
„Man kann nicht nicht kommunizieren.“ Paul Watzlawick
Die Bedeutung dieser Aussage wird einem so richtig bewusst, wenn man einmal die Geschichte von Katharina Klos kennenlernt. Die 22-Jährige aus Marpingen studiert Gebärdensprachedolmetschen und kann so einiges über Kommunikation erzählen und vor allem, wie sie für Gehörlose funktioniert.
Es ist ja allgemein bekannt, dass es Gebärdensprache gibt, doch wie viele von uns haben sich schon eingehend damit befasst, dass unsere Muttersprache nicht nur in gesprochenen Worten sondern auch in Zeichen existiert? Katharina wurde durch die Arbeit ihrer Mutter dazu inspiriert, sich einmal näher damit auseinander zu setzen. Sie besuchten gemeinsam einen Gebärdensprachkurs und nach diesem war es klar für sie: „Genau das will ich machen.“ Durch diesen Kurs erlernte sie nicht nur gewisse Grundkenntnisse in der Gebärdensprache, sie entdeckte auch eine Leidenschaft dafür und die Gewissheit, dass sie damit in Zukunft arbeiten möchte.
Wie ist so ein Studium aufgebaut?
Katharina erklärt, dass es sich bei dem Studiengang nicht ausschließlich um Gebärdensprache handelt, auch wenn sie den größten Teil einnimmt. Anatomisches, vor allem über das Gehör wird gelehrt, dazu kommt, dass man sich gut ausdrücken können muss. Wenn man als Dolmetscher tätig ist, ist es verständlicherweise wichtig, sich gekonnt eloquent zu artikulieren, daher ist auch Deutsch eines ihrer Fächer. Rechtliche Grundlagen, vor allem im Bereich des Gesundheitswesens, sind wichtige Kenntnisse, um sich später im Beruf zurechtzufinden. Sie berichtet zudem, dass wenn man sich mit diesem Studium befasst, einem auch klar wird, dass Mimik und Körperhaltung weit mehr über den gegenwärtigen Gemütszustand eines Menschen aussagen, als man annehmen mag.
Neben dem Studium absolviert sie zeitweise ein Praktikum in den MediClin Bosenberg-Kliniken in St. Wendel. Diese gehören zu den führenden, bundesweit anerkannten Gesundheitsdienstleistern im Bereich des Cochlea Implantats (CI). Katharina erlernt praktische Kenntnisse im Dolmetschen indem sie dort Gehörlose zu Terminen begleitet und von Gebärdensprache in die gesprochene Sprache übersetzt und umgekehrt. Die Kommunikation in der Gebärdensprache funktioniert für sie mittlerweile fließend, wenn die Anfänge auch schwer waren. Aber sie selbst sagt, dass es nicht anders ist als eine neue Fremdsprache zu erlernen. Interessant ist auch, dass für jede Sprache andere Zeichen existieren. Es gibt keine globale „Einheitsgebärdensprache“, genauso wie sich in jedem Land die Lautsprachen entwickelt haben, hat sich auch für jedes Land eine individuelle Gebärdensprache entwickelt.
Wie wird die Kommunikation empfunden, wenn ein „Hörender“ sich mit einem Gehörlosen unterhält?
Katharina erläutert zunächst, dass sie stolz darauf war, am Anfang ihres Studiums immer mehr verstehen und sich immer besser verständigen zu können. Wenn sie mittlerweile gebärdet – so wird die Kommunikation in der Zeichensprache genannt -, fühlt es sich für sie aber ganz normal an. Eine ganz gewöhnliche Kommunikation zwischen zwei oder mehreren Menschen eben. Dennoch gibt es kleine Unterschiede: „Sich mit Gehörlosen zu unterhalten empfinde ich als sehr angenehm. Sie sind von ihrem Wesen her viel offener und freuen sich immer sehr darüber, wenn jemand die Gebärdensprache beherrscht. Man muss eben bedenken, dass sie in ihrem Umfeld sehr eingeschränkt sind, weil es nicht viele Menschen gibt, die gebärden können.“ Des Weiteren erklärt sie, wie man am besten an einen Gehörlosen herantritt. „Man sollte sich ihm möglichst nicht von hinten nähern und ihn antippen, dabei kann er sich unheimlich erschrecken. Am besten ist es, wenn man in sein Blickfeld tritt und durch Winken auf sich aufmerksam macht. Wenn Gehörlose etwas zu sagen haben, nutzen sie mehrere Möglichkeiten, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Sie klopfen beispielsweise auf den Tisch, bis man zu ihnen rüber sieht oder tippen jemanden an.“
Wenn ein Sinn nicht gegeben ist, werden die anderen dann tatsächlich schärfer?
