Zehn Jahre Austausch zwischen dem Balbriggan Community College und dem Cusanus-Gymnasium St. Wendel – oder: Tagebuch einer Ehe …
Vor gut 11 Jahren kam anlässlich des St. Wendler Weihnachtsmarktes eine Delegation des kleinen, im Nordosten Irlands gelegenen Küstenstädtchen Balbriggan in die Stadt. In gemütlicher Runde plauderten die damaligen Bürgermeister beider Städte zusammen mit Harry Hauch und Vertretern der drei Gymnasien über die Möglichkeit eines Austausches nicht nur auf administrativer Ebene, sondern auch in Form eines Schüleraustausches.
„Ich war sofort Feuer und Flamme“, erinnert sich Holger Büch an jenen Winterabend im Café Journal. „Es ist wirklich sehr schwierig mit britischen Schulen in Kontakt zu treten, um eine internationale Begegnung auf die Beine zu stellen. Damals wie heute. Damals war es schwierig, weil die britischen Schulen in Richtung deutsche Großstädte Ausschau hielten – Berlin, München, Hamburg, Frankfurt oder Leipzig – und pittoreske, aber in der Peripherie liegende Städtchen wie St. Wendel nicht einmal vom Hörensagen kannten … Heute kommt erschwerend hinzu, dass alle Eltern im Vereinigten Königreich und in der Republik Irland per Gesetz verpflichtet sind, sich einer behördlichen Untersuchung unterziehen zu lassen, wenn sie minderjährige Gäste beispielsweise im Kontext eines Schüleraustausches aufnehmen. Inspektoren besuchen die potentiellen Gastgeber, schauen sich in deren Zuhause um, nehmen die Lebensumstände unter die Lupe und entscheiden dann, ob die Familie ein positives „Führungszeugnis“ erhält – oder eben auch nicht … Ein deutlicher Eingriff in die Privatsphäre der Menschen, die eigentlich nur Gutes wollen und jungen Menschen die Möglichkeit der Erweiterung des eigenen und kulturellen Horizontes offerieren möchten.“
Aber so ist das in einer Ehe: Es gibt schöne Tage, wolkenverhangene Tage, regnerische und auch stürmische Tage. Die Protagonisten jedoch, die Fachschaft Englisch am Cusanus-Gymnasium und am Gymnasium Wendalinum, sowie Martine O’Brien und Sean Pierce, die beiden Kollegen des Balbriggan Community College haben – aller Unkenrufe zum Trotz – nie aufgehört an diesen Austausch zu glauben.
Im März des Jahres 2009, knappe drei Monate nach dem Weihnachtsmarkt-Besuch auf administrativer Ebene, besuchten die irischen Kollegen Martine und Sean das Cusanus-Gymnasium und man begann mit den Vorbereitungen für den ersten Flug nach Balbriggan im Oktober desselben Jahres.
Die ersten Jahre konnten jeweils zehn Schülerinnen und Schülern des Cusanus-Gymnasiums und des Gymnasium Wendalinum nach Irland reisen. Durch die im Vorfeld beschriebene veränderte Gesetzeslage wurde die Zahl der irischen Schüler jedoch immer geringer. Vielleicht spielte auch die Wohnsituation eine Rolle. Kleine Häuser, in denen meist Großeltern und ältere Geschwister, die eigentlich schon auf eigenen Füßen standen, auch noch wohnten, schreckte die eine oder andere Familie eventuell ab, Gäste aus Deutschland aufzunehmen. Aufgrund dieser Situation haben sich dann die beiden Gymnasien entschlossen, alternierend von Jahr zu Jahr den Austausch zu organisieren. Das Schwierige an der Sache all die Jahre blieb die ungebremste Motivation unserer Schüler an diesem Austausch zu partizipieren.
„Wir hätten über all die Jahre ohne Probleme 40 Kinder alleine vom Cusanus-Gymnasium nach Balbriggan schicken können“, so Holger Büch, der stellvertretende Schulleiter am Cusanus-Gymnasium. „Schließlich blieb uns meist nur das Losverfahren, eine sehr unglückliche Art, um die Schüler, mit denen es Fortuna gut meinte, herauszufiltern.“
Zum zehnjährigen Jubiläum des Austausches kam man auf die tolle Idee, diejenigen Schüler, die keinen Austauschpartner für die ganze Zeit hatten, einfach im lokalen Vier-Sterne-Hotel Bracken Court logieren zu lassen. Martine O‘Brien organisierte ihrerseits Day-Hosts, Schüler des Community College, die bereit waren, die Gäste wenigstens von morgens bis abends nur eben ohne Übernachtung zu betreuen. Außerdem gelang es ihr, unschlagbar günstige Konditionen für die Hotelübernachtung herauszuschlagen. Dies alles hat richtig gut geklappt und war ein echter Erfolg, auf dem man aufbauen konnte.
So machte sich auch in diesem Jahr erneut eine Gruppe aus St. Wendel auf den Weg nach Irland: 19 Schüler der Klassenstufen 10 und 11, Frau Alles, Herr Büch – und eine Propellermachine der luxemburgischen Fluggesellschaft Luxair.
