Ruf nach Flexibilisierung der Arbeitszeit

Über Sinn und Unsinn der Vier-Tage-Woche – Kolumne von Julian Schneider

Laptop und Handy sollen eine Online Veranstaltung symbolisieren
Symbolbild

Gute Nachrichten für die heute in Deutschland aktiven Berufstätigen: Nach einer Publikation des Deutschen Gewerkschaftsbundes aus dem Jahr 2019 hat sich die durchschnittliche Arbeitszeit in den letzten 150 Jahren deutlich reduziert. Im Jahr 1871 wurde noch etwa 72 Stunden pro Woche gearbeitet, im Jahr 1990 waren es noch 39,7 Stunden.

Der berühmte Automobilpionier Henry Ford gilt als ein Wegbereiter dieser Arbeitszeitkonzentration. Er führte zu Beginn des 20. Jahrhunderts in seinem Unternehmen bei gleichbleibendem Lohn den Acht-Stunden-Tag ein. Später wurde hieraus die 40-Stunden-Woche bei fünf Arbeitstagen pro Woche. Dabei wollte Henry Ford sicherlich nicht der fortan bedeutendste Gewerkschafter Amerikas werden. Vielmehr war sein Motiv bemerkenswert und visionär zugleich: Er erkannte, dass ab einer gewissen Anzahl an Arbeitsstunden und -tagen die Gesamtproduktivität der Mitarbeitenden abnahm. Als Henry Ford die Anpassung der Arbeitszeit vornahm, bestätigte sich seine Annahme: Die Arbeitsergebnisse und -zufriedenheit der Belegschaft wurden verbessert. In Deutschland war es das Jahr 1918, indem der Acht-Stunden-Tag zum Ende des Ersten Weltkrieges infolge der Novemberrevolution gesetzlich vorgeschrieben wurde. Die Entwicklung hin zur Fünf-Tage-Woche hat sich in Deutschland in den Fünfziger Jahren verstärkt. Immer mehr Branchen führten das heute gewohnte Modell ein.

Inzwischen ist seit Henry Fords Einführung des Acht-Stunden-Tags und der Novemberrevolution ein Jahrhundert vergangen. Die Arbeitszeitmodelle haben sich seitdem nicht viel geändert, die Arbeitswelt hingegen schon. Sie ist vernetzter, digitaler, automatisierter geworden und fordert an allen Ecken und Enden Anpassungen von uns. So werden auch neue Arbeitszeitmodelle diskutiert, wie beispielsweise der Sechs-Stunden-Tag oder die Vier-Tage-Woche. Bei letzterem Beispiel wird die Arbeitszeit von fünf auf vier Wochenarbeitstage reduziert. Dies geschieht auf unterschiedlichen Wegen: Beispielsweise bleibt die Wochenarbeitszeit unverändert, wodurch sich die Arbeitszeit an den anderen vier Arbeitstagen verlängert. Bei einem anderen Modell fällt der Freitag komplett weg, sodass auch die Arbeitszeit nicht nachgeholt wird und sich die Gesamtwochenarbeitszeit reduziert.

Auf den ersten Blick dürfte bei der Vier-Tage-Woche die Arbeitnehmerschaft lauthals jubeln und die Arbeitgeberschaft bei anhaltendem Fachkräftemangel in Tränen ausbrechen. Bei alldem sind die bisherigen Studien interessant, die an verschiedenen Orten der Welt durchgeführt wurden:

Kolumnist: Julian Schneider, Geschäftsführer der Wirtschaftsförderungsgesellschaft St. Wendeler Land mbH
Kolumnist: Julian Schneider, Geschäftsführer der Wirtschaftsförderungsgesellschaft St. Wendeler Land mbH

In Großbritannien führte die Organisation „4 Day Week Global“ 2022 bis 2023 einen sechsmonatigen Feldversuch durch, bei dem ca. 3000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer teilnahmen. Über dem Versuch stand das Prinzip 100-80-100. Dahinter verbergen sich keine neuen Schönheitsideale, sondern vielmehr folgende Formel: 100 Prozent Produktivität, 100 Prozent Bezahlung, 80 Prozent Arbeitszeit. Die Studie wurde von der Universität Cambridge und vom Boston College begleitet. Am Ende der Studie teilten 56 der 61 teilnehmenden Arbeitgeber mit, die Vier-Tage-Woche beibehalten zu wollen. Die Krankheitstage der Belegschaften reduzierten sich durchschnittlich um zwei Drittel, vier von zehn Mitarbeitende fühlten sich weniger gestresst. Der Umsatz ist bei den teilnehmenden Unternehmen um 1,4 Prozent gestiegen.

In dem Bericht „Going Public: Iceland’s Journey to a shorter Working Week“ sind zwei Feldversuche der Vier-Tage-Woche zusammengefasst, die in Island durchgeführt wurden. Insgesamt nahmen ca. 2940 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer unterschiedlicher Branchen teil, die eine Vier Tage-Woche mit reduzierter Arbeitszeit erprobten. Im Ergebnis hielt die Studie fest, dass sich Vorteile für die Mitarbeitenden ergeben haben: bessere Work- Life-Balance, gesünderes Wohlbefinden, weniger Stressempfinden, mehr Zeit für Familie, Freunde und sich selbst. Besonders interessant: Die Bedenken geringerer Arbeitsergebnisse haben sich in den isländischen Studien nicht bestätigt, denn die Arbeitszeit wurde viel effizienter genutzt. Beispielsweise wurden Meetings verkürzt, gestrichen oder durch E-Mails ersetzt. Dieser und viele weitere Schritte führten bei den Studienteilnehmern zu gleichbleibenden oder sogar besseren Ergebnissen im Vergleich zur Fünf-Tage-Woche. 2019 hat Microsoft in Japan die Vier-Tage-Woche über fünf Wochen bei 2300 Angestellten erprobt, ohne dabei deren Gehalt zu reduzieren. Die Produktivität der Mitarbeitenden gemessen am Umsatz pro Kopf nahm im Vergleich zum Jahresvormonat um ca. 40 Prozent zu. Diese Zahl wurde zwar später revidiert, eine Verbesserung des Umsatzes wurde dennoch erreicht. Hinzukommend ist ein weiterer positiver Nebeneffekt eingetreten: Der Stromverbrauch wurde um ca. 23 Prozent und Papierverbrauch um ca. 59 Prozent reduziert.

Unabhängig ob Vier-Tage-Woche, Sechs-Stunden-Tage oder andere zeitliche Rahmenbedingungen: Der Ruf nach Flexibilisierung der Arbeitszeit und Anpassung an die neue Arbeitswelt ist deutlich zu hören. In vielen Berufen führt eine kluge Arbeitsorganisation zu besseren Arbeitsergebnissen bei reduzierter Arbeitszeit. Henry Ford hatte den Mut und dieselben Motive, die heute hinter der Vier-Tage-Woche stehen. Spannend bleibt allerdings die Frage, ob eine Vier-Tage-Woche in sämtlichen Branchen Sinn macht. Was ist beispielsweise mit der Pflegebranche oder den Krankenhäusern? Und kann eine Vier-Tage-Woche sogar zu erhöhtem Stress führen, wenn die Arbeitsergebnisse gebündelt an einem Tag weniger zu erbringen sind? Die bisher durchgeführten Feldstudien haben ein positives Bild von der Vier-Tage-Woche gezeigt. Es bleibt abzuwarten, wohin uns die gesamtwirtschaftliche Entwicklung führen wird.

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