Der EU AI Act – Flügel oder Zügel der künstlichen Intelligenz? – Kolumne von Julian Schneider

Viele Jahre konnten wir uns unter künstlicher Intelligenz (KI) nichts Greifbares oder Reales vorstellen. KI wirkte mehr wie eine weitentfernte Science-Fiction Utopie aus Hollywood und nicht wie eine Technologie, die uns im Alltag begleitet. Was ist schließlich unter der Nachahmung menschlicher Handlungsmuster durch Maschinen zu verstehen? Wie soll eine Maschine selbst hinzulernen und Lösungen ohne menschliches Hinzutun entwickeln können?

Mit dem Hype rund um ChatGPT hat sich die Wahrnehmung von KI geändert: Plötzlich hat ein Computerprogramm Hausaufgaben für Schüler erstellt. Mitarbeitende haben Einladungsschreiben für Veranstaltungen oder Social Media Postings von dem Programm formulieren lassen, ohne selbst dafür Zeit aufzuopfern. Progammierer nutzten ChatGPT, um bestimmte Codezeilen zu formulieren.

Es hat allerdings nicht die Entwicklung von ChatGPT gebraucht, um festzustellen, dass uns KI schon längere Zeit in verschiedenen Bereichen unseres Lebens begleitet: Mit dem Sprachassistenten auf dem Smartphone übersetzen wir das gesprochene Wort postwendend in eine andere Sprache. Unser Navigationsgerät im Auto erkennt in Echtzeit Staus auf den Straßen und zeigt die bestmöglichen Alternativroute an (zumindest meistens). Oder es ist einfach der Saugroboter, der von selbst durch den Wohnbereich fährt und den Boden säubert.

Es gibt noch viele andere Beispiele, bei denen uns KI schon heute im Alltag hilft. Doch bei allem Nutzen der KI lohnt sich ein genauso kritischer Blick auf deren Entwicklungsgefahren in hochsensiblen Anwendungsfeldern. In Kriegen wird KI eingesetzt, um mit Hilfe von Satellitenbildern und Wärmesensoren gegnerische Ziele ausfindig zu machen. KI-Programme können Bilder von Menschen in Situationen erzeugen, die es nie gegeben hat. Oder es wird in einer Audiodatei die Stimme einer real existierenden Person mit Worten nachempfunden, die sie nie wirklich gesprochen hat. Die Beispiele zeigen: KI kann auch viel Kritisches bewirken. Nicht umsonst sind einige Warnungen vor KI zu hören, selbst von prominenten Persönlichkeiten, deren Unternehmen mit KI Geld verdienen.

Die Europäische Union (EU) hat die Gefahrenpotenziale der KI erkannt. Sie möchte mit dem sogenannten EU Artificial Intelligence Act (EU AI Act) einen Rahmen für die Entwicklungen und Anwendungen von KI-Systemen schaffen. Der EU AI Act ist das geplante Gesetz für den Einsatz von KI auf dem Boden der EU. Die Abkürzung AI steht dabei für Artificial Intelligence und ist der englische Begriff für KI. Mit dem EU AI Act findet grundsätzlich eine Kategorisierung der KI-Systeme bzw. -Technologien statt. KI-Systeme werden in die Kategorien unannehmbares Risiko, hohes Risiko, mittleres Risiko und niedriges Risiko untergliedert. Die KI-Systeme mit einem unannehmbaren Risiko sollen verboten werden (z. B. öffentliche Gesichtserkennung mit Hilfe biometrischer Identifikationssysteme). Die KI-Systeme der übrigen Risikogruppen sollen im Kern erlaubt werden. Je nach Risikoklasse muss ein KI-System vor der Einführung bestimmte Auflagen erfüllen, beispielsweise bei der EU registriert werden.

Aus der Entfernung wirkt die Entwicklung des EU AI Act wie eine bürokratische Meisterleistung: Auf der einen Seite soll die wirtschaftliche und technologische Entfaltung der KI in der EU gestärkt und auf der anderen Seite eine menschen- und wertezentrierte Entwicklung gewährleistet werden. Dieser Balanceakt zwischen dem Schutz des Einzelnen und der Förderung von Innovationen wirft einige Fragen auf: Wo fängt KI an und wo hört sie auf? Kann der EU AI Act mit den technologischen Entwicklungssprüngen mithalten, die KI aktuell nimmt? Steht die EU mit dem KI-Gesetz im Nachteil zur USA und zu China? Können kleine Unternehmen ihre KI-Produkte an den Markt bringen oder scheitern sie im Gegensatz zu den Big Playern an den bürokratischen Hürden?

Der EU AI Act kann zu einem sinnvollen Regulierungsinstrument werden. Ob das Gesetz die Entwicklungen der KI nun zu einer menschenzentrierten und werteorientierten Entwicklung beflügelt oder Innovationen zügelt, wird sich zeigen. Das EU-Parlament hat am 14.06 den Gesetzesentwurf angenommen. Als Nächstes steht der sogenannte Trilog zwischen dem EU-Parlament, der EU-Kommission und dem EU-Rat an, bei dem die Endversion des Gesetzes verhandelt wird. Nach einer Einigung gibt es eine zweijährige Umsetzungsfrist für den EU AI Act. Dann tritt ein wegweisendes Gesetz in Kraft für eine der mächtigsten Technologien unserer Zeit.

Über den Autor: Julian Schneider ist Geschäftsführer der Wirtschaftsförderungsgesellschaft (WFG) St. Wendeler Land.

Weitere interessante Artikel:

ANZEIGEN

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

Blätterbarer Katalog-2025 mit 16 Seiten: