Mit unserer neuen Interviewreihe „Fragen an die Opposition“ geben wir den Fraktionen und Gruppen im Stadtrat und in den Gemeinderäten das Wort, die aktuell nicht zur politischen Mehrheit gehören. Sie sprechen über ihre zentralen Themen, Kritik an der Rathauspolitik, ihre eigenen Vorschläge – und darüber, wie sie sich engagieren und Einfluss nehmen.
Den Auftakt macht Marc André Müller, Fraktionsvorsitzender der SPD im Stadtrat von St. Wendel. Im Gespräch berichtet er unter anderem über die marode Infrastruktur, das Ringen um gute Schulen, Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger – und warum er in der Opposition nicht bloß klatschen will.
wndn.de: Stellen Sie sich bitte kurz vor!
Marc André Müller: Mein Name ist Marc André Müller und ich bin seit Mai 2022 Fraktionsvorsitzender der SPD im Stadtrat, dem ich seit 2011 angehöre. Bei der Kommunalwahl im vergangenen Jahr konnten wir zwei Sitze dazugewinnen und die seit Jahrzehnten bestehende absolute Mehrheit der CDU brechen.
Was sind aktuell Ihre wichtigsten Themen und Anliegen im Gemeinderat/Stadtrat?
Unsere wichtigsten Anliegen sind die Modernisierung unserer vier Grundschulen, der Erhalt der Infrastruktur in den Stadtteilen, die dauerhafte Belebung der Innenstadt und ein Umdenken beim Ausweisen neuer Wohngebiete im Außenbereich.
Wo sehen Sie die größten Versäumnisse oder Schwächen der aktuellen Mehrheit?
Die größten Versäumnisse der Mehrheit im Rat sehen wir im Erhalt der bestehenden Infrastruktur. Statt vorhandene Einrichtungen rechtzeitig zu sanieren, hat man in St. Wendel in den letzten Jahrzehnten lieber neue Infrastruktur geschaffen – möglicherweise, weil Spatenstiche und Einweihungen sich besser politisch inszenieren lassen. Das Ergebnis sieht man in vielen Dorfgemeinschaftshäusern, Mehrzweckhallen, Friedhofshallen und in den Grundschulen Oberlinxweiler sowie Nikolaus-Obertreis in St. Wendel, die in einem sehr schlechten Zustand sind.
Welche konkreten Vorschläge oder Alternativen bringen Sie ein?
Die Bereitstellung gut ausgestatteter Grundschulen gehört zu den Pflichtaufgaben einer Kommune. Daher sollten hier klarere Prioritäten gesetzt werden. Bei der Grundschuldebatte in St. Wendel kommen wir seit 2019 nicht voran, weil CDU und Bürgermeister das Thema aussitzen. Verschiedene Initiativen von uns, schneller voranzukommen, wurden im Rat ausgebremst.
Außerdem brauchen wir ein Umdenken, was die Ausweisung neuer Wohngebiete im Außenbereich angeht. Der fortschreitende Flächenfraß (z. B. beim Projektvorhaben am Missionshaus) zerstört nicht nur die Natur, sondern wird auch zu einem zunehmenden Problem für die Generationengerechtigkeit. Denn durch den demografischen Wandel werden wir im Stadtkern und in den Ortskernen zunehmend mit Leerständen zu kämpfen haben. Die Infrastruktur (Straßen, Kanäle, Beleuchtung …) dort muss trotzdem weiter aufrechterhalten werden. Gleichzeitig gilt das für die neu geschaffene Infrastruktur im Außenbereich. Die Gleichung lautet daher: Wenn wir nicht umdenken, werden bald immer weniger Steuer- und Gebührenzahler immer höhere Kosten für den Erhalt der Infrastruktur tragen müssen. Hoffentlich erkennen die Menschen das nicht erst dann, wenn es an den eigenen Geldbeutel geht.
Welche Ihrer Anträge oder Initiativen wurden zuletzt behandelt – mit welchem Ergebnis?
Unsere letzte erfolgreiche Initiative war die Einführung einer Einwohnerfragestunde im Stadtrat, damit sich mehr Bürger aktiv an der Stadtpolitik beteiligen können. Leider hat die CDU in St. Wendel mit der echten Beteiligung der Bürger und der Anerkennung guter Initiativen anderer Parteien noch immer große Probleme. Entweder hat man angeblich zufällig die gleiche Idee wie die Opposition schon vorher gehabt oder der Antrag der Opposition wird ohne Debatte einfach abgelehnt.
