St. Wendel: „Endlich Ich“- Ein Interview mit Transgender Matthias M.

Wir haben mit dem 29-jährigen Student Matthias M. aus dem Landkreis St. Wendel über seine Transsexualität gesprochen.

wndn.de: Matthias, wann hast du das erste Mal gemerkt, dass du dich in deinem Körper nicht wohl fühlst?

Matthias: „Das habe ich relativ früh gemerkt, eigentlich schon seit ich denken kann. Eine frühe Kindheitserinnerung ist beispielsweise, dass meine Mutter mir verschiedene Spielfiguren erklärt hat und ich sauer war, wenn ich die Mädchen- Spielfigur bekommen hatte.
Ich erinnere mich noch sehr gut. In meiner Kindergarten- beziehungsweise Grundschulzeit dachte ich hätte Pech und jeder wollte ein Junge sein, bis ich dann irgendwann mitbekommen habe, dass es tatsächlich Mädchen gibt, die auch wirklich gerne Mädchen sind. Bis ich das verinnerlichen und glauben konnte, das hat gedauert. Die Erfüllung dieser Rollenerwartung war schon damals sehr belastend. Ich sollte mich wie ein Mädchen anziehen, mit Mädchenspielzeugen spielen, mich mädchenhaft verhalten, das war anstrengend, denn damit fühlte ich mich alles andere als wohl.“

Wann konntest du mit jemandem über deine Situation sprechen?

„Leider konnte ich mich erst im Alter von 16 Jahren einer guten Freundin öffnen. Bis dahin habe ich mich so durchgekämpft. All die Jahre tagtäglich diese Rolle wie ein Schauspieler zu müssen um den Menschen gerecht zu werden, das war der größte Kraftakt.
Relativ zeitnah hatte ich dann auch das Gespräch mit  meinen Eltern gesucht, weil ich diesen Druck einfach nicht mehr aushielt.“

Gab es einen Unterschied zwischen der Reaktion deiner Mutter und der deines Vaters?

„Die ganze Angelegenheit war auf unterschiedliche Arten für beide schlimm. Mein Papa war eher still geschockt, meine Mama war zwar auch geschockt, sie hat aber direkt darüber geredet. Beide haben sich sehr viele Sorgen um mich gemacht.“

Wie haben die Menschen in deinem Umfeld (Familie, Freunde, Bekannte) darauf reagiert? Gibt es auch Menschen, die sich damals von dir abgewandt haben?

„Für meine Eltern und meine Familie war diese Nachricht schwer. Es war ein Schock für alle. Meine Eltern hatten vor allem Angst um mich. Angst, dass ich mir das Leben schwer mache, Angst, dass ich nicht akzeptiert, beleidigt oder nicht ernst genommen werde. Sie brauchten Zeit um das Ganze zu verdauen,  stehen aber, nach wie vor, hinter mir.
Der Rest der Familie zeigte gemischte Reaktionen. Für die einen war es unverständlich aber in Ordnung, wenige zeigten gar kein Verständnis. Am Meisten habe ich aber positive Reaktionen und Unterstützung erhalten.
In meiner damaligen Schule, dem Arnold-Janssen-Gymnasium (AJG) in St. Wendel, habe ich zunächst mit meiner Betreuungslehrerin gesprochen und mich anschließend vor den Kursen geoutet. Natürlich gab es viel „dummes Gespräch“ hinter meinem Rücken, aber ich habe keine direkten Beleidigungen erfahren, auch die Lehrer haben fast alle ausnahmslos gut reagiert.
Für manche meiner Freunde war es nicht so einfach, weil sie an ihre Freundin gewöhnt waren, aber auch diese haben mich allesamt unterstützt. Wenn es sich gerade ergeben hatte und auch da wo es mir selbst wirklich wichtig war, habe ich die Sache selbst übermittelt. Einige wussten es aber schon, weil es sich schnell rumgesprochen hatte.“

Wie ging es von da an für dich weiter?