Nach einem zweistündigen, von Turbulenzen geprägten Flug waren alle sichtlich erleichtert, heil in Dublin angekommen zu sein. Dort wurden wir direkt herzlich von unseren Austauschpartnern empfangen. „Sehr zu unserer Freude mussten wir am nächsten Morgen erst um 7.30 Uhr aufstehen und konnten entspannt im Hotel frühstücken, da die Schule in Irland erst um 8.50 Uhr beginnt“, freut sich eine Teilnehmerin. „Die Iren haben zwischen den neun Stunden Unterricht nur zwei Pausen, wobei die zweite, die Mittagspause, 40 Minuten dauert. Ähnlich wie bei uns in der Oberstufe, findet der Unterricht in Irland für alle Klassenstufen in einer Art Kurssystem statt, weshalb wir nicht immer das Glück hatten, gemeinsam in einem Unterricht zu sitzen, sondern auch mal als einzige/r Deutsche/r den Fragen und Blicken der irischen Schüler und Lehrer ausgesetzt waren. Nichtsdestotrotz hat man uns stets freundlich und interessiert wahrgenommen und in den Unterricht einbezogen, sodass es fast nie langweilig wurde.“
Überraschend war auch das breite Fächerangebot des Community College: So werden die Schüler nicht nur in den klassischen Fächern wie Mathematik, Biologie, Englisch oder Sport unterrichtet, sondern auch in „Make-Up“, „Wood“ oder „Home Economics“. Es ist also nichts Außergewöhnliches, jemandem mit blauem Auge oder blutender Wunde zu begegnen. Und niemand ist verwundert, wenn überall Holzspäne liegen oder es im ganzen Gebäude nach Lasagne duftet.
Dienstags gab es dann gemeinsam mit den Austauschpartnern einen Besuch der „Causey Farm“, eines landwirtschaftlichen Mitmach- und Erlebnisbauernhofes westlich von Balbriggan. Hier kann man seine Brotbackkünste beweisen oder bei einem Rundgang über das Gelände Bekanntschaft mit vielen verschiedenen Tieren machen.
Großer Beliebtheit erfreuten sich hierbei vor allem die beiden unglaublich fotogenen Alpakas und die zuckersüßen Hundewelpen. Aber auch die restlichen Tiere, wie Pferde und Esel, Kälbchen, Schweine und Hühner haben wurden mit Streicheleinheiten und Leckerlis verwöhnt. Beim anschließenden Rundgang durch einen Horrortunnel, der teilweise doch stark an die Filme Stephen Kings erinnerte. Selbst den Mutigsten wurde beim Anblick der blutüberströmten Clowns und Puppen etwas mulmig. Den krönenden Abschluss des sehr gelungenen Ausflugs bildete dann das sogenannte „Bog-Jumping“, also das Springen in ein riesiges Moor. Hier wieder herauszukommen war leichter gesagt als getan. „Nur mit vereinten Kräften schafften wir es, uns alle heil aus dem „Schlammloch der Verdammnis“ hinauszubefördern. Von oben bis unten eingesaut blieb uns nichts anders übrig als den Heimweg mit Müllsäcken bekleidet anzutreten“, erinnert sich einer der mitgereisten Schüler. „Den verwunderten Blicken der Lehrer und Passanten entgegneten wir ein selbstbewusstes It`s called fashion. – Es ist eben nicht jeder auf dem neusten Stand in Sachen Mode.“
Am dritten Tag stand dann auch der heiß ersehnte Ausflug nach Dublin an mit Besuch der historischen „Christ Church“ und anschließender interaktiver Führung durch das Wikinger-Museum „Dublinia“. Das Museum besteht aus einem Themenbereich über Wikinger und einem Bereich über das Leben der Dubliner im Mittelalter. Besonders beeindruckend waren sowohl die lebensechten Nachbauten der Wikingerschiffe und –häuser, als auch die Rekonstruktion Dublins um das 14. Jahrhundert, als die Pest die Bevölkerung heimgesucht hatte. Beim Anprobieren der traditionellen Wikingerkleidung und dem Ausprobieren der mittelalterlichen Spiele fühlt man sich um mehrere Epochen zurückversetzt.
Am darauffolgenden Tag erkundeten die deutschen Austauschschüler gemeinsam mit Frau Alles und Herrn Büch den Nachbarort Skerries. „Wir hatten sehr viel Glück mit dem Wetter, sodass wir den Spaziergang am wunderschönen Sandstrand und entlang der grünen Wiesen in vollen Zügen genießen konnten“, erzählen die Schüler übereinstimmend. „Abends veranstalteten unsere irischen Freunde eine Abschiedsparty für uns, auf der wir so viel Spaß hatten, dass wir verspätet ins Hotel zurückkamen. Auch wenn es der letzte Abend war, wollte uns Frau Alles nicht ohne „harte“ Strafe ins Bett schicken, und da in der Hotelbar zufällig ein Karaokeabend stattfand, schlug sie vor, dass wir unser Gesangstalent unter Beweis stellen sollten.“
Schneller als allen recht war, stand am nächsten Morgen der Abschied von den lieb gewonnenen irischen Austauschpartnern an. Aus diesem Anlass gab es nochmal eine kleine Abschiedsfeier in der Schulcafeteria, die allen vor Augen führte, wie stark die Freundschaft zu den irischen Freunden geworden war und wie sehr sich schon alle auf den Rückbesuch im März freuen.
Foto: Martine O‘ Brien