„An Weihnachten füllen sich die Kirchen.“ – Pastor Dr. Ulrich Graf von Plettenberg im Interview

Im St. Wendeler Land prägen die Kirchen in vielen Dörfern das Ortsbild. Der christliche Glaube ist hierzulande tief in der Gesellschaft verwurzelt – wahrscheinlich ein gutes Stück mehr als in urbanen Gegenden. Dennoch engagieren sich auch bei uns immer weniger Menschen in ihrer Pfarrgemeinde, auch die Zahl der Kirchenbesucher nimmt ab. Eine Ausnahme bildet hierbei die Weihnachtszeit, in der die Gotteshäuser nach wie vor prall gefüllt sind, wie Pastor Dr. Ulrich Graf von Plettenberg erläutert. Was der Geistliche von der Pfarreiengemeinschaft Schaumberg zu diesen und anderen Entwicklungen rund um das Thema Kirche und Religion im St. Wendeler Land sagt, lest Ihr im folgenden Interview.

wndn.de: „Herr Pastor von Plettenberg, der deutsche Einzelhandel wird im Weihnachtsgeschäft 2015 voraussichtlich über 86 Milliarden Euro umsetzen. Auch unreligiöse Menschen beugen sich der Konvention, viel Geld für Weihnachtsgeschenke auszugeben. Bleibt der Glaube in der Weihnachtszeit auf der Strecke?“

Pastor Dr. Ulrich Graf von Plettenberg: „Das kann man fast vermuten, wenn man das Ganze äußerlich
betrachtet. Auf der anderen Seite ist es auch immer noch so, dass sich die Kirchen an Weihnachten füllen – mehr als an jedem anderen Tag im Jahr. Es kommen auch sehr gern Familien zu den Krippenfeiern, die immer restlos ausgebucht sind. Trotzdem ist es schon klar, dass viele Menschen mit Weihnachten wenig Religiöses verbinden. Im Vordergrund stehen die Geschenke, das Zusammenkommen mit der Familie, wobei diese Menschwerdung Gottes dann eher zur Nebensache wird. Aber ich denke mir: Vor 2.000 Jahren war das ja auch nicht anders. Warum musste Jesus in einem Stall geboren werden? Weil ihn niemand beachtet hat. Von daher sind wir in guter Gesellschaft.“

wndn.de: „Wie viele Organisationen und Vereine hat auch die Kirche mit Nachwuchsproblemen zu kämpfen – sei es bei der Ausbildung von Priestern oder bei Ehrenamtlern wie Messdienern. Wie sehen Sie das Problem im Allgemeinen und wie stellt es sich in Ihrer Pfarreiengemeinschaft dar?“

Pastor Dr. Ulrich Graf von Plettenberg: „Im Allgemeinen ist es laut Statistiken ganz klar: In 10 oder 20 Jahren sind die Christen hier in Deutschland eine Minderheit. Katholiken und Protestanten stellen dann zusammen weniger als 50% der Bevölkerung. Es ist schwierig, das zu verändern. Hier in der Tholeyer Gegend geschieht das mit einer gewissen Verzögerung, unsere Region ist noch fast volkskirchlich geprägt. Aber bei den Messdienern sind die Zahlen zurückgehend. Auch die Zahl der Kirchenbesucher nimmt ab. Die Probleme zeigen sich auch bei den Pfarrgemeinderäten, wo es immer schwieriger wird, Ehrenamtliche zu finden, die sich engagieren wollen. Als ich vor 30 Jahren im Priesterseminar angefangen habe, gehörten zu meinem Jahrgang 29 Seminaristen, heute liegt die Summe von sieben Jahrgängen zwischen 25 und 30 Personen. Da sieht man die Entwicklung natürlich ganz deutlich. Ich möchte mich aber nicht den Kirchenuntergangs-Propheten anschließen. Ein zahlenmäßiges Weniger kann durchaus auch dazu führen, dass wir uns besser auf unsere Mitte konzentrieren und dann – hoffentlich – ein mehr an Ausstrahlung bekommen.“

wndn.de: „Viele junge Menschen aus dem Landkreis St. Wendel sind in religiösen Elternhäusern aufgewachsen. Trotzdem geht die Zahl der jungen Gläubigen, die regelmäßig die Kirche besuchen, zurück. Von manchen hört man, die Kirche hätte kein besonders modernes Image. Auch die Kirchenaustritte häufen sich. Wie können Sie speziell die junge Generation erreichen und wieder an den Glauben heranführen?“