„Von da an ging alles sehr schnell. Ich habe mir meine langen Haare abschneiden lassen, mir männliche Klamotten gekauft und bin auf Vorschlag meiner Eltern zum einem spezialisierten Therapeuten. Um männliche Hormone verschrieben bekommen zu dürfen war das auch die erste Hürde. Von 2007 an war ich dann in Therapie und habe auf meinen Wunsch hin erst nach zwei Jahren damit begonnen Hormone einzunehmen. Dort erhielt ich dann offiziell die Diagnose „Transsexualität“.
Daraufhin stellte ich 2008 den Antrag auf Namensänderung bei Amtsgericht. Hierzu war ein Gutachten von zwei unabhängigen Psychologen zur Bestätigung der Diagnose „Transsexualität“ notwendig. Ein maßgebliches Kriterium war es, das man vor Antragstellung schon eine Zeit lang in der neuen Identität gelebt haben musste.
Im Jahre 2009 habe ich dann begonnen Testosteron einzunehmen. Zunächst in Form von Gel, welches auf die Brust aufgetragen wurde und was mit sehr unangenehmen Nebenwirkungen, wie etwa Schweißausbrüchen und Hitzewallungen verbunden war. Anschließend habe ich alle 12 Wochen Intervall-Spritzen bekommen. Auch heute sind diese noch gut verträglich für mich. Ich werde sie lebenslänglich erhalten. Die ersten Ergebnisse waren damals schon nach kurzer Zeit ersichtlich. Angefangen beim Stimmbruch, über die Fettumverteilung, den männlichen Haarwuchs und die markante Veränderung von Gesicht, Händen und Füßen.

Wann hattest du das erste Mal den tatsächlichen Wunsch auch von anderen als Mann wahrgenommen zu werden?

„Nachdem ich mich bei meinen Eltern geoutet hatte, suchte ich, wie bereits erwähnt, einen Therapeuten auf. Erst über diesen, verschiedene Internetforen und den Kontakt zu anderen Transsexuellen wurde mir die Realisierung dieses Wunsches nochmal ein starkes Stück näher gebracht.“

Wurdest oder wirst du aufgrund deiner neuen Identität beleidigt oder schlecht behandelt?

„Ich bin noch nie offen angefeindet worden. Auch heute ist das glücklicherweise gar kein Problem. Ich habe noch nicht erlebt, dass jemand wirklich richtig unangebracht oder gar aggressiv auf meine Situation reagierte.“

Welche Alltagsprobleme hattest du damals? Welche bestehen heute noch?

„Typische Probleme waren in meiner Outingzeit die Discogänge oder Kneipentouren. Ich sah auch mit 18 Jahren noch sehr jung aus und mein Ausweis brachte mich nicht weiter, weil ich darauf ja noch wie ein Mädchen aussah. Auch heute kann es beispielsweise im Schwimmbad oder in Sammelduschen zu unangenehmen Situationen kommen. Ob der Aufenthalt aber wirklich ein Problem ist, ist tagesformabhängig. An dem einen Tag bin ich stark und positiv gestimmt, an anderen Tagen weniger. Aber in der Regel traue ich mich zu mir zu stehen und selbstbewusst genug zu sein um eventuell mit blöden Sprüchen umzugehen. Mir fällt jetzt nichts Konkretes ein, wobei ich wirklich richtig Sorge vor Transphobie hätte.“

Welche Hürden musstest du überwinden um dich kostenfrei operieren lassen zu können?

„Die bestätigte Diagnose „Transsexualität“ und das Gutachten der Namensänderung mussten dem Antrag bei der Krankenkasse beigefügt werden, danach erhielt ich die Kostenzusage. 2010 und 2011 wurde die Mastektomie, also die Brustentfernung in mehreren Operationen nach der subcutanen Methode durch eine Ärztin aus München durchgeführt. Diese Methode ermöglichte eine geringe Narbenbildung. Der Penoidaufbau, also die Geschlechtsangleichung ist aktuell noch kein gravierendes Thema. Ich bin erst mal erleichtert, dass ich keine weibliche Brust mehr habe. Aktuell habe ich kein unbedingtes Bedürfnis einen Penis haben zu müssen. Die Mastektomie war mir am Wichtigsten. Im Alltag die Brust nicht mehr verstecken zu müssen, das fühlt sich für mich sehr gut an.
Eine Geschlechtsangleichung ist kein Zuckerschlecken, das ist ein einschneidender Eingriff und ich muss mir das noch gut überlegen. Fragen wie „Wie komme ich mit dem Penis zurecht? Werde ich den Eingriff bereuen? Wie Orgasmus -fähig ist der Penis später?“ beschäftigen mich stark, die Sorge vor der Operation ist da eher untergeordnet.

