Genetische Veränderung sind die häufigsten Ursachen für kognitive Behinderungen. Nach dem Down-Syndrom ist das Fragile X Syndrom die häufigste Form. Obwohl die Erkrankung erst im Jahr 1943 wissenschaftlich beschrieben wurde, ist die Wissenschaft in ihrer Forschung bereits recht weit.
Dies hat zur Folge, dass sowohl die Ursachen als auch mögliche Therapien zur Abmilderung der Symptome bekannt sind. Zwar ist das Fragile X Syndrom nicht heilbar, doch kannst Du als Elternteil die Entwicklung Deines Kindes maßgeblich beeinflussen. Aus diesem Grund haben wir alle wichtigen Informationen für Dich zusammengefasst.
Was ist das Fragile X Syndrom?
Beim Fragilen X Syndrom handelt es sich um einen Gendefekt auf dem X-Chromosom. Es ist die am häufigsten auftretende Variante erblicher geistiger Behinderung dar, die oftmals mit einer Lernschwäche einhergeht. Inwiefern die Symptome ausgeprägt sind, ist von Fall zu Fall vollkommen unterschiedlich, da das Spektrum der möglichen Einschränkungen sehr weitläufig ist.
So kann es vorkommen, dass bei einigen Betroffenen sehr viele Symptome auftreten und bei anderen nur wenige zum Vorschein kommen. Laut aktuellen Studien tritt das Fragile X Syndrom bei etwa einer von 3000 Schwangerschaften auf.
Wie entsteht das Fragile X Syndrom?
Das Fragile X Syndrom ist auf eine Mutation zurückzuführen, die sich auf dem FMR1-Gen finden lässt. In seltenen Fällen kann die Mutation auch auf dem FMR2-Gen auftreten. Diese Gene basieren unter anderem aus sich wiederholenden Sequenzen an Trinukleotiden. In der Fachsprache wird oftmals von einem Basentriplett gesprochen, das normalerweise sechs bis 44 Mal pro Allel zu finden ist. Infolge der Mutation kommt es bei Betroffenen jedoch zu einer Anhäufung dieser Basentripletts.
Bei einem Wert von 59 bis 200 Wiederholungen wird von einer Prämutation gesprochen, die insbesondere im späteren Lebensabschnitt zu einem eigenen Krankheitsbild führt. Bei mehr als 200 Wiederholungen ist hingegen von einer Vollmutation die Rede. Nach derzeitigem Stand der Wissenschaft wird davon ausgegangen, dass die Anzahl an Wiederholungen – banal formuliert – zu einem Fehlen wichtiger Proteine führt. Dieses Fehlen sorgt für eine Verkümmerung von Hirnzellen, was maßgeblich entscheidend für die Ausprägung unterschiedlicher Symptome ist.
Welche Merkmale und Symptome haben Menschen mit Fragilem X Syndrom?
Die Merkmale und Symptome von Menschen mit Fragilem X Syndrom variieren stark in Abhängigkeit vom Alter. Im Kleinkindalter sowie im Kindesalter machen sich primär verzögerte Entwicklungen bemerkbar. So kann es mehr als 20 Monate dauern, ehe Kinder frei laufen können. Auch zeigt sich in einigen Fällen ein vermindertes Schmerzempfinden. Besonders ausgeprägt sind zudem Sprachentwicklungsverzögerungen und mentale Retardierung. Insbesondere bei Rechenaufgaben zeigen sich Probleme.
Ferner weisen Kinder in diesem Alter ein launisches bis hyperaktives Verhalten auf. Fast immer weisen Kinder mit Fragilem X Syndrom zudem einen länglichen Kopf mit hoher Stirn sowie abstehenden Ohren auf. Anatomisch gibt es zudem Besonderheiten in Form von dehnbaren Gelenken. Letzte Merkmale sind auch im Erwachsenenalter noch ausgeprägt.
Welche Einschränkungen haben Menschen mit Fragilem X Syndrom?
Menschen mit Fragilem X Syndrom sind vorrangig in alltäglichen Situationen eingeschränkt. Vor allem hinsichtlich ihres sozialen Verhaltens können sich bei unzureichender Förderungen Symptome verfestigen. Während sie im Kindesalter oftmals launisch und hyperaktiv sind, entwickeln sie im jugendlichen Alter häufig ein schüchternes bis scheues Verhalten. Ferner sorgen kognitive Einschränkungen dafür, dass eine Vielzahl an alltäglichen Situationen nicht ohne Probleme gelöst werden können.
