Interview

Freiwilligenaufenthalt in Kenia – Jonas Wengel berichtet

Habt ihr schon einmal überlegt ins Ausland zu reisen und zwar nicht um einen entspannten Urlaub zu machen, sondern um  die Lebensverhältnisse hilfsbedürftiger Menschen zu verbessern? Der 20-Jährige Jonas Wengel aus Urweiler besuchte im März 2020 die kenianische Region „Rarieda“, um den Menschen vor Ort in den verschiedensten Lebensbereichen zu helfen und sie zu unterstützen. Im folgenden Interview berichtet der (Wirtschaftsinformatik-) Student von seinen unvergesslichen Erfahrungen.

Jonas, wie ist es zu deinem Freiwilligenaufenthalt in Rarieda, Kenia gekommen?

„Ich habe schon länger Kontakt zum Rotary Club St. Wendel-Stadt. Rotary ist eine weltweit verbreitete Vereinigung, die sich für gemeinnützige Projekte engagiert und bedürftige Menschen unterstützt und fördert. Im Fokus stehen Themengebiete wie Gesundheitsvorsorge, Bildung, Kommunalentwicklung und vieles mehr. Von 2014 bis 2019 war ich Mitglied im Interact Club St. Wendel, sozusagen der jüngsten Stufe der Jugendorganisation von Rotary, die sich an junge Leute zwischen 12 und 18 Jahren richtet und die Organisation und Durchführung von Sozialprojekten zum Ziel hat. 2019 wurde ich im Alter von 18 Jahren Mitglied bei Rotaract. Hier sind die Mitglieder zwischen 18 und 30 Jahren alt. Danach hat man ebenfalls die Möglichkeit einem Rotary Club beizutreten oder auch bei Rotaract zu bleiben.

2015 eröffnete sich mir erstmalig die Möglichkeit über Rotary an einem Jugendaustauschprogramm in Südafrika teilzunehmen, was mir schon damals großen Spaß gemacht hat. Als sich mir erneut die Chance eröffnete im Rahmen eines Freiwilligenaufenthaltes nach Rarieda in Kenia zu reisen, nutzte ich diese und im Januar 2020 begann mein Abenteuer.

Zusammen mit der Organisation „Rafiki wa Maendeleo Trust“ versucht Rotary seit 2011 die Lebensverhältnisse der Menschen in Rarieda nachhaltig zu verbessern. Ich freue mich meinen Beitrag zu diesem Ziel geleistet zu haben und ich bin fest entschlossen, sobald wie möglich, wieder nach Rarieda zu reisen, um die Menschen vor Ort zu unterstützen.“

Was waren deine Aufgaben vor Ort? Welche Herausforderungen musstest du bewältigen?

„Mein Aufgabenspektrum war breit gefächert, abwechslungsreich und – wie du schon sagst- wirklich interessant. Ich half bei der Anbringung von Solarkits an Häusern, was bei den dortigen hohen Temperaturen sehr anstrengend sein konnte, aber trotzdem viel Spaß gemacht hat. Außerdem war ich in die Übergabe von E-Readern, also tragbaren Lesegeräten mit abgespeicherten Buchinhalten,  an Grundschulen und sogar in einen Hausbau für eine sehr arme Familie integriert. Ebenso durfte ich Teil der sogenannten „Actiondays“ sein, die für ortsansässige benachteiligte Kinder und Jugendliche veranstaltet wurden. An diesen Tagen kochten, spielten, sangen und tanzten wir zusammen, führten aber auch Aufklärungsgespräche.

