Es ist schon dunkel, die Straße ruhig. Mit brummendem Motor kommt man zum Stehen. Schon jetzt kann man Bewegung aus dem Augenwinkel ausmachen. So leise wie möglich versucht man die Autotür zu schließen, den Haustürschlüssel aus der Tasche zu kramen und ins Haus zu schlüpfen. Aber ein Blick aus dem Fenster bestätigt die Vorahnung: Im Haus gegenüber brennt Licht im Flur, der Vorhang ist leicht zur Seite gezogen und ein Schatten zieht sich gerade aus der Öffnung zurück. Am Haus nebenan wird der Rollladen bereits langsam wieder heruntergelassen. Der örtliche „Sicherheitsdienst“ hat eben immer alles im Blick.
Seien wir mal ehrlich, jeder kennt sie: Die Großmütterchen und -väterchen, die ihre Straße bewachen. Sie beobachten alles, was in ihrer Gegend vor sich geht. Keine Bewegung entkommt ihren Adleraugen. Hinter ihren Fenstern scheinen sie nur darauf zu warten, dass etwas passiert, dass sie etwas zu beobachten haben. Sie sind bestens über die Aktivitäten ihrer Nachbarn informiert, wissen genau, wer wann arbeitet oder an welchen Tagen wo und was zu essen bestellt wird. Vermutlich haben sie sich ein besseres Netzwerk aufgebaut als das FBI. Ein fremdes Auto und unbekannte Gesichter kommen nicht einfach unbemerkt davon. Man sollte sich also nicht wundern, wenn auch zu später Stunde bei Lisel und Co. die Lichter angehen. Sie arbeiten schließlich rund um die Uhr, um an die interessantesten Neuigkeiten heranzukommen.
Sie haben dabei alle ihre eigenen Taktiken. Während sich die einen geschickt hinter dem Vorhang platzieren oder versteckt zwischen Rollladenspalten hindurchspitzen, wählen andere die offensivere Variante. Sie sitzen am weit geöffneten Fenster, stehen an der Haustür, lassen sich auf der Bank vorm Haus nieder – die wahrscheinlich nur aus diesem Grund dort platziert wurde – und machen kein Geheimnis daraus, dass sie jede Bewegung verfolgen.
Es sind auch keineswegs nur Großmütterchen, die ihre Zeit dem Tratsch und Klatsch des Dorfs widmen. Auch die alten Herren sind gerne und gut informiert. Auch wenn es da oft um die neusten Errungenschaften der Nachbarn aus dem Baumarkt geht, sind sie ebenso über alle anderen aktuellen Themen bestens im Bilde.
Über die neusten Erkenntnisse wird sich dann beim nächsten Spaziergang ausgetauscht. Ein kurzes „Gun Dach“ und dann geht es los: „Hasche schon geheert? Bei Friedel hat die Woch zweimo e auswertig Auto gestann!“ „Sah nur! Heer mo, de Herbert hat sich letscht Woch e nauer Rasemäher kaaft“. Der ständige Informationsaustausch ist schließlich das A und O der örtlichen Agenten.
Und auch wenn es schnell mal zu Missverständnissen kommen kann – so wurde schon so mancher für tot erklärt, nur um später herauszufinden: er war in Urlaub – halten sich die Fehlinformationen doch in Grenzen. Und das trotz vorangeschrittenen Alters und damit verbundenen Einbußen in Seh- und Hörfähigkeit. Man sollte „die Alten“ am besten nicht unterschätzen.
Gibt es aber vielleicht eine streng geheime Ausbildung, in der diese Art des Zeitvertreib gelernt wird? Und besondere Zulassungsbedingungen, um Teil des örtlichen Sicherheitsdienstes zu werden? Das wird sich wohl erst dann zeigen, wenn es an der Zeit ist, sich selbst als Großmütterchen oder Großväterchen zu bezeichnen.