Unterschiede Jungen und Mädchen Fragiles X Syndrom
Wird ein Fragiles X Syndrom bei Mädchen festgestellt, bedeutet dies nicht zwangsläufig, dass die Einschränkungen ebenso umfangreich sind, wie bei Jungen. Zunächst einmal ist es von Fall zu Fall unterschiedlich, wie weit die Symptome ausgeprägt sind. Zudem tritt der Gendefekt bei Mädchen nur auf einem der beiden X-Chromosomen auf. Dies hat zur Folge, dass die kognitive Beeinträchtigung mitunter kaum ausgeprägt ist. Maßgeblich für die Ausprägung ist zudem die Frage, ob das gesunde väterliche X-Chromosom überwiegt, oder das defekte X-Chromosom der Mutter. Je größer der Anteil des defekten X-Chromosoms der Mutter ist, desto größer sind die Beeinträchtigungen. Besonders häufig leiden Mädchen mit Fragilem X Syndrom unter Rechenschwäche, ausgeprägter Schüchternheit sowie einem geringen Selbstwertgefühl.
Wie wird das Fragile X Syndrom vererbt?
Anders als beim Down Syndrom handelt es sich beim Fragilen X Syndrom um eine Genmutation, die sich über mehrere Generationen hinweg entwickelt. Die Verlängerung der Sequenz auf dem FMR1-Gen wird ausschließlich durch Frauen weitervererbt. Zwar können auch Männer diese Mutation aufweisen, doch wird sie nicht vererbt. Je nachdem, welche X-Chromosom seitens der Mutter vererbt wird, kann der Erbgang unterbrochen werden, die Anzahl der Wiederholungen bleibt gleich oder die Sequenz wird verlängert. Letzterer Fall sorgt dafür, dass das FMR1-Gen inaktiv wird und das Kind ein Fragiles X Syndrom entwickelt. Geben Väter hingegen ihr fragiles X-Chromosom weiter, so erhöht sich zwar nicht die Anzahl der Wiederholungen der CGG-Sequenz, doch erbt die Tochter die Prämutation und kann somit den Gendefekt übertragen.
Diagnostik Fragiles X Syndrom
Wichtig für die heutige Diagnostik des Fragilen X Syndroms war die Entdeckung des dafür verantwortlichen Gendefekts. Seitdem dies im Jahr 1991 gelang, konnten unterschiedliche sowie zuverlässige Diagnoseverfahren entwickelt werden. Dabei handelt es sich um eine humangenetische DNA-Analyse, die aus mehreren Teilen besteht.
Bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit Verdacht auf ein Fragiles X Syndrom, muss lediglich eine Blutprobe des Patienten sowie der Mutter entnommen werden. Anhand dieser kann der Humangenetiker bereits Klarheit schaffen, ob eine Erkrankung vorliegt, oder nicht.
Etwas komplizierter ist das Prozedere, wenn es sich um die Diagnostik bei Ungeborenen handelt. In der Regel wird eine Untersuchung auf das Fragile X Syndrom nur dann vor der Geburt durchgeführt, wenn die Erkrankung bereits zuvor in der Familie aufgetreten ist und eine Überträgerschaft nachgewiesen werden konnte. Mögliche Eingriffsformen sind sowohl die Chorionzottenbiopsie als auch die Amniozentese. Erstere ist bereits aber der zehnten Schwangerschaftswoche möglich. Dabei wird eine dünne Nadel durch die Bauchdecke geführt. Mit ihrer Hilfe ist es möglich, Chorionzotten entlang der Fruchthöhle zu nehmen, die Aufschluss über einen möglichen Gendefekt liefern. Bei der Amniozentese hingegen wird Fruchtwasser direkt aus der Fruchthöhle entnommen. Anschließend werden die Zellen in einem längerfristigen Prozess vom Fruchtwasser getrennt. Somit ist es möglich, sie auf genetische Abweichungen zu untersuchen. Die Amnionzentese ist allerdings erst zu einem späteren Zeitpunkt der Schwangerschaft möglich. Meist wird sie in der 15. oder 16. Woche durchgeführt.
Je nachdem, welches Verfahren zur Diagnose angewandt wird, kann es daher zwischen zwei und fünf Wochen dauern, ehe Du das Ergebnis der Tests erhältst. Während das Ergebnis einer DNA-Präparation zwischen drei und fünf Wochen auf sich warten lässt, liegen die Ergebnisse von pränatalen Untersuchungen oftmals innerhalb von zwei Wochen nach der Untersuchung vor.
