„Eine Beratung bei der Abfassung einer Patientenverfügung ist unerlässlich“ – Interview mit Notar Jürgen Metzger

Der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe hat in einer kürzlich veröffentlichten Entscheidung (Az.: XII ZB 61/16) zu der Frage Stellung genommen, welche inhaltlichen Anforderungen eine Patientenverfügung erfüllen muss, damit sie im Ernstfall Beachtung findet. Wir haben mit dem St. Wendeler Notar Jürgen Metzger darüber gesprochen, welche Konsequenzen diese Entscheidung auf die Patientenverfügungen und Vorsorgevollmachten der Menschen im St. Wendeler Land hat.

WNDN: Herr Notar Metzger, worüber genau hatte das Gericht zu entscheiden?

Notar Metzger: Der BGH hatte über den Fall einer Frau zu entscheiden, die im Alter von 70 Jahren einen Hirnschlag erlitten hat und daraufhin zum schweren Pflegefall wurde. Im Krankenhaus wurde der Frau eine sog. PEG-Sonde (Anm. d. Red.: dabei handelt es sich um einen künstlichen Zugang von außen in den Magen) gelegt, über die sie bis heute ernährt wird und Medikamente verabreicht bekommt. Infolge mehrerer epileptischer Anfälle, ausgelöst durch den Hirnschlag, verlor die Frau später auch die Fähigkeit zu sprechen.

Die Frau hatte bereits im Jahr 2003 eine schriftliche „Patientenverfügung“ verfasst, in der sie u.a. festgelegt hatte, dass lebensverlängernde Maßnahmen unterbleiben sollten, wenn aufgrund Krankheit oder Unfall ein schwerer Dauerschaden des Gehirns zurückbleibt. Diese Patientenverfügung bestätigte die Frau nur wenige Wochen vor ihrem Hirnschlag nochmals. Daneben hatten die Frau und ihr Ehemann sich gegenseitig und der ältesten Tochter vor einem Notar Vorsorgevollmacht erteilt. Diese notarielle Vorsorgevollmacht enthielt auch den Satz, dass die Eheleute „im Falle einer zum Tode führenden Erkrankung“ die künstliche Lebensverlängerung durch „Gerätschaften“ ablehnten.

WNDN: Worüber und von wem wurde überhaupt gestritten und wieso landete diese Angelegenheit beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe?

Notar Metzger: Die Frau hatte drei Kinder. Der Ehemann starb im zweiten Pflegejahr der Frau. Sowohl in den schriftlich verfassten Patientenverfügungen als auch in der notariellen Vorsorgevollmacht wurde allein die älteste Tochter bevollmächtigt, mit der behandelnden Ärztin alle erforderlichen Entscheidungen abzusprechen und den Willen der Betroffenen im Sinne der Patientenverfügungen einzubringen. Die Bevollmächtigte und die behandelnde Hausärztin sind der Auffassung, dass der Abbruch der künstlichen Ernährung nicht dem in der Patientenverfügung geäußerten Willen der Betroffenen entspricht. Demgegenüber streiten die beiden anderen Töchter gerichtlich für das Recht der Mutter, sterben zu dürfen. Die Schwestern stritten durch den gesamten Instanzenzug. Der BGH hat übrigens nicht in der Sache selbst entschieden, sondern wieder an das Landgericht zurückverwiesen. Der Ausgang ist also derzeit noch immer ungewiss.

WNDN: Eine der beiden Töchter, die die Einstellung der künstlichen Ernährung verlangen, wird von dem Münchener Rechtsanwalt Wolfgang Putz vertreten. Dieser hat sich dahingehend geäußert, der Bundesgerichtshof habe mit seinem Urteil „hunderttausende Patientenverfügungen zunichte gemacht“. Ist das Urteil in seiner Tragweite wirklich so dramatisch?

Notar Metzger: Die Gerichtsentscheidung hat nicht nur unter den Menschen, die bereits eine Patientenverfügung errichtet haben oder dies demnächst tun möchten, sondern auch in der Fachwelt für erhebliche Verunsicherung gesorgt. Dabei muss aber betont werden, dass der BGH sich bei der Prüfung der Patientenverfügung sehr sorgfältig entlang der derzeitigen Gesetzeslage bewegt.

WNDN: Was genau meinen Sie damit?

