herr Erzbischof Bergmann, Sie haben in Ihrer Rede vor der Unterzeichnung der Partnerschaftsurkunde gesagt, „Tante Mathilde“ Ludwig habe Sie in Theley begrüßt mit den Worten: „Scheen, dass de do bischd. Endlich bischde wieder dahemm.“ Sie sind brasilianischer Staatsbürger. Inwiefern fühlen Sie sich aber deutsch oder saarländisch?

Bergmann: Ja, obwohl unsere Wurzeln doch hier aus Deutschland sind, sind wir schon Brasilianer. Wir sind schon die dritte Generation, die in Brasilien geboren ist. Man fühlt sich schon mehr brasilianisch als deutsch.

Meine Gefühle aber sind so: Wenn ich hierhin komme, dann fühle ich mich zu Hause. Da merke ich schon, dass deutsche Wurzeln da sind. Das deutsche Blut kommt schon hoch, wenn man nach Deutschland kommt und besonders hier in Tholey und Theley. Das hat auch mit der Sprache zu tun, also mit dem Plattsprechen. Man fühlt sich zu Hause, weil unsere Eltern noch sehr viel Dialekt zu Hause gesprochen haben.

Was ist Ihre Muttersprache? Portugiesisch oder saarländisch?

Bergmann: Portugiesisch, aber die Eltern haben mit uns Kindern – wie gesagt – auch noch diesen saarländischen Dialekt aus Deutschland gesprochen. Das ist geblieben. Dadurch ist auch mein Hochdeutsch besser.

In Deutschland gibt es viele türkischstämmige Menschen, die sagen: „Wenn ich in Deutschland bin, dann bin ich der Türke und in der Türkei bin ich der Deutsche“. Diese Menschen fühlen sich nirgendwo richtig heimisch und zugehörig. Geht es Ihnen da also anders?

Bergmann: Ja. In Brasilien fühle ich mich als Brasilianer, klar.

Aber wenn man nach Deutschland kommt und auch diese Wurzeln und das Blut von den deutschen Vorfahren hat, dann fühlt man sich sofort auch hier in Deutschland wohl. Man spürt doch, dass die deutsche Kultur in Brasilien weitergegeben wurde. Als ich zum ersten Mal nach Deutschland kam, habe ich mich sofort auch in Deutschland wohlgefühlt, obwohl ich Brasilianer bin.

Herr Kardinal, der ehemalige brasilianische Fußballspieler Zé Roberto, der lange in Deutschland gespielt hat und dann wieder in Brasilien, wurde vor einigen Jahren gefragt, was er an Deutschland am meisten vermisse. Und er antwortete: „Spezi, Bratkartoffeln und Sicherheit“. Was schätzen Sie an Deutschland?

Scherer: Ich schätze vieles an Deutschland.

Die deutsche Kultur hat der Menschheit natürlich viel gegeben: Literatur, Philosophie, Theater, Musik usw. Diese Einflüsse der deutschen Kultur sind überall zu finden und zu spüren. Und wenn man dann hier in Deutschland ist, merkt man das auch aus der Nähe. Die Deutschen sind auch ein musikalisches Volk. Überall gibt es Musikchöre, Orchester usw.

Und in Deutschland sieht man, dass ihr die Natur gut reserviert und die Umwelt gut geschützt habt. Ihr habt das gut organisiert, damit sie nicht geschädigt wird.

Außerdem gibt es hier in Deutschland eine bestimmte Arbeitskultur.

Wenn man da aufpasst, kann man natürlich vieles beobachten.

Herr Kardinal, bei der letzten Papstwahl 2013 galten Sie in den Medien weltweit als einer der Favoriten…

Scherer: Kann man das nicht überspringen? Da möchte ich nicht drüber sprechen.

Herr Erzbischof Bergmann, möchten Sie etwas darüber sagen? Hätten Sie sich darüber gefreut, wenn Kardinal Scherer Papst geworden wäre?

Erzbischof Jacinto Bergmann

Bergmann: Ja, doch schon. Aber wir glauben, dass der Heilige Geist dahinter ist. Und es ist für uns schon eine gute Sache, dass Papst Franziskus aus Lateinamerika ist, weil er diese Kirche aus Lateinamerika so in die ganze Welt gebracht hat.

Sie würden also sagen, dass es gut für die Kirche in Lateinamerika ist, dass ein Argentinier Papst geworden ist?