Im Ausbildungszentrum „Rarieda Training and Resource Centre“ konnte ich mir einen Überblick über alle Ausbildungsangebote verschaffen und durfte auch an verschiedenen Kursen teilnehmen. Hier werden die Lehrlinge als Gebäudetechniker, Elektriker, Schreiner, Friseure, Kosmetiker und in vielen weiteren Berufen ausgebildet. Zudem unterstützte ich während meines Aufenthalts auch die Ausbildungsverwaltung zeitintensiv, unter anderem durch eine ausführliche Umfragen-konzeption und –auswertung, die die Zufriedenheit der Auszubildenden mit ihren Ausbildungsangeboten wiederspiegeln sollte. Diese ergab beispielsweise, dass sich die Mehrzahl der Azubis nach Erwerb der Ausbildung selbstständig machen möchte.“

Das Leben in Rarieda ist ein ganz anderes, als bei uns hier in St. Wendel beziehungsweise in Deutschland. Armut, Krankheiten, Wasserknappheit und vieles mehr-  wie hast du die starken Lebensunterschiede zwischen Deutschland und Kenia erlebt?

Die Lebensunterschiede zwischen St. Wendel und Rarieda sind wirklich stark ausgeprägt. Wir reden hier von einer sehr armen und ländlichen Region in Kenia, wobei man dazu sagen muss, dass es auch innerhalb Kenias diesbezüglich nochmal sehr starke Unterschiede zwischen Arm und Reich gibt. In Rarieda leben viele Menschen von einem Dollar pro Tag, die HIV-Infektionsraten sind hoch, die Region ist Malariahochgebiet und hat viele Waisenkinder. Die Wasserversorgung wurde unter anderem auch durch Rotary nochmal aufgebaut, da es dort viele Menschen gibt, die ihr Wasser aus dreckigen Tümpeln und Seen beziehen und dieses trinken, sich damit waschen und kochen. Es hat mich niedergeschlagen das zu sehen. Eines Abends saß ich in meiner verhältnismäßig gut ausgestatteten Volontärunterkunft und ärgerte mich über den Stromausfall, bemerkte aber recht schnell, dass dieser Ärger angesichts der dortigen Lebenszustände völlig überflüssig war.

Ich bin einfach froh, dass ich die Menschen dabei unterstützen konnte, mehr Lebensqualität zu erlangen, welche für mich so selbstverständliche Dinge wie fließenden Strom und sauberes Wasser beinhaltet. Allen Freiwilligen war es ein besonderes Anliegen, Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten, sodass die Menschen vor Ort sich nicht nur auf uns externe Helfer verließen, sondern auch eigenständig zur Verbesserung ihrer Situation beitrugen. Es war wichtig zu vermitteln, dass sich ihre Lebensumstände durch gemeinsames und später auch selbstständiges Engagement verbessern können und sie nicht in ein Anspruchsdenken oder eine automatisierte Erwartungshaltung hineingeraten. Trotz der Armut und der besonderen Lebensverhältnisse und Alltagsprobleme, habe ich die Menschen in Kenia als sehr offen, freundlich, hilfsbereit und aufgeschlossen wahrgenommen, es entstanden sehr angenehme Kontakte, an die ich immer wieder gerne zurückdenke.“

Was kannst du uns über die verschiedenen Programme von Rotary  in Kenia berichten? Welches gefällt dir am besten?

