Kolumne: Der Landkreis St. Wendel und die geringste Arbeitslosigkeit im Saarland – Fluch oder Segen?

Kolumnist: Julian Schneider, Geschäftsführer der Wirtschaftsförderungsgesellschaft St. Wendeler Land mbH
Kolumnist: Julian Schneider, Geschäftsführer der Wirtschaftsförderungsgesellschaft St. Wendeler Land mbH

Eine Kolumne von Julian Schneider, Geschäftsführer der Wirtschaftsförderung im Kreis St. Wendel

Zugegeben, der vorliegende Text trägt eine provokante Überschrift. Wie können die beiden Worte „Arbeitslosigkeit“ und „Segen“ in einem Satz zusammenfinden? Ein hoher Beschäftigungsstand sorgt schließlich innerhalb einer Volkswirtschaft für die Entfaltung des wirtschaftlichen Entwicklungspotenzials, beispielsweise über die Steigerung des BIP oder die Erhöhung des Volkseinkommens. Doch nicht nur mit einem generalisierten Blick, auch auf den individuellen Menschen bezogen, kann Arbeit Positives bewirken. Sie erhöht das Sicherheitsgefühl, sorgt für sozialen Austausch, strukturiert den Tag, gibt dem Einzelnen eine Aufgabe und sorgt im besten Fall dafür, dass jeder seine Talente einbringen kann. Außerdem lässt sie einen die Wochenenden noch ein Stück weit mehr schätzen. Klar, jeder hat „mo die Flemm“ oder durchlebt zähe Montage, doch im Kern hat Arbeit, die man gut und gerne tut, viel Positives zu bieten.

Gut also, dass im Landkreis St. Wendel die Zahl der Arbeitslosen im bundes- und landesweiten Vergleich gering ausfällt: Die Bundesagentur für Arbeit hat für den Landkreis St. Wendel im Januar 2024 eine Arbeitslosenquote von 4,0 Prozent veröffentlicht. Im gesamten Saarland liegt die Arbeitslosenquote bei 7,0 Prozent, in der Bundesrepublik bei 6,1 Prozent.

Es sollte also klar sein, dass eine geringe Arbeitslosigkeit für eine Region von Vorteil ist. Bei einer Abendveranstaltung schnappte ich allerdings den Gedanken von jemandem auf, der eine höhere Arbeitslosigkeit als Gewinn und Chance für eine Region einordnete. In Anbetracht des Arbeits- und Fachkräftemangels würde dieses erhöhte Arbeitnehmerpotenzial schließlich für die Lösung des hiesigen Problems sorgen.

Dieses Argument sollte mit hoher Sorgfalt genossen werden. Bedient man sich im Zuge dessen der Literatur, so lässt sich beispielsweise folgendes Zitat von Hans W. Möller aus seinem Buch „Versuch und Irrtum“ zitieren:

„Arbeitslosigkeit ist die Folge der Schrumpfung der Ansprüche an das volkswirtschaftliche Arbeitskräftepotenzial. Arbeitslosigkeit ist die Unterauslastung, Unterbeanspruchung der Produktionskapazitäten einer Volkswirtschaft. Dies wird als „Rezession“ oder als „Deflation“ bezeichnet.“

Eine höhere Arbeitslosigkeit sollte also nicht ungefiltert als Lösungsansatz für den Arbeits- und Fachkräftemangel verstanden werden. Die geringe Arbeitslosigkeit im Landkreis St. Wendel erhöht die Kaufkraft in einer Region. Als Kaufkraft wird das einem Haushalt verfügbare Einkommen nach Abzug wiederkehrender Zahlungen (z. B. Miete, Strom) verstanden. Im Saarland besetzt der Landkreis St. Wendel zusammen mit dem Saarpfalz-Kreis die vorderen Plätze der höchsten Kaufkraft. Im Landkreis St. Wendel liegt die Kaufkraft bei 24.948 Euro. Neben der erhöhten Kaufkraft ist ein Blick auf die Sozialleistungen des Staates zu richten. Diese können sich schließlich segmentbezogen reduzieren, wenn sich die Arbeitslosigkeit auf einem geringen Niveau bewegt. Eine erhöhte Arbeitslosigkeit verschärft die ohnehin vorhandenen Ungleichgewichte in der Einkommensverteilung, was gesellschaftliche Folgen mit sich bringt. Genauso reduzieren sich Steuereinnahmen, etwa die Einkommenssteuer.

Die Liste volkswirtschaftlicher Folgen einer zu hohen Arbeitslosenquote lässt sich sicherlich um viele Argumente fortschreiben. Genauso verhält es sich mit den individuellen, gesellschaftlichen und gesundheitlichen Folgen für den einzelnen Menschen, die mit Arbeitslosigkeit einhergeht. Die geringe Arbeitslosigkeit im Landkreis St. Wendel ist also vielmehr Segen als Fluch der Region.

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