Er ist der bedeutendste und teuerste lebende Künstler der Welt. Nur zweimal kreierte der 88-jährige Gerhard Richter Kunst für einen Sakralbau – es sind zwei seiner größten Werke: 2007 entwarf der gebürtige Dresdner das berühmte Südquerhausfenster für den Dom seiner Wahlheimat Köln. Im August und September wurden nun die drei Tholeyer Richter-Fenster eingebaut. Doch woran glaubt Gerhard Richter?
KÖLNER RICHTER-FENSTER 2007
Anfang dieses Jahrtausends suchte das Kölner Domkapitel einen Künstler für das neue Südquerhausfenster. Das ursprüngliche Fenster von 1863 und dessen Entwürfe waren im Zweiten Weltkrieg zerstört worden. Das farblose Ersatzfenster, das man nach Ende des Krieges eingesetzt hatte, war renovierungsbedürftig geworden. Zudem empfand man den starken Lichteinfall des Fensters als störend.
Die Kölner Dombaumeisterin bat Gerhard Richter daher um einen Entwurf. Dabei gab man ihm die Darstellung von Märtyrern des 20. Jahrhunderts vor. Richter stellte aber – wie er später sagte – bald fest, dass er „dieser Aufgabe überhaupt nicht gewachsen“ gewesen sei. Nachdem er vergeblich versucht hatte, sich dem Thema zu nähern, war er bereits „im Begriff die Sache definitiv aufzugeben“. Doch da fiel Richter eine große Abbildung seines 4096-Farben-Bildes in die Hände. Richter legte die Schablone des gotischen Maßwerkes darüber und sah, „dass es nur so gehen könnte.“
Entgegen der ursprünglichen Planung, entschied man sich dann für einen abstrakten Entwurf von Gerhard Richter. Als das neue „Richter-Fenster“ im Jahr 2007 eingeweiht wurde, schlug Richter auch Kritik entgegen. Der prominenteste Kritiker des abstrakten Richter-Fensters war der damalige Kölner Erzbischof Kardinal Meisner. Meisner, der nicht dem Domkapitel angehörte, das Richter den Zuschlag gegeben hatte, sagte damals mit Blick auf das Bilderverbot im Islam: „Das Fenster passt eher in eine Moschee oder ein anderes Gebetshaus. Wenn wir schon ein neues Fenster bekommen, soll es auch deutlich unseren Glauben widerspiegeln. Und nicht irgendeinen.“
Und tatsächlich hat das bunte Kölner „Pixel-Fenster“ keinen direkten christlichen Inhalt. Es besteht aus rund 11.000 Farbquadraten in 72 Farben (den Farben, aus denen die übrigen Domfenster bestehen), die größtenteils nach dem Zufallsprinzip angeordnet wurden.
THOLEYER RICHTER-FENSTER 2020
Welche Bedeutung die Tholeyer Richter-Fenster haben, ist nicht ganz klar (Wie die Muster der Tholeyer Richter-Fenster entstanden, lesen Sie hier).
Zunächst hieß es, die Fenster ständen in einem Zusammenhang mit einer Komposition des berühmten estnischen Komponisten Arvo Pärt und stellten visualisierte Musikharmonien dar. Diese sollten ausdrücken, dass Gott, der für Menschen zu Lebzeiten Geheimnis und visuell verschlossen bleibt, vollkommene Harmonie bedeute.
Dieser Darstellung widersprach Richter in einem Interview mit der Rheinischen Post, das im August des vergangenen Jahres veröffentlicht wurde: „Das wusste ich nicht. (…) Man macht offenbar viel Wind, damit das Projekt berühmt wird.“ Die Besucher der Abteikirche sollten die Fenster „schön“ finden. Womit die Fenster zu tun hätten, wisse er nicht, sagte Richter damals. Fügte dann aber etwas widersprüchlich an: „Sie haben natürlich schon mit Gott zu tun, mit dem Wunsch, im Leben einen Sinn zu erkennen, eine Kirche zu bauen.“ Er habe die Fenster zwar nicht „zum Ruhme Gottes“, aber „zum Trost der Betrachter“ entworfen.
IST KUNST RELIGION?
Bereits als junger Mann zog Richter Parallelen zwischen Kunst und Religion. Im Jahr 1962 schrieb er in seinen Notizen: „Sich ein Bild machen, eine Anschauung haben, macht uns zu Menschen – Kunst ist Sinngebung, Sinngestaltung, gleich Gottsuche und Religion.“
Zwei Jahre später notierte er, dass Kunst „nicht Religionsersatz, sondern Religion“ sei – und zwar im wahrsten Sinne des Wortes: „,Rückbindung‘, ,Bindung‘ an das nicht Erkennbare, Übervernünftige, Über-Seiende“. Das heiße aber nicht, „dass die Kunst der Kirche ähnlich“ geworden sei und deren „Funktion“ übernommen habe, die Richter in „Erziehung, Bildung, Deutung und Sinngebung“ sieht. Weil „die Kirche als Mittel, Transzendenz erfahrbar zu machen und Religion zu verwirklichen“, nicht mehr ausreiche, sei „die Kunst, als verändertes Mittel, einzige Vollzieherin der Religion“ und damit „Religion selbst.“
Im Jahr 1988 schrieb Kunst-Star Richter in seinen Notizen über die Beziehung von Kunst und Glauben, dass die Kunst „die reine Verwirklichung der Religiosität, der Glaubensfähigkeit, Sehnsucht nach ,Gott‘“ sei. „Die Fähigkeit zu glauben“ sei „unsere erheblichste Eigenschaft“. Und sie werde „nur durch die Kunst angemessen verwirklicht“. „Wenn wir dagegen unser Glaubensbedürfnis in einer Ideologie stillen, richten wir nur Unheil an“, schrieb Richter weiter.