Bergmann: Auch. Aber die Wahl von Papst Franziskus war gut für die ganze Welt. Diese Kirche in Lateinamerika ist lebendig und diese Seite der Kirche hat er als Papst mitgebracht. Und als Franziskus gewählt wurde, war das eine große Freude. Das muss man schon sagen.

Noch eine Frage zur Papstwahl: Wie bereitet man sich auf das Konklave vor? Bucht man da schon ein Rückflugticket oder rechnet man mit allem?

Scherer: Eins möchte ich sagen: Dass man auf einmal im Mittelpunkt steht, das hängt nicht von einem selbst ab. Deswegen möchte ich darüber nicht sprechen. Also: Mit dem ganzen Theater hatte ich nichts zu tun. Über dieses ganze Geschwätz über den Papstkandidaten, darüber habe ich nichts zu antworten.

Aber diese Spekulationen haben Sie schon mitbekommen? In Theley wurden schon Vorbereitungen getroffen für den Fall, dass Sie zum Papst gewählt werden.

Scherer: Ja, ok, ich verstehe das. Ich verstehe die Leute, dass sie sich freuen. Aber ich habe damit nichts zu tun. Das habe ich nicht organisiert. Das habe ich nicht gefordert. Ich habe darüber nichts zu antworten.

Papst Benedikt hat in seiner letzten Generalaudienz im Februar 2013 gesagt: „Ich möchte, dass jeder die Freude empfindet, Christ zu sein.“ Was macht für Sie die Freude aus, Christ zu sein?

Scherer: Christsein ist die Freude im Glauben. Wenn man glaubt, wenn man in die Zukunft schaut mit Gelassenheit, mit Gottvertrauen, dann hat man Freude. Auch innerlichen Frieden. Das ist das Erste.

Und wenn man gläubiger Christ ist, dann kann man diese Freude auch weitergeben.

Glauben bedeutet, froh sein und fröhlich leben. Auch damit es anderen Menschen gut geht und das Zusammenleben auch gut geht.

Papst Benedikt hat darüber gesprochen und auch jetzt Papst Franziskus hat schon öfters darauf hingewiesen. Wenn man in seine Dokumente schaut, ist immer das Wort „Freude“ dabei. Immer Freude. Christsein bedeutet, mit Freude leben. Mit Zuversicht. Mit Hoffnung. Und: Das kann man auch weitergeben in die Gesellschaft.

 

Da Sie gerade die Hoffnung ansprechen, fällt mir in diesem Zusammenhang folgende Anekdote ein: Vor einigen Wochen schrieb eine Frau aus Italien an Papst Franziskus einen Brief, in dem sie ihm mitteilte, dass sie ihr Kind abtreiben wolle. Papst Franziskus rief daraufhin die Frau an und sagte ihr: „Ein Christ verliert niemals die Hoffnung“. Er überzeugte sie so davon, sich für das Kind zu entscheiden.

In Irland hat es vor zwei Wochen eine Abstimmung gegeben, in der zwei Drittel der Iren sich dazu entschlossen haben, das Lebensrecht des ungeborenen Kindes nicht anzuerkennen. Was würden Sie sagen, wie katholisch ist ein Land noch, in dem grundlegende Menschenrechte wie das Recht auf Leben zur Abstimmung gestellt werden – und das mit einem solchen Ergebnis?

Scherer: Zum Katholischsein oder Christsein gehört vieles dazu. Zum einen der Glaube. Zum anderen aber auch dem Glauben entsprechend zu leben. Das heißt, man kann nicht sagen: „Ich glaube an Gott, aber ich nehme das menschliche Leben, das er geschenkt hat, nicht wahr“. Das ist kein dem Glauben entsprechendes Leben.

Aber wie gläubig oder wie christlich oder wie katholisch ein Land ist, das kann man so nicht von einem Fall abhängig machen. Man muss sehen, wie gläubig die Menschen sind. Das Land an sich ist natürlich nicht gläubig. Die Christen sind gläubig.

Bergmann: Man spricht heute auch von einer Kultur des Sterbens.

Ist das auch eine Kultur des Relativismus? Menschenrechte gelten nicht mehr absolut, sondern werden zur Abstimmung gestellt.

Bergmann: Papst Benedikt hat viel von diesem Relativismus gesprochen. Und er hat nicht Unrecht. Heute ist Gott nicht mehr absolut. Und wenn Gott nicht mehr absolut ist, ist alles relativ. Sogar der Mensch. Deshalb brauchen wir eine Kultur des Lebens und nicht eine Kultur des Sterbens.