Notar Metzger: Im Jahr 2009 ist das sog. „3. Betreuungsrechtsänderungsgesetz“ in Kraft getreten. Hierdurch wurde das Recht des Patienten auf Selbstbestimmung auch in der Frage des Sterbendürfens ausdrücklich gesetzlich anerkannt. Dabei wurde der Begriff der „Patientenverfügung“ erstmals gesetzlich definiert. Nach der gesetzlichen Definition handelt es sich aber nur dann um eine „echte“ Patientenverfügung, wenn der Betroffene konkret festlegt, was er in einer bestimmten Lebens- und Behandlungssituation an medizinischen Maßnahmen will und was nicht.

Gemessen an den gesetzlichen Anforderungen war die schriftliche „Patientenverfügung“ der Frau im Ausgangsfall nach Auffassung des BGH nicht konkret genug. Die Karlsruher Richter monierten, dass die Äußerung „keine lebenserhaltenden Maßnahmen“ zu wünschen, für sich genommen nicht ausreichend sei, um daraus eine unmittelbare Entscheidung zum Abbruch der künstlichen Ernährung herauszulesen. Außerdem sei es unpräzise, wenn lediglich auf den Eintritt eines „schweren Dauerschadens des Gehirns“ abgestellt werde. Hier hätte man also beispielsweise noch ergänzen müssen, welche Folgen ein solcher Gehirnschaden auf das Denken und Fühlen des Betroffenen haben muss, um das Abschalten der Gerätschaften zu rechtfertigen.

WNDN: Die Frau im Gerichtsverfahren hatte offenbar ein Formulierungsmuster der evangelischen Kirche verwendet. Zahlreiche andere Institutionen verwenden ähnliche Formulierungen.

Notar Metzger: Der Fall rüttelt in der Tat auf und zeigt eindringlich, wie wichtig es ist, sich beim Abfassen einer Patientenverfügung nicht nur vorab medizinisch beraten zu lassen, sondern auch juristische Beratung in Anspruch zu nehmen. Kommt es nämlich infolge unklarer Formulierungen zu unterschiedlichen Auffassungen über den Willen des Betroffenen, wird dieser Streit von Juristen entschieden. Da wird dann buchstäblich jedes Wort in seinem Bedeutungsgehalt analysiert und in Beziehung zu anderen Äußerungen des Betroffenen gesetzt. Deshalb ist es wichtig, dass man sich bereits beim Abfassen der Patientenverfügung eng an die gesetzlichen Rahmenbedingungen hält.

WNDN: Was raten Sie den Leuten, die in der Vergangenheit bereits Patientenverfügungen verfasst haben?

Notar Metzger: Ich rate dazu, diese Patientenverfügungen rechtlich überprüfen zu lassen, z.B. durch einen Rechtsanwalt, Notar oder die Betreuungsbehörde beim Landkreis. Ich möchte aber auch klarstellen, dass Patientenverfügungen, die „nur“ allgemeine Festlegungen des Inhalts enthalten, in Würde sterben zu dürfen, nicht generell unbeachtlich sind. Derartige Wertvorstellungen sind selbstverständlich bei der Beurteilung, ob bestimmte medizinische Maßnahmen wie künstliche Beatmung, künstliche Ernährung oder Reanimationsversuche durchgeführt werden sollen, mit zu berücksichtigen.

WNDN: Werden Sie die in den von Ihnen beurkundeten Patientenverfügungen verwendeten Formulierungen im Hinblick auf die neue Rechtsprechung ändern?

Notar Metzger: Ich sehe derzeit keinen Anlass, die Formulierungen in den Patientenverfügungen, die ich in der Vergangenheit meinen Mandanten angeboten habe, neu zu fassen oder zu ergänzen. Aus den von mir verwendeten Formulierungen können Ärzte, Betreuer und Bevollmächtigte unmittelbar bindende Entscheidungen des Betroffenen über die Fortführung oder den Abbruch lebensverlängernder Maßnahmen entnehmen.

WNDN: Welche Erkenntnisse ziehen Sie sonst noch für Ihre berufliche Tätigkeit aus der Entscheidung aus Karlsruhe?

Notar Metzger: Die Entscheidung wirft ein Schlaglicht auf das Zusammenspiel von Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung. Wenn der Patientenverfügung bestimmte Handlungsanweisungen nicht zu entnehmen sind, kommt es entscheidend darauf an, dass eine Vertrauensperson die Wünsche und Wertvorstellungen des Betroffenen zu Ende denkt und dem Arzt gegenüber formuliert und durchsetzt. Bei der Auswahl der Vertrauensperson sollte man daher künftig besonderes Augenmerk darauf legen, ob diese im Ernstfall auch über die emotionale Stärke verfügt, den Angehörigen loslassen zu können.

Herr Notar Metzger, vielen Dank für das Gespräch.

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