IST RICHTER ATHEIST?
Doch worin stillt Richter sein Glaubensbedürfnis? Glaubt er an einen Gott oder ist Richter Atheist? Richters Aussagen dazu, scheinen widersprüchlich zu sein.
Auf der einen Seite sagte er im Jahr 2007, dass man „ohne den Glauben an eine höhere Macht oder etwas Unbegreifliches“ nicht leben könne. Gegenüber der „Welt“ sagte Richter im Jahr 2012, dass er daran glaube, „dass da etwas ist, was größer ist als wir“. Im gleichen Beitrag wird er aber auch damit zitiert, dass er nicht an Gott glauben könne. Ähnlich äußerte er sich im Jahr 2011 in einem Gespräch mit Nicholas Serota: „Also erstens glaube ich, dass man immer glauben muss. Es geht ja überhaupt nicht anders; wir glauben ja auch, dass wir diese Ausstellung machen werden. Aber an den Gott kann ich nicht glauben, der ist mir entweder zu groß oder zu klein und immer unverständlich, unglaubhaft.“ Die Aussage, dass Gott „immer unverständlich“ sei, passt aber wiederum zu dem Ansatz, der die Abstraktheit der Tholeyer Richter-Fenster dahingehend deutet, dass Gott – auch wenn er in den Menschen wie den Heiligen wirke und sich in Jesus Christus gezeigt habe, letztlich nicht ganz zu erfassen sei und für Menschen ein Geheimnis bleibe.
Ist Richter also Atheist? Der Würzburger Bischof Friedhelm Hofmann, der mit Gerhard Richter befreundet ist und mit ihm auch theologische Gespräche führt, sagte in einem Interview anlässlich des 85. Geburtstages des Künstlers gegenüber Domradio, dass Gerhard Richter „nicht einfach Atheist“ sei: „Er ist jemand, der Gott sucht. Und er findet ihn auch in seinem Schaffensprozess.“ Richter selbst beschrieb sich ebenfalls als Suchenden: „Ich bin ein Suchender, wie es alle mehr oder weniger sind“, sagte Richter im August des vorigen Jahres gegenüber der dpa. An ein Leben nach dem Tod kann er aber nicht glauben: „Tot ist tot.“ Es sei aber „eine schöne Vorstellung, die die Menschheit sich da erfunden hat: Wenn sie stirbt, dass sie dann in den Himmel kommt“.
IST RICHTER KATHOLIK?
Und wie steht Richter zur katholischen Kirche? Richter wurde als Kind evangelisch getauft, trat aber bereits als junger Mann aus der Kirche aus. Er sei sich mit 16 oder 17 Jahren absolut sicher gewesen, dass es keinen Gott gibt.
Im Interview mit der Rheinischen Post sagte Richter im August des letzten Jahres aber, dass die Kirche als moralische Grundlage für die Gesellschaft wichtig und immer noch „der bedeutendste Spender von Heil und Trost“ sei. Richter sieht sich zudem als „Spross des Christentums“: „Ist ja immerhin meine Wurzel. Da komme ich her“, sagte der Künstler letztes Jahr gegenüber der dpa. Die Kirche sei eine „schöne Erfindung“ und habe „diese wunderbaren Bauten gemacht“, fügte er an. Solche Gebäude brauche man heute noch: „Was bisschen mehr Ernst hat und Würde reinbringt ins Leben.“
Richter ist ein Sympathisant der katholischen Kirche. Er ist seit 25 Jahren mit einer katholischen Konvertitin verheiratet. Ihre drei gemeinsamen Kinder – zwei Söhne und eine Tochter – wurden katholisch getauft. Im Jahr 2004 sagte er: „Ich denke, die katholische Kirche ist wunderbar.“
WARUM THOLEY?
Veranlasste seine Schwärmerei für die katholische Kirche und ihre „wunderbaren Bauten“ Richter auch dazu, unentgeltlich Fenster für die Abteikirche in Tholey zu entwerfen?
Das Tholeyer Kloster hat Richter zwar nach eigenen Angaben bis heute nicht gesehen. Er kenne es aber „von Fotos und Beschreibungen“ und wisse, „dass es das älteste Kloster auf deutschem Boden“ sei und „es für viel Geld renoviert“ werde, sagte der Künstler letztes Jahr in einem Interview mit der Rheinischen Post. Außerdem heißt es, dass es ihm gefalle, dass in Tholey echte Mönche leben. Frater Wendelinus Naumann OSB mutmaßt, dass „dieser frühgotische Charme der Kirche“ auch Richter beeindruckt haben wird. Zudem reizte Richter die Vorstellung, „etwas Längerfristiges“ zu schaffen, wie er der Rheinischen Post gegenüber sagte: „In den heutigen Museen gibt es ja das Gefühl von Ewigkeit nicht mehr. (…) Da ist eine Kirche ganz gut. Da macht es Freude, dass man etwas schafft, das ein wenig länger hält.“