St. Wendel. Seit 2015 führt der Landkreis St. Wendel jährlich eine zentrale Gedenkveranstaltung zum Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus durch. Bei der gestrigen Veranstaltung im Gymnasium Wendalinum hielt der aus Niederlinxweiler stammende Historiker Dr. Dieter Wolfanger einen sehr anschaulichen Vortrag über „Das Lager Gurs und andere Stationen auf dem Schicksalsweg saarländischer Juden“. Außerdem stellten die Stolperstein-AG der Gemeinschaftsschule Nohfelden-Türkismühle und Frank-Matthias Hofmann, Sprecher der Landesarbeitsgemeinschaft Erinnerungsarbeit im Saarland, ihre Projekte zum Beitrag der Erinnerungsarbeit vor.
„Ich glaube, dass diese Gedenkveranstaltungen heute noch viel wichtiger werden. Jetzt wo die Menschen, die am Holocaust gelitten haben, die im KZ inhaftiert waren, gerade dabei sind, unsere Welt zu verlassen. Damit wir es nicht vergessen, brauchen wir solche Veranstaltungen“, zitiert Landrat Udo Recktenwald den Oberrabbiner von Moskau, Pinchas Goldschmidt, in seiner Eröffnungsrede. „Denn was in die Geschichte eingeht, das verklärt sich auch, verliert an Strahlkraft und ist irgendwann weit weg. Doch gerade heute, wo nationalistische und rassistische Gedanken in Europa wieder erkennbar werden, wo relativiert und gehetzt wird, verbale und physische Gewalt wieder um sich greift, gerade heute ist es wichtiger den je, daran zu erinnern.“
Und so taten es die zahlreichen Gäste im Wendalinum. Unter ihnen der Vorstandsvorsitzende der Synagogengemeinde Saar, der Antisemitismusbeauftragte des Saarlandes, Land- und Kreistagsmitglieder, Bürgermeister, Vertreter der Kirchen, Schulleiter und Schulleiterinnen, und viele weitere interessierte Gäste, die alle dem 75. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers in Auschwitz gedachten. Weltweit sind zu diesem Anlass Gedenkveranstaltungen veranlasst worden, zu der hochrangige deutsche Politiker eingeladen wurden. Besonders die Teilnahme und Rede von Frank Walter Steinmeier beim World Holocaust Forum in Jerusalem, vergangen Donnerstag, zeigt, wie wichtig das Gedenken an das, was geschah, noch heute ist. Vor allem mit den aktuellen Geschehnissen im Blick, zeigt sich deutlich, dass die Erinnerungskultur nicht wegbrechen darf.
Daher sieht Landrat Udo Recktenwald sich und alle, verantwortlich dafür, dass auch in Zukunft noch junge Menschen aus dem Landkreis wissen, was geschehen ist. Denn nicht nur in Berlin und weit weg, ist Schreckliches geschehen. Auch die Menschen hier vor Ort waren betroffen. So schilderte der Historiker Dr. Dieter Wolfanger anhand einiger Beispielfamilien eindrucksvoll, wie saarländische Juden ins Lager nach Gurs nördlich der Pyrenäen gebracht wurden. Doch auch weitere Stationen ihrer Schicksale, zeigte er auf. Mit Zitaten der Überlebenden oder Briefaufzeichnungen von KZ-Insassen, personalisierte er das, was in Geschichtsbüchern steht, und schilderte ihre Schicksale ergreifend. Mit den Personen vor Ort beschäftigt sich auch die Stolperstein-AG der Gemeinschaftsschule Nohfelden-Türkismühle. Für ihre bemerkenswerte Erinnerungsarbeit wurden sie sehr gelobt. Dabei machen sie Orte jüdischen Lebens für andere Schüler und Erwachsene auf unterschiedliche Weise sichtbar. Auch sie haben sich mit jüdischen Familienschicksalen aus ihren Heimatdörfern beschäftigt. Mit Schautafeln an unterschiedlichen Orten kann man ihre Ergebnisse multimedial auf den Wegen der Erinnerung in Nohfelden abgehen oder radeln.
Dass im Landkreis St. Wendel die Erinnerungsarbeit ein wichtiger Punkt auf der Agenda ist, sieht man nicht nur durch eine solche Gedenkveranstaltung einmal im Jahr, sondern zum Beispiel auch, durch die Teilnahme in der Landesarbeitsgemeinschaft Erinnerungsarbeit im Saarland, wo St. Wendel als einziger Landkreis Mitglied ist.
„Die Erinnerungsarbeit soll sowohl eine Erinnerung an die Verbrechen des Nationalsozialismus sein, aber gleichzeitig auch ein Bekenntnis, zu einer offenen, den Menschenrechten verpflichteten, demokratischen Gesellschaft.“, somit wird sie für den Sprecher der LAG Erinnerungskultur, Frank-Matthias Hofmann zu einem wichtigen Teil der politischen Bildung. „Wir müssen wissen, auf welchem historischen Grund wir stehen, wir müssen der Opfer gedenken und gleichzeitig auch wahrnehmen, wo es heute wieder Gefahren gibt, wo wir rechtzeitig allen Kräften widerstehen müssen, die die Erinnerung weghaben möchten oder die sich nicht mehr damit beschäftigen wollen“, reflektiert er die Wichtigkeit solcher Gedenkveranstaltungen und der Erinnerungsarbeit im Allgemeinen.
„Wir können zurecht stolz sein auf unser 100 Jahre altes Bundesland, unsere Rolle in der deutsch-französischen Freundschaft, als Keimzelle der europäischen Freundschaft, und unseren 186-jährigen Landkreis. Wir sind stolz und selbstbewusst, menschlich und miteinander und dazu gehört auch, sich selbstbewusst der Vergangenheit zu stellen. Sich daran zu erinnern und dazu zu stehen. So gedenken wir allen Opfern des NS-Regims. Juden, politischen Gegnern, Menschen mit Behinderung, Homosexuellen, Sinti und Roma, an alle, die sich widersetzten, an alle, die sich nicht anpassten. Das Gedenken muss auch weiter in die junge Generation getragen werden, damit aus Worten keine Taten werden und so etwas nie wieder geschieht“, schließt Landrat Udo Recktenwald seine Rede und appelliert somit an alle, sich dieser Verantwortung zu stellen.