Die Welle der „Spotted“- und „Verspotted“-Seiten hat längst St. Wendel erreicht. Was hat es mit den Plattformen, die anonyme Flirtgesuche und Ärgernisse posten, auf sich?
Wenn man in den Kneipen rund um die Basilika unterwegs ist und einen attraktiven Vertreter des jeweils favorisierten Geschlechts erblickt, gibt es eine einfache Möglichkeit, diese Person kennenzulernen: Man spricht sie an. Wem die direkte Konfrontation mit den Schmetterlingen im eigenen Verdauungstrakt allerdings zu heikel ist, dem kann geholfen werden.
Bereits seit Januar 2013 gibt es auf facebook die Seite „Spotted: St. Wendel“. Alle User, die den Namen der leider unbekannten Erscheinung vom Vorabend herausfinden wollen, können eine Nachricht mit einer Personenbeschreibung an die Betreiber der Seite schicken. Diese posten die entsprechende Anfrage dann anonym. Wenn man Glück hat, erkennt ein Bekannter die gesuchte Person und gibt in den Kommentaren den Namen an. Wenn man Pech hat, erlauben sich andere User einen Scherz und verlinken irgendwelche Freunde, die mit der gesuchten Person nichts gemeinsam haben. Ebenso ärgerlich ist die Erkenntnis, dass der neue Schwarm wohl in festen Händen ist, was man leicht durch einen angesäuerten Kommentar des Partners erkennen kann.
Auch Mitte November blieben die Hormone im Landkreis nicht untätig und es wurde fleißig gespotted. Beispiel gefällig?
„Suche die Lady, die letzten Samstag bei der Round About Tour, um kurz nach Mitternacht im Papala Pub neben mir am Tresen stand. Lange blonde Haare, grauer Rock, schwarze Strumpfhose, blau lackierte Fingernägel… Du hattest wohl grad Geburtstag. Wollte dir doch noch gratulieren, aber plötzlich warst Du weg. Wär schön dich hier zu finden. Würd ich nämlich gerne nachholen.“
Ob diese Vermisstenanzeige zum gewünschten Erfolg führte, ist nicht bekannt. Der Erfolg der Spotted-Seiten steht jedoch außer Zweifel. Die St. Wendeler Ausgabe kann sich an über 7.000 „Gefällt mir“-Angaben erfreuen. In deutschen Medien wird seit 2013 über die steigende Beliebtheit der Seiten berichtet, deren Ursprung wie der vieler Internetphänomene im universitären Bereich liegt. Mittlerweile gibt es auch im St. Wendeler Land Spotted-Seiten für einzelne Locations (Spotted Lindenau), Veranstaltungen (Spotted Kirmes Marpingen) oder sogar Bebauungsgebiete (Spotted Seiters), wobei letzteres wohl eher als Spaß zu verstehen ist. Datenschützer sehen den neuen Trend nicht unbedingt spaßig, da Gesuchte ohne Einwilligung oder eigenes Zutun ins virtuelle Rampenlicht geraten. Außerdem sollte man bedenken, dass auch Suchende nicht für jeden anonym bleiben, da die Betreiber der Seite die (facebook-)Identität der Flirtwilligen sehr wohl kennen – was umgekehrt meistens nicht der Fall ist.
Was macht den Erfolg der Spotted-Seiten aus? Abgesehen von der augenscheinlichen Möglichkeit, die hübsche Blondine aus der Disco wiederzufinden, werden die Seiten auch immer wieder in die Nähe eines (wahrscheinlich harmlosen) Internet-Voyeurismus gebracht, der nicht ganz von der Hand zu weisen ist. Ein Teil der User hofft sicher auch, die eigene Personenbeschreibung wiederzufinden. Das saarländische „Jeder kennt jeden“-Prinzip sorgt zusätzlich dafür, dass die Wahrscheinlichkeit, den Gesuchten zu kennen, gar nicht mal so niedrig ist.
Ein interessanter Ableger der Spotted-Seiten sind sogenannte Verspotted-Seiten, die es mit ähnlichem Erfolg auch für St. Wendel gibt. Das Prinzip ist das gleiche, wobei der Antrieb hier in Verärgerung statt in Verliebtheit liegt. Typisch für diese Seiten sind Fotos von abenteuerlichen Einpark-Versuchen, die mit zynischen und manchmal amüsanten Texten garniert werden. Aber auch Personen, die sich eines Fahrerflucht- oder Diebstahldelikts schuldig gemacht haben, werden „verspotted“. Hier wäre es wahrscheinlich sinnvoller, einfach die Polizei zu rufen.
Letzten Endes sind die Spotted- und Verspotted-Seiten typische Auswüchse des Internet- bzw. facebook-Zeitalters. Ein zentraler Aspekt ist Anonymität, die User dazu bringt, Flirtgesuche und Ärgernisse mit anderen zu teilen, die die jeweilige Person im „realen“ Leben wohl nie äußern würde. Wenn man einen einigermaßen verantwortungsvollen Umgang mit diesen digitalen Zeitvertreibern voraussetzt, sind die Seiten wohl am ehesten als unkritisches Internetphänomen zu verstehen.