„Das neueste (Global Grant) Projekt von Rotary und Rotaract nennt sich „YES! Youth Empowered Solutions“ und verfügt über viele Kooperationspartner und Projektsponsoren. Ich bin von den einzelnen Projektinhalten überzeugt, weil Themen wie Nachhaltigkeit und Ressourcenförderung eine besondere Bedeutung bekommen. Im Zuge dieses Projekts bieten wir auch die „Street Business School“, ein halbjähriges Coaching für ausgebildete Fachkräfte aus den verschiedensten Bereichen und damit verbundene Mikrokredite an, um den Interessenten den Weg in die Selbstständigkeit zu erleichtern und Unternehmensgründungen zu fördern. Darüber hinaus wurden während der Coronazeit zwei Soforthilfeprogramme ins Leben gerufen. Einerseits wurden vor Ort 50.000 Masken genäht und zu sehr günstigen Preisen an die Bevölkerung verteilt. Andererseits hat Rotary zusammen mit der Partnerorganisation „Rafiki wa Maendeleo Trust“ ein Schutzprogramm für Mädchen entwickelt, da einem Polizeibericht zu folge vor Ort zwei von zehn Mädchen gegen ihren Willen geschwängert werden. Gründe dafür sind etwa die mangelnde Aufklärung und die große Anzahl von Waisenkindern, die hungerbedingt zur Prostitution gezwungen waren. Aufgrund dessen wird der Auf- beziehungsweise Ausbau eines geschlechterspezifischen Sicherheitsnetzes für besonders gefährdete Mädchen auch in die neuen Programme von Rotaract aufgenommen. Außerdem wird die Gesundheitsvorsorge, insbesondere die Bekämpfung der Unterernährung und auch der nachhaltige Umweltschutz durch Recyclingaktionen oder das Herstellen von Solarkochern unterstützt. Außerdem planen wir vor Ort einen Rotaract Club zu gründen und eine langfristige internationale Beziehung aufzubauen. Bei Interesse an dem Projekt verweise ich gerne auf unsere Projektwebsite https://d1860.rotaract.de/soziales/yes/ und die Möglichkeit mit mir Kontakt aufzunehmen.“

Jonas, pandemiebedingt dauerte dein Freiwilligenaufenthalt länger als geplant – wie ging es dir damit?

„Nach meinem Aufenthalt in Rarieda war ich noch in Nairobi und Mombasa bei Rotariern zu Gast. Es war eine superschöne Zeit, aber insbesondere an der Küste merkte man, dass immer weniger Touristen vor Ort waren. Der Strand war leergefegt und auch bei der Safari haben nur noch wenige Menschen teilgenommen. Mir ging es damit nicht schlecht, aber es war etwas befremdlich und ungewohnt. Am 13. März 2020 wurde der erste bestätigte Coronafall in Kenia gemeldet. Daraufhin wurde mein Heimflug abgesagt und die Flughäfen geschlossen. Es war ein seltsames Gefühl nicht zu wissen, wann ich wieder nach Hause kommen würde, aber dennoch wusste ich bei der rotarischen Gastfamilie gut unter zu sein. Wenig später erfuhr ich schon von der „Rückholaktion“ der deutschen Bundesregierung, registrierte mich reibungslos dafür und sorgte mich dann auch nicht mehr allzu sehr. Letztendlich konnte ich eine Woche später als geplant  nach Hause reisen. Mit den Business-Class-Sitzplätzen, die verlost wurden, hatte ich kein Glück, aber dafür hatte ich in der Economy-Class eine ganze Reihe für mich alleine. Angekommen am Frankfurter Flughafen war es gespenstisch leer. Ich war sehr froh nach zweieinhalb Monaten wieder bei meiner Familie und im heimischen St. Wendel zu sein.“

All das klingt nach einer sehr besonderen Erfahrung, die dich persönlich und viele Menschen, denen du eine Stütze sein konntest, weitergebracht hat. Jonas, was ist dein Fazit, was hast du aus dem Freiwilligenaufenthalt  in Kenia gelernt beziehungsweise mitgenommen?

Ja das stimmt, durch meinen Freiwilligenaufenthalt in Kenia konnte ich andere Blickwinkel erlangen und lernen mir der Bedeutung der wirklich relevanten Dinge im Leben wieder bewusster zu werden. Die Arbeit mit und für die Menschen vor Ort hat mir gezeigt, in welchem Luxus wir hier zu Hause in Deutschland leben und wie gut es uns doch geht. Außerdem habe ich dadurch auch die Motivation gefunden mich auch weiterhin bei Rotaract sozial zu engagieren und sobald wie möglich wieder nach Kenia zu fliegen, um weitere Projekte voranzutreiben. Kenia ist ein wunderschönes facettenreiches Land mit eindrucksvollen Naturlandschaften, herrlichen Nationalparks, einer interessanten Kulturgeschichte und sehr herzlichen Menschen. Diese Reise wird immer ein Bestandteil meines Leben bleiben und ich bin sehr dankbar, dass ich diese Erfahrung machen durfte.“

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