Wie ging es dir nach den Operationen?

„Nach der Brustentfernung hatte ich kaum Schmerzen, eine Brustwarze ist etwas tauber als die andere, aber das ist okay. Das Gefühl ein T-Shirt tragen zu können ohne die Brust verstecken zu müssen ist einfach schön, es fördert meine Lebensqualität. Auch wenn ich danach relativ lange noch einen Gurt tragen musste, war und bin ich sehr befreit. Das war es definitiv wert. Es war sehr wichtig und gut für mich. Meine Eltern haben mich dabei maßgeblich unterstützt und begleitet. Für sie war diese Operationen vermutlich schlimmer als für mich.“

Bist du in einer Beziehung? Welches Geschlecht präferierst du?

„Ich stehe auf Frauen und Männer, wobei das keine große Rolle spielt, denn ich habe seit 9,5 Jahren einen festen Freund. Viele Transgender, die ich kenne sind heterosexuell, manche sind homosexuell, das ist unterschiedlich.“

Was rätst du Menschen, die sich in einer ähnlichen Lage befinden und sich nicht trauen zu ihrer Identität zu stehen und sich zu öffnen?

„Das Internetseite „www.forum.ftm-portal.net“ für Transmänner hat mir sehr geholfen. Ich hatte wahnsinnig Angst davor mit jemanden darüber zu sprechen, aber es war viel weniger schlimm als ich es befürchtet hatte. Ich hatte da viel Glück. Ich kann jedem nur  raten mit Menschen in der gleichen Situation zu kommunizieren und sich zu treffen. Sich auszutauschen, das stärkt das Selbstbewusstsein und hilft bei diesem wichtigen Schritt. Weiterhin kann ich raten Geduld mit seinen Mitmenschen zu haben, jeder ist anders gestrickt und geht mit der Situation anders um.“

Was meinst du zum Thema „Toiletten für Intersexuelle“?

„Diese sind ja für die Menschen gedacht, die sich keinem Geschlecht eindeutig zugeordnet fühlen und auch für Menschen, die bei Geburt mit uneindeutigen Geschlechtsteilen zur Welt gekommen sind. Ich finde es natürlich gut, dass diese Möglichkeit schon in vielen Bereichen besteht, das ist lang überfällig. Es gibt auch Transgender, die sich nicht eindeutig zuordnen können, aber ich zum Beispiel sehe mich klar als Mann- und das auch ohne Penis.“

Was sagst du zu Menschen, die transphob eingestellt sind?

„Es ist einfach unklug Vorurteile zu haben. Unwissenheit ist hier wohl ein wichtiges Stichwort. Urteilen lässt sich schnell. Manche Menschen können sich einfach glücklich schätzen sich noch nie in einer solchen Situation befunden zu haben. Ich nehme solche Menschen nicht ernst. Es ist schlimm wenn Beleidigungen oder derartiges Transsexuelle treffen, die damit nicht umgehen können und sich das zu Herzen nehmen. Das unangebrachte Verhalten des Gegenübers zu tolerieren und zu akzeptieren kann dabei helfen zu zeigen, dass andere sich lächerlich machen. Wenn mich heute ein Mann extra mit meinem ehemaligen weiblichen Namen ansprechen würde, würde ich mir für ihn vermutlich auch einen Frauennamen ausdenken.“

Wie gehst du heute mit allem um? Wie geht es dir heute?

„Mir geht’s heute wirklich gut. Das Ganze ist wenig Thema. Ich muss keine Rolle mehr spielen und gehe relativ offen damit um. Ich kann auch wirklich problemlos darüber sprechen. Ich fühle mich am wohlsten wenn ich mich nicht verstecken muss.“

Was ist dein Lebensmotto?

„Wenn ich irgendwo nicht so sein kann, wie ich bin, dann bin ich da wohl falsch.“

„Mut steht am Anfang des Handelns, Glück am Ende.“ [Demokrit]

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