Fragiles X Syndrom und Intelligenz
In den meisten Fällen leiden Menschen mit Fragilem X Syndrom unter Defiziten hinsichtlich ihrer kognitiven Entwicklung. Die Ausprägung kann jedoch deutlich variieren. In seltenen Fällen konnte zwar beobachtet werden, dass eine normal ausgeprägte Intelligenz vorliegt. Jedoch sind etwaige Erscheinungen die Ausnahme. Die Einschränkungen reichen von leichten Lernstörungen bis hin zu schweren geistigen Behinderungen. Deutliche Unterschiede gibt es dabei in Abhängigkeit vom Geschlecht. Zwar leiden Mädchen prozentual betrachtet genauso häufig unter Einschränkungen, doch sind diese oftmals nicht so ausgeprägt, wie es bei Jungen der Fall ist.
Fragiles X Syndrom und Geschwister
Für die Geschwister von Kindern mit Fragilem X Syndrom ist die Situation oftmals nicht einfach. Allerdings kannst Du selbst viel dafür tun, dass die Situation weniger Druck auf die Geschwister ausübt.
Wichtig ist in erster Linie, darauf zu achten, wie Geschwister reagieren und entsprechend zu handeln. Du musst verstehen, dass es Geschwistern in etwaigen Situationen oftmals so vorkommt, als würden sie sich gänzlich anderen Problemen ausgesetzt sehen, als es bei Gleichaltrigen der Fall ist. Häufig stellen sie daher ihre eigenen Bedürfnisse zurück und übernehmen viel Verantwortung. Wenngleich Letzteres zunächst nicht falsch klingt, sollten Kinder nicht zu früh zu viel Verantwortung übernehmen müssen.
Achte daher genau darauf, wie die Geschwister mit der Situation umgehen. Sofern sie ihren Aufgaben ohne Weiteres übernehmen, ist dies gut so. Auf diese Weise lernen sie fast beiläufig, was das Fragile X Syndrom bedeutet und welche Bedürfnisse ihre Geschwister haben. Im Grund entwickeln sie sogar eigene Strategien, um mit der Situation klarzukommen. Einschreiten solltest Du erst dann, wenn Du merkst, dass die Verantwortung mit Stress oder Ängsten einhergeht.
Fragiles X Syndrom und Autismus
In etwa 25 Prozent der Erkrankungen geht das Fragile X Syndrom mit minder oder schwerer ausgeprägtem Autismus einher. Dabei handelt es sich um eine Störung, die insbesondere die sozialen Fähigkeiten beeinflusst. Die Inklusion in der Gesellschaft gestaltet sich infolgedessen oftmals schwierig. Allerdings lässt sich Autismus oftmals bereits ab dem dritten Lebensjahr diagnostizieren. Je früher die Diagnose gestellt und mit entsprechenden Therapien begonnen wird, desto geringer sind die späteren sozialen Einschränkungen.
Therapie Fragile X Syndrom?
Wird ein Fragiles X Syndrom frühzeitig erkannt, so gibt es unterschiedliche Option einer Therapie. Grundsätzlich handelt es sich um eine erweiterte Förderung des Kindes. Mitunter werden zusätzlich Medikamente verschrieben, um die Ausprägung einiger Symptome der Erkrankung gering zu halten.
Kann das Fragile X Syndrom geheilt werden?
Nein, das Fragile X Syndrom ist als Erkrankung selbst nicht heilbar. Dies ist in erster Linie darauf zurückzuführen, dass die Medizin heutzutage noch nicht weit genug ist, um genetische Erkrankungen zu heilen. Allerdings besteht die Möglichkeit, dass eine frühe Förderung von Kindern mit der entsprechenden Diagnose weniger ausgeprägte Symptome entwickeln. Eine individuelle Förderung führt zu einer erhöhten Selbstständigkeit sowie einer höheren kognitiven Leistungsfähigkeit. Entscheidend für die Effektivität der Förderung ist ein frühestmöglicher Beginn.
Wie entwickeln sich Kinder mit Fragilem X Syndrom?
Die Entwicklung von Kindern mit Fragilem X Syndrom ist maßgeblich von zwei Faktoren abhängig. Einerseits kommt es darauf an, wie viele der möglichen Symptome zum Vorschein treten und wie stark diese ausgeprägt sind. Andererseits ist die Entwicklung aber auch maßgeblich davon abhängig, wie stark die Kinder gefördert werden.