Wie gelingt es Ihnen, auch aus der Opposition heraus Einfluss zu nehmen?
Wir haben in den vergangenen Jahren eine sehr offensive Öffentlichkeitsarbeit betrieben. Dadurch konnten wir die Mehrheit im Rat und den Bürgermeister mehrfach dazu bringen, sich zu bewegen, zum Beispiel in Sachen Spielplatzkonzept. Für viele in St. Wendel ist das noch eine neue Situation. Hier ist man es noch von den letzten Jahrzehnten gewohnt, dass die CDU unwidersprochen den Ton angibt.
Über deutlich erkennbare Missstände lässt man sich aktuell in St. Wendel für meinen Geschmack leider noch zu sehr durch Worthülsen ohne Substanz (Beispiel: „Potenzialraum“, „Studentenstadt ohne Uni“) oder schöne Events hinwegtäuschen – auch wenn manche Probleme mittlerweile so offensichtlich werden, dass man sie nicht länger mit einem charmanten Lächeln wird übertünchen können.
Wird Ihrer Meinung nach der Opposition ausreichend Gehör geschenkt? Welche Rolle sollte eine Opposition auf kommunaler Ebene Ihrer Ansicht nach spielen? Wie erleben Sie die Zusammenarbeit mit der Verwaltung und den anderen Fraktionen?
In den Debatten im Stadtrat wird regelmäßig klar, wie sich CDU und Bürgermeister eine Opposition vorstellen: Möglichst unkritisch und am besten noch Beifall klatschend für alles, was im Rat von der Mehrheit vorgeschlagen wird. Das ist in unseren Augen aber ein falsches Verständnis von Opposition.
Wir sehen unsere Aufgabe vielmehr darin, Gegenvorschläge zu machen, auch denjenigen eine Stimme zu leihen, die von der politischen Mehrheit nicht gehört werden, und den Finger in die Wunde zu legen, wo immer es notwendig ist.
Wie halten Sie Kontakt zu den Bürgerinnen und Bürgern – was hören Sie aktuell am häufigsten?
Den Kontakt zu den Bürgerinnen und Bürgern halten wir auf mehreren Wegen. Ganz wichtig sind die direkten Begegnungen vor Ort. Daher sind wir auf vielen Festen unterwegs und besuchen Unternehmen in St. Wendel, um mit dem Mittelstand im Gespräch zu bleiben.
Fest etabliert sind zudem inzwischen unsere Beteiligungsformate wie die Zukunftswerkstatt „Stadtentwicklung“, der Bürgerdialog „Missionshaus“ oder unsere Zuhörtour, die sehr gut angenommen werden. Natürlich sind wir aber auch über unsere Homepage, per Mail, Telefon und Social Media ansprechbar.
Was motiviert Sie persönlich, sich politisch zu engagieren?
Mein persönliches Motiv, mich politisch zu engagieren, ist das Bestreben, unsere Heimat täglich ein Stück besser und lebenswerter zu machen und meinen Kindern eine Umgebung zu schaffen und zu überlassen, in der sie auch in Zukunft noch gerne leben und arbeiten möchten.
Was sind Ihre politischen Ziele bis zur nächsten Kommunalwahl?
Auch wenn CDU und ProWND derzeit die Mehrheit im Stadtrat stellen, die in den meisten Fällen auch von der AfD unterstützt wird, bleiben wir als SPD-Fraktion eine starke Stimme für all jene, die sich eine andere Politik für St. Wendel wünschen.
Wir werden weiterhin deutlich machen, dass es Alternativen gibt – sachlich, lösungsorientiert und mit Blick auf das große Ganze. Unser Ziel bleibt, mehr Menschen für Kommunalpolitik zu gewinnen und ihnen echte Beteiligung zu ermöglichen. Denn eine Stadt lebt davon, dass ihre Bürgerinnen und Bürger mitgestalten – nicht nur alle fünf Jahre, sondern kontinuierlich.
Vielen Dank für das Interview!
Internetseite: https://www.spd-sankt-wendel.de/