Es gibt so einige Superhelden aus Comicbüchern, bei denen das der Fall ist. Aber wie ist es in der Realität? Können Gehörlose beispielsweise besser sehen? Katharina schüttelt den Kopf: „Das würde ich jetzt nicht unbedingt behaupten, aber ich konnte definitiv schon beobachten, dass sie wesentlich aufmerksamer sind als andere.“ Vor allem im Straßenverkehr ist das auch notwendig. Wir wissen, dass wir rechts ranfahren müssen, sobald wir die Sirenen eines Krankenwagens hören. Wenn man sich nicht auf sein Gehör verlassen kann, muss man viel besser aufpassen, was vor und hinter einem geschieht. Ihre Beobachtungsgabe ist auch in anderer Hinsicht äußerst bemerkenswert: Wir achten auf Worte und schenken ihnen oft Glauben, ohne andere Aspekte mit einzubeziehen. Dabei kann der Körper so viel mehr verraten, als man aussprechen mag. Katharina erzählt, dass ein Gehörloser schon aus der Ferne den Gemütszustand eines anderen erkennen kann. Er achtet stark auf Mimik und Körperhaltung und kann Menschen daher sehr gut einschätzen. Wir könnten das auch, doch wir verlassen uns meist zu sehr auf unser Gehör und die Worte, die es aufnimmt.
Wie funktioniert das Cochlea Implantat?
Katharina erklärt, dass das Ohr ab Einsetzen des Implantats komplett taub ist. Wenn vorher noch Restgehör vorhanden war, ist es ab dem Zeitpunkt des Einsetzens unwiderruflich verschwunden. Dafür übernimmt das Implantat nun das Hören, es nimmt Geräusche von außen auf und übermittelt sie durch Elektroden an den Hörnerv. Dieser Hörnerv sendet die Informationen an das Gehirn und so ist es dem Gehörlosen möglich, ohne funktionierendes Gehör zu hören.
Katharina war einmal bei der Anpassung eines CI dabei, der Moment in dem der Patient das erste Mal damit hört. Sie beschreibt es als einen hochemotionalen Moment, von dem sie froh ist, ihn miterlebt haben zu dürfen.
Wie man mit dem Cochlea Implantat Geräusche wahrnimmt, kann man sich beispielsweise auf Youtube anhören. Dort hört man, dass Gespräche und Musik nicht sehr natürlich klingen. Man kann sie mit Roboterstimmen vergleichen, für manche Gehörlose dennoch eine wundervolle Bereicherung. Es sollte allerdings auch berücksichtigt werden, dass jede Medaille zwei Seiten hat. Katharina berichtet, dass es taube Menschen gibt, die nicht taub geboren wurden. Sie wissen also, wie sich Geräusche tatsächlich anhören, dementsprechend ist es für viele eine große und schwere Umstellung, sich daran zu gewöhnen. Des Weiteren gibt es unter Gehörlosen eine eigene Kultur. Für sie ist es nicht ausschließlich ein Geschenk, hören zu können, sondern eine lebensverändernde Entscheidung. Für manche positiv für andere sehr belastend. Sie geraten mit dem Implantat in eine laute Welt voller Menschen, die sich anders verhalten, als sie es die ganze Zeit getan haben. Auf sich aufmerksam zu machen, indem man auf den Tisch klopft und dabei möglicherweise Gespräche zu unterbrechen, wird nicht als sehr höflich erachtet und viele andere Verhaltensweisen sind sich anzueignen oder abzugewöhnen, wenn man in der Welt der Hörenden lebt. Projizieren wir diesen Gedanken auf uns, können wir es vielleicht mit Auswandern vergleichen. Andere Länder, andere Sitten. Wir müssen die Sprache erlernen und uns möglichst der Kultur anpassen, um dort leben zu können und verstanden zu werden. Zurück zu den Gehörlosen, wir leben zwar zusammen in Deutschland, dennoch sollten wir rücksichtsvoll bedenken, dass es auch innerhalb eines Landes zu Missverständnissen kommen kann, wenn man auf verschiedene Weisen aufgewachsen ist.
