Oberlinxweiler/São Vendelino. Vor 200 Jahren kamen die ersten deutschen Einwanderer nach Brasilien und ließen sich dort vor allem im südlichsten Bundesstaat Rio Grande do Sul nieder. Dort liegt auch die Partnerstadt von St. Wendel, Sao Vendelino (portugiesisch: St. Wendel), die sich selbst als „das kleine Paradies“ bezeichnet. Stefan Blasius aus Oberlinxweiler, der sich im Verein zur Förderung der St. Wendeler Städtepartnerschaften um die Beziehungen zur brasilianischen Partnerstadt São Vendelino kümmert, war der einzige Vertreter aus St. Wendel, der zu den Feierlichkeiten am 20. April der Einladung gefolgt ist.
In der ersten Woche wurden die partnerschaftlichen Beziehungen gepflegt und im Rathaus mit Bürgermeisterin Marlí Oppermann-Weissheimer Geschenke ausgetauscht. Dabei wurde auch der Wunsch zweier jungen Brasilianerinnen vorgebracht, die gerne in Deutschland eine Ausbildung als Pflegefachkraft antreten würden, und um Unterstützung hierbei gebeten. In der Region leben sehr viele Deutschstämmige, die zum Teil noch das „Hunsrücker Platt“ sprechen, da viele ihrer Vorfahren aus diesem Teil Deutschlands stammen. So fiel die Verständigung nicht schwer, ansonsten half ein Übersetzungsprogramm.
Der Höhepunkt war die Feier „200 Jahre deutsche Einwanderung“ am 20. April. Es wurden traditionelle Tänze aufgeführt und alte deutsche Volkslieder gesungen. Schüler stellten in historischer Tracht Szenen dar, wie sie von den Einwanderern im 19. Jahrhundert bei ihrer Ankunft und in den ersten Jahren danach überliefert sind. Bevor dann die Party mit der in Brasilien beliebten Sertanejo-Musik und einer Band, die Rocksongs coverte, losging, fanden etliche Ehrungen statt. Dabei wurde Stefan Blasius, der eine kurze Rede auf plattdeutsch hielt, für seine Verdienste um die Städtepartnerschaft ausgezeichnet und gab live im Radio Feliz ein Interview.
In der letzten Urlaubswoche unternahm Stefan Blasius mit seinem Freund Pepe und dem Kameramann David Groß eine Autoreise an die Grenze zu Uruguay, die in Livramento zu Fuß überquert wurde. Außerdem traf er den brasilianischen Historiker Felipe Kuhn-Braun im Scheffelmuseum zu Novo Hamburgo und unterhielt sich mit ihm über 200 Jahre deutsche Einwanderung. In Teutônia besuchte er ein Konzert des Orchesters von Lucas Eduardo Grave, das bereits mehrfach in der Oberlinxweiler Kulturscheune aufgespielt hat. In Linha Nova begab sich Stefan Blasius auf die Suche nach dem Grab des Oberlinxweiler Bürgers Nikolaus Bier, der 1854 mit Frau und Kindern nach Brasilien ausgewandert ist und sich dort niedergelassen hat. Zwar wurde die Grabstätte gefunden, aber das Grab war inzwischen entfernt worden.
Nachdem er alter Bekannte wiedergesehen und neue Freunde gewonnen hatte, nahm er am letzten Aprilsonntag schweren Herzens Abschied von São Vendelino. Zu diesem Zeitpunkt ahnte noch niemand, dass sich keine 24 Stunden später nach starkem Dauerregen „das kleine Paradies“ in eine Hölle verwandeln würde.
Am Dienstag erreichten ihn stündlich neue Fotos und Videos, welche die ungeheure Zerstörungskraft des um ein Mehrfaches seiner Normalhöhe über die Ufer getretenen Forromecco anrichtete, und ein Ende des Regens war noch nicht abzusehen. Straßenzüge und Fahrzeuge wurden von Erdrutschen mitgerissen und unter sich begraben und das Ortszentrum überflutet. Man spricht von einem Jahrhunderthochwasser. Die Bevölkerung wurde aufgefordert, höhere Lagen aufzusuchen, aber wegen der Erdrutsche war man dort auch nicht sicher. Die Padaria, in der Stefan Blasius bis Sonntag wohnte, stand ebenso unter Wasser wie der größte Teil des Zentrums, ebenso die bekannte „Urwald-Brauerei“. Schulen wurden geschlossen, das öffentliche Leben kam zum Erliegen, jeder versuchte zu retten, was noch zu retten ist. David, der Kameramann, der noch bis Mitte Mai in Sao Vendelino bleibt und ebenfalls in der Ferienwohnung der Padaria logiert, schrieb Stefan Blasius, dass er zum richtigen Zeitpunkt abgereist sei. Freude über diesen glücklichen Umstand will aber nicht aufkommen. Vielmehr gilt seine Sorge den Menschen, die ihm im „Pequeño Paraíso“ ans Herz gewachsen sind. In der Nacht zum 1. Mai meldete sich Bürgermeisterin Oppermann-Weisheimer per Whatsapp-Nachricht bei Stefan Blasius: „Wir wissen nicht, was wir sonst tun sollen. Einfach beten. Und es regnet immer noch. Wir haben Angst, dass die hohe Brücke in der Mitte zusammenbricht!“
Zum Wochenende hat sich die Lage entspannt, das Hochwasser ist wieder zurückgegangen, kann aber jederzeit wiederkehren, da weiterhin starke Regenfälle gemeldet sind. Das Ausmaß der Zerstörungen ist erst bezifferbar, wenn das Hochwasser vollständig zurückgegangen ist. Aber es ist bereits jetzt abzusehen, dass es die bislang größten Schäden der Geschichte in São Vendelino angerichtet hat. Andere Gegenden sind noch härter getroffen worden, es gibt viele Tote und Verletzte und die Versorgung erfolgt nur noch per Hubschrauber, welche auch Menschen aus lebensbedrohlichen Situationen gerettet haben. Mittlerweile ist ein Gebiet größer als die Bundesrepublik von den Fluten betroffen und der Ausnahmezustand verhängt worden.