Pastor Dr. Ulrich Graf von Plettenberg: „Das ist eine ganz schwierige Sache, da wir uns gegen andere Strömungen durchsetzen müssen, was fast eine Überforderung darstellt. Auf der anderen Seite glaube ich auch, dass wir uns in den letzten Jahren zu sehr auf bestimmte Themen fokussiert haben – auf die Moral zum Beispiel, oder die Statistiken, was den Kirchenbesuch betrifft. Aber je länger ich hier vor Ort bin und mit den Menschen zu tun habe, umso mehr stelle ich fest, dass sich das Christsein nicht nur im Kirchenbesuch äußert oder in der Frage, ob ich nach den moralischen Vorstellungen der Kirche lebe. Es gibt viel mehr Schattierungen, wie etwa die Nächstenliebe oder das persönliche Gebet außerhalb des Kirchenbesuches. Da gibt es doch einiges an Spuren von Glauben. Und die andere Herausforderung, die ich für uns als Kirche sehe, ist, dass wir weniger von oben herab auf die Menschen zugehen sollten, sondern eher fragen müssen: Was ist bei den Menschen an Glauben schon da? Eventuell ganz unbewusst. Wir sollten nicht nur sagen „Was können wir Euch als Kirchen geben?“, sondern auch „Was könnt Ihr uns geben?“ – das gilt vor allem für junge Menschen. Wo man jungen Menschen einen Raum gibt, sich einzubringen, da ist auch eine Chance für die Kirche gegeben.“

wndn.de: „In den Medien ist die Diskussion um Flüchtlinge nach wie vor präsent. Ist christliches Denken und Handeln in dieser Zeit mehr denn je geboten?“

Pastor Dr. Ulrich Graf von Plettenberg: „Eindeutig ja! Ich sehe die Diskussion als eine große Herausforderung für uns Christen, aber es geht nicht nur um die Diskussion, sondern auch um das konkrete Handeln und das Zugehen auf die Menschen. Das wird ja Gott sei Dank von vielen Christen entsprechend angenommen. Es gibt sehr, sehr viel ehrenamtliches Engagement und eine große Offenheit, auch wenn es fremde Menschen mit fremder Kultur und fremder Religion sind. Wenn wir da nicht offen sind, dann haben wir den Auftrag von Jesus nicht verstanden.“

wndn.de: „Wie engagiert sich die Kirche in unserer Region für Flüchtlinge?“

Pastor Dr. Ulrich Graf von Plettenberg: „Es gibt hier in der Gemeinde Tholey eine Gruppierung, die sich Flüchtlingshilfe am Schaumberg nennt und die von der Zivil- wie auch der Kirchengemeinde koordiniert wird. Darüber hinaus gibt es einzelne Aktionen. Letztes Jahr wurde beispielsweise eine Begegnungsabend von Jugendlichen aus Theley gestaltet. In diesen Tagen werden die Messdiener aus allen Pfarreien die Flüchtlinge besuchen und sich so um Kontakt bemühen – und auch darum, sie etwas an unserer Kultur teilhaben zu lassen.“

wndn.de: „Sie haben in Trier und Rom studiert und sind jetzt seit fünf Jahren im St. Wendeler Land. Was macht die Menschen in dieser Gegend aus?“

Pastor Dr. Ulrich Graf von Plettenberg: „Das Erste, was mir hier auffällt, ist, dass die Menschen sehr offen und herzlich sind. Ich habe noch nie Ablehnung gespürt. Natürlich gibt es Vorbehalte und schlechte Erfahrungen gegenüber Kirche, aber ich bin hier als Mensch und auch als Vertreter der Kirche noch nie vor eine Wand gestoßen. Es ist sehr viel Wohlwollen vorhanden.
Das Zweite, was mir sehr sympathisch ist, ist die Bodenständigkeit. Man merkt, dass die Leute hier verwurzelt sind und sich auch mit der Landschaft und ihren Heimatorten identifizieren. Man ist einfach gerne hier. Die Verankerung in den Traditionen merkt man auch an der Aktivität der Menschen. Ich war noch nie in einer Gegend, wo es so viele Vereine gibt wie hier.“

wndn.de: „Im Jahr 2015 hat sich weltpolitisch viel getan. Deutschland zieht in den Krieg und viele Menschen fürchten sich vor Terror. Was können Sie unseren Lesern in der Weihnachtszeit mit auf den Weg geben?“

Pastor Dr. Ulrich Graf von Plettenberg: „Gerade in so dunklen Zeiten tut es gut, jemanden an seiner Seite zu haben – egal, ob das der Partner ist oder Freunde, Familie, Nachbarn, Kollegen. Und genau das will Gott uns an Weihnachten vermitteln, indem er selbst Mensch wird und nicht in irgendwelchen fernen Sphären thront. Er wird einer von uns und stellt sich uns zur Seite, um Freude zu verdoppeln und Leid zu halbieren. Ich wünsche allen, dass wir diese Erfahrung machen.“

wndn.de: „Vielen Dank für das Interview!“

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