Integration und Inklusion – wichtige Themen in unserer Gesellschaft
Sollte Gebärdensprache an Schulen unterrichtet werden? Für Katharina steht ganz klar fest: „Ja.“ Wenn jeder Hörende zumindest Grundkenntnisse in der Gebärdensprache hätte, würde das bereits so einige Barrieren aus dem Weg räumen. An einigen Bahnhöfen gibt es beispielsweise Durchsagen, wenn der Zug sich verspätet oder an einem anderen Gleis abfährt. Im schlimmsten Fall werden die elektronischen Anzeigen nicht aktualisiert. Somit hat ein Gehörloser keine Chance, in Erfahrung zu bringen, dass er sich gedulden oder sogar zu einem anderen Gleis gehen muss. Wenn ihm mit der Zeit auffällt, dass der Zug nicht kommt, wie kann er nachfragen, was los ist? Er kann nicht, wie andere, jemand beliebigen fragen, warum der Zug nicht kommt. Er ist darauf angewiesen, dass jemand die Gebärdensprache beherrscht und ihm eine Antwort geben kann. Im Restaurant kann er zwar auf das Gericht in der Karte tippen, das er gerne bestellen möchte, aber zu kommunizieren, dass gewisse Zutaten nicht darin enthalten sein sollten, wird auch nicht einfach für ihn. Wenn er aufgrund einer Verletzung ins Krankenhaus kommt, kann es sogar lebenswichtig sein, dass er verstanden wird, wenn er beispielsweise allergisch auf gewisse Medikamente reagiert.
Von neuen Mitbürgern aus dem Ausland wünschen wir uns, dass sie unsere Sprache erlernen und sich integrieren, wir selbst aber grenzen gehörlose Mitbürger in vielen Situationen aus. Nicht absichtlich, aber die Unwissenheit lässt Barrieren entstehen, wo keine sein müssten. Katharina spricht auch davon, dass sich ein Ideal bezüglich Aussehen und Eigenschaften eines Menschen entwickelt hat. Wird einer dem nicht gerecht, werden seine Fehler bestmöglich behoben und fehlt ihm etwas, wird es durch Medizin und Technik ergänzt, um ihn so gut es geht in die „normale“ Gesellschaft zu integrieren. Diese Aussage bezieht sie speziell auf Gehörlose. Sie erzählt, dass weniger gehörlose Menschen als man annehmen mag, den Wunsch äußern, hören zu wollen. Andererseits wird ihren Eltern schon sehr früh die Nachricht übermittelt, dass sie ihrem Kind besser ein Cochlea Implantat einsetzen lassen, damit es hören kann und gleiche Chancen auf Bildung hat wie andere. Da kommen wir zum Kernpunkt. Es ist vielleicht einfacher, wenn sich ein einziger der Mehrheit anpasst, aber kann es nicht viel schöner und vielseitiger sein, wenn wir voneinander lernen und uns einander entgegenkommen? Wenn Integration nicht nur einseitig laufen würde, hörgeschädigte Menschen also nicht zwangsläufig Operationen über sich ergehen lassen müssten, um mit dem Rest der Menschheit kommunizieren zu können, sondern der Rest auch Grundkenntnisse in der Gebärdensprache erlernen würde, wäre es für alle eine Bereicherung und ein weiterer Schritt in Richtung Inklusion.
Katharina bietet durch ihre Erfahrungen reichlich Stoff zum Nachdenken. Sie hat die Hoffnung, dass es für Gehörlose in Zukunft mehr Chancen auf Barrierefreiheit, Bildung und Inklusion gibt. In ihrer eigenen Zukunft wird die Gebärdensprache und Arbeit mit tauben Menschen jedenfalls weiterhin eine große Rolle spielen.
Fotos: Jessica Pfaff