St. Wendel: Endlich frei- Interview mit Benjamin K. zum Thema Homosexualität

Musternde Blicke und heimliches Getuschel hinter vorgehaltener Hand. Desinteresse, Unverständnis und Beleidigungen. Ekelgefühle, Anfeindungen und Drohungen. Versteckspiele in Privat- und Berufsleben.  Wut, Trauer und Scham.

Dies sind unangenehme und belastende Umstände mit denen der St. Wendeler Benjamin K. viele Jahre zu kämpfen hatte. Heute kann er offen und selbstbewusst über das Thema Homosexualität sprechen. Wir durften den 26-jährigen Einzelhandelskaufmann zu seinen besonderen Lebensumständen interviewen.

Benjamin, wann hast du gemerkt, dass du homosexuell bist?
Wie bist du von da an damit umgegangen?

„Seit dem Kindergartenalter habe ich gespürt, dass mein Interesse für Jungs schon immer größer war, als das für Mädchen. Ich hatte immer das Gefühl anders zu sein, ich dachte, dass etwas nicht mit mir stimmen würde. Im Laufe der Jahre wurden diese Gefühle immer stärker, es entwickelten sich intensive Gefühle, denen ich mich nicht mehr entziehen konnte. Das wurde speziell in meiner Teenagerzeit immer problematischer, weil ich mich zu Hause nicht öffnen konnte. Ich habe zwei Mal in meinem Leben versucht näheren Kontakt zu Frauen aufzubauen, aber das fühlte sich nicht richtig an. Mit Mädels habe ich bis heute lediglich freundschaftlichen Kontakt und damit fühle ich mich sehr wohl. “

Du hast gerade angesprochen, dass du dich zu Hause nicht öffnen konntest.
Kannst du das etwas genauer erläutern?

Seit meinem 13. Lebensjahr bin ich innerhalb meines engsten Freundes- und später auch Kollegenkreises offen mit meiner Homosexualität umgegangen. Positiverweise bin ich in diesem Umfeld auch noch nie angeeckt, dort hatte ich Leute, die bis heute immer hinter mir gestanden haben. Zu Hause war das leider nicht der Fall. Insbesondere meine Eltern hatten eine ausgeprägte Abneigung Homosexuellen gegenüber. Sie können und wollen meine Art zu leben und zu lieben nicht verstehen. Das war auch der Hauptgrund warum ich mich innerhalb der Familie nicht outen konnte. Dies hat mir jahrelang schwer zugesetzt und mich stark belastet.

Wissen deine Eltern denn heute, dass du homosexuell bist und wenn ja, wann und warum hast du dich geoutet?

Ja. Heut zu Tage gehe ich offen und ehrlich damit um. Bedingt durch eine  feste Partnerschaft mit 23 Jahren, geriet ich mehr und mehr unter Druck. Mein damaliger Freund bestand darauf, dass ich mich offiziell und überall oute. Zu dieser Zeit war das sehr hart für mich, aber heute denke ich, dass es ein sehr wichtiger Schritt für mich und mein Leben war. Diese Entscheidung hat mich sehr viel Mut, Kraft und Nerven gekostet. Mit Hilfe eines sehr guten Freundes an meiner Seite haben wir diese Nachrichten zu Hause am Küchentisch gemeinsam übermittelt.

Wie haben deine Eltern reagiert?

Obwohl sie es schon längere Zeit ahnten, waren sie teilweise sprachlos. Die Situation war in diesem Moment sehr beklemmend. Ich bin wirklich tausend Tode gestorben. Es war sehr unangenehm, aber unglaublich wichtig und gut für mich. Anfangs wollten sie es überhaupt nicht respektieren. Heute sind sie immer noch nicht begeistert, aber akzeptieren es. Ich kann auch meinen Partner mit nach Hause bringen, ohne dass Probleme entstehen. Damit kann ich leben.

Wie fühlst du dich, seit du dich geoutet hast?

Mit einem Wort „Frei“! Das war längst überfällig. Zehn Jahre habe ich das mit mir rumgeschleppt, das wünsche ich keinem. Ich gehe viel selbstbewusster und sicherer durch die Welt. Ich habe keine Bedenken mehr in der Öffentlichkeit  meinen Arm um meinen Partner zu legen oder ihn zu küssen. Es ist mir heute egal, was andere Leute über mich denken.


Wurdest du schon einmal außerhalb deiner Familie aufgrund deiner sexuellen Neigung benachteiligt?

Ich muss sagen, dass ich diesbezüglich schon viel üble Nachrede, Pöbeleien und einige Beleidigungen einstecken musste. Auch aggressives Verhalten musste ich mehrfach über mich ergehen lassen. Wenn mir bekannt ist, dass gewisse Menschen eine Art Schwulenfeindlichkeit oder derartiges in sich tragen, dann provoziere ich nichts. Das ist nicht meine Art. Ich respektiere die Ansichten anderer und erwarte im Gegenzug genauso, dass dies auch umgekehrt der Fall ist. Es gibt unglücklicherweise sehr viele intolerante Menschen, aber das kann man leider nicht ändern, da muss man einfach drüber stehen. Das ist sehr wichtig.

Wie fühlt man sich als Homosexueller in einer solch ländlichen Gegend wie St. Wendel?

St. Wendel ist eine typische Kleinstadt, in der jeder jeden kennt. Wenn man hier über den Schlossplatz schlendert, steht man automatisch im Fokus. Wenn man dann auch noch schwul ist, gucken die Leute besonders auffällig, zumindest fühlt es sich so an. Ich denke es ist schon anders als in einer Großstadt. Da interessiert es keinen oder kaum jemanden, wenn zwei Schwule Hand in Hand rumlaufen, diese großen Städte sind einfach weltoffener. Alles verläuft sich und die Leute sind toleranter. Hier wäre sowas direkt ein heißes Thema, das sofort weitergetratscht werden muss. Früher hatte ich meine Probleme damit, aber heute komme ich damit gut klar.

Möchtest du noch etwas Abschließendes sagen?

Ich möchte gerne jedem Mut machen, der sich versteckt und noch nicht geoutet ist. Ob es einen richtigen Zeitpunkt dafür gibt, weiß ich nicht, aber spätestens wenn der richtige Partner da ist, kommt das Bedürfnis frei leben zu wollen, ganz von selbst. Wenn man jemanden hat, der hinter einem steht,  einen unterstützt und versteht, dann ist das optimal. Ich denke einfach, dass ihr euch diese Last so schnell es geht von der Seele nehmen müsst. Es ist euer Leben!

Also seid mutig, denn vermutlich könnt ihr erst dann glücklicher, leichter und befreiter leben.

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