Dies ist hauptsächlich darauf zurückzuführen, dass es sich bei vielen Symptomen um Einschränkungen handelt, die von außen beeinflusst werden können. Im Kleinkindalter haben Kinder mit Fragilem X Syndrom nicht selten Schwierigkeiten frei zu sitzen oder frei zu laufen. Mithilfe von gezieltem Training kann die Entwicklung hier genauso positiv beeinflusst werden, wie es bei den häufig auftretenden Sprachentwicklungsverzögerungen im Kindesalter der Fall ist. Zwar lässt sich die Entwicklung nicht ganzheitlich beeinflussen, doch liegt es in erster Linie an Dir und Deiner Fürsorge, inwieweit die Symptome Einfluss auf das Leben Deines Kindes nehmen. Mit viel Aufmerksamkeit, Zeit und Mühe könnt Ihr gemeinsam große Schritte meistern.
Herausforderungen für Familien mit Kindern mit Fragilem X Syndrom
Die wohl größte Herausforderung für Familien besteht zunächst im Schock nach der Diagnose. Allerdings kannst Du die Ausprägung unterschiedlicher Symptome durch rechtzeitige Förderung stark beeinflussen. Umso wichtiger ist es, den Kampf gegen die Erkrankung frühestmöglich aufzunehmen. Dazu gehört auch, dem Kind früh beizubringen, wie es alltägliche Anforderungen meistert und selbstständig zurechtkommt.
Selbstverständlich ist dies nicht immer leicht, doch zeigen die Erfahrungen, dass die Entwicklung umso positiver verläuft, je intensiver sich Eltern mit ihren Kindern befassen. Eine besonders positive Entwicklung ist nur in einem intakten Umfeld möglich. Daher müssen Eltern sicherstellen, dass sich alle Kontaktpersonen mit den individuellen Bedürfnissen vertraut machen und auf die Anforderungen des Kindes eingehen. Dabei solltest Du Dich keineswegs scheuen, den Rat von Medizinern in Anspruch zu nehmen und Dich gegebenenfalls auch mit anderen Eltern, deren Kinder unter dem Fragilen X Syndrom leiden, auszutauschen.
Hilfe für Familien Fragiles X Syndrom
In Deutschland können sich Familien mit Kindern, die unter einer Behinderung leiden, unterschiedlichen Hilfen sicher sein. In erster Linie handelt es sich hierbei um die sogenannten Nachteilsausgleiche. Zu diesen zählen neben dem Behindertenausweis unter anderem steuerliche Vorteile, Leistungen bei Pflegebedürftigkeit, ein erweiterter Kindergeldanspruch sowie persönliche Assistenten oder Integrationshelfer in integrativen Schulen und selbst die Grundsicherung im Alter.
Inwieweit die Ansprüche vorhanden ist, ist mitunter von dem Pflegegrad abhängig. Dieser unterliegt seit dem 01. Januar 2017 einem neuen Begutachtungssystem, das die Pflegebedürftigkeit ermittelt. Dabei wird insbesondere der Grad der Selbstständigkeit in diversen Lebensbereichen ermittelt und anhand dessen ein Pflegegrad festgelegt. Entscheidend ist, dass Eltern als gesetzliche Vertreter einen Antrag auf die Feststellung der Bedürftigkeit sowie des Pflegegrades stellen. Je nach festgestelltem Pflegegrad erhalten Eltern von pflegebedürftigen Kindern ein im Sozialgesetzbuch XI geregeltes monatliches Pflegegeld zwischen 244 EUR und 1.612 EUR in Form von Pflegesachleistungen.
Fazit – gemeinsam könnt Ihr viel erreichen
Wird ein Fragiles X Syndrom diagnostiziert, so ist dies für Eltern oftmals ein großer Schock. Tatsächlich sind sowohl die Wissenschaft als auch die Medizin heutzutage weit vorangeschritten und bieten in vielfältiger Hinsicht Hilfe an. Dank früher Diagnose ist es möglich, sich rechtzeitig auf die anstehenden Herausforderungen einzustellen.
Wichtig ist aber in erster Linie, dass Du Dich mit Hingabe der Aufgabe stellst und den Weg gemeinsam mit Deinem Kind gehst. Frühestmögliche Förderung erhöht dabei die Chancen signifikant, dass das Kind trotz des Fragilen X Syndroms ein weitestgehend uneingeschränktes und selbstständiges Leben führen kann.