Jetzt ist bald Fußball-Weltmeisterschaft…

Scherer: Wir werden nicht mitspielen (lacht laut).

Können Sie sich auch für Fußball begeistern?

Scherer: Wenn die Nationalmannschaft spielt, dann ist man auch dabei! Klar! Das ist einem nicht gleichgültig.

Haben Sie auch einen Lieblingsverein?

Bergmann: Ja. In Porto Alegre, der Hauptstadt von Rio Grande do Sul, gibt es zwei Fußballklubs: Grêmio und Internacional. Grêmio hat die Farbe Blau und Internacional die Farbe Rot. Und ich bin blau. Aber nicht, weil ich jetzt viel getrunken hätte (lacht), sondern weil ich Fan von Grêmio bin.

Grêmio ist der Heimatverein des ehemaligen Weltfußballers Ronaldinho, oder?

Bergmann: Ja, Ronaldinho hat bei uns gespielt. Ronaldinho habe ich kennengelernt, als er ein kleines Kind war. Und er ist in meinen Händen aufgewachsen (lacht).

Vor vier Jahren hat Deutschland gegen Brasilien im WM-Halbfinale gespielt. Freut man sich am Ende dann doch auch für Deutschland? Oder fühlt man da nur mit Brasilien?

Bergmann: Also im Endspiel gegen Argentinien war ganz Brasilien für Deutschland (lacht). Aber wir sind froh, dass wir jetzt einen argentinischen Papst haben (lacht).

Scherer: Es ist komisch gewesen. Denn es hat am Anfang niemand glauben können, dass man so ausscheiden könnte. Aber als man gesehen hat, dass man nicht mehr weiterkommen kann, also nach dem dritten Tor, sind nur noch Witze gekommen. Die ganzen Fans haben nur noch Witze gemacht in Brasilien.

Herr Kardinal Scherer, am Samstag in der Messe haben Sie am Schluss gesagt: „Bei uns dahemm würde ma jetzt ‚Großer Gott, wir loben dich‘ singe“. Haben Sie das früher in Ihrer Heimat auch auf Deutsch gesungen oder gibt es das Lied auch auf Portugiesisch?

Scherer: Das gibt es auf jeden Fall auf Latein. Und dann auch auf Portugiesisch. Aber: In meiner Kindheit in meinem kleinen Dorf in der Kirche, da wurde auch „Großer Gott, wir loben dich“ auf Deutsch gesungen. Und wenn wir unter uns sind, im Familienkreis oder so, dann singt man „Großer Gott“ auf Deutsch.

Es gibt bzw. gab in Brasilien 40 Bischöfe und Kardinäle mit deutschen Wurzeln…

Bergmann: Es gibt sogar noch mehr. Es gibt allein 40 Bischöfe mit Wurzeln aus dem Bistum Trier.

Wie erklären Sie sich diese Häufung?

Scherer: Das hat keinen besonderen Grund. Es gibt Familien, die den Glauben gepflegt haben. Und wenn das so ist, dann entstehen Berufungen. Es sind ja nicht nur Kardinäle und Bischöfe, es sind viele Pfarrer, Ordensfrauen und -männer. Und wo Pfarrer sind, da kommen auch Bischöfe heraus. Ja, Kardinäle auch. Das kann auch sein. Sehr selten. Aber es gibt sie (schmunzelt).

Vielen Dank für das Gespräch!

 

Zur Person:

Jacinto Bergmann wurde am 29. Oktober 1951 in Alto Feliz (Rio Grande do Sul/Brasilien) geboren. 1976 empfing er die Priesterweihe. 2004 wurde er Bischof von Tubarão. Seit 2009 ist er Bischof von Pelotas. Mit der Erhebung zum Erzbistum 2011 wurde er Erzbischof von Pelotas.

Odilo Pedro Kardinal Scherer wurde am 21. September 1949 in Cerro Largo (Rio Grande do Sul/Brasilien) als Otto Scherer geboren. 1976 wurde er zum Priester geweiht. 1991 wurde er zum Dr. theol. promoviert. Von 1994 bis 2001 war er Offizial in der Kongregation für die Bischöfe in Rom. Seit 2007 ist er Erzbischof von São Paulo. Im selben Jahr wurde er von Papst Benedikt XVI. zum Kardinal ernannt.

Die Vorfahren von Bergmann und Scherer wanderten Mitte bzw. Ende des 19. Jahrhunderts von Theley nach Brasilien aus. Bergmann und Scherer sind Cousins.

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