Die Haare sind zu dünn, der Hintern zu dick. Außerdem könnten die Brüste größer, der Bauch straffer und die Beine schlanker sein. Welche Frau kennt solche Gedanken nicht? Und wer von uns ist nicht selbstkritisch? Wir haben mit Frauenrechtlerin Karin Schüßler aus St. Wendel unter anderem über den alltäglichen Schönheitswahn, Wege, sich diesem zu entziehen, das „Älter werden“ und die Rolle der Medien gesprochen.
wndn.de: Viele Frauen haben ein negatives defizitorientiertes Selbstbild, lassen kein gutes Haar an sich und sind unzufrieden mit ihrem Körper. Was sagen St. Wendeler Land Bewohnerinnen dazu?
Anne W., 19 Jahre: „Wenn ich die wunderschönen prominenten Frauen mit ihren perfekten Körpern sehe, erblasse ich vor Neid und das frustriert mich. Aber auch die ganzen Mädels auf Instagram bewirken, dass ich mich schlecht fühle. Ich weiß, dass wir in einer Scheinwelt leben, aber der Druck macht mir enorm zu schaffen.“
Lisa D., 28 Jahre: „Ja ich bin unzufrieden. Meine Nase ist krumm und viel zu groß. Mein Kreuz ist so breit, wie das eines Mannes. Ich fühle mich sehr unwohl damit, aber ich bin trotzdem schön.“
Nina A., 33 Jahre: „Meine Beine sind sehr kräftig. Egal wie sehr ich auf meine Ernährung achte und Sport mache, ich kriege keine schlanken Beine. Ich werde wohl nie einen Minirock, ein kurzes Kleid oder Leggins tragen können und das belastet mich stark.“
Lea N., 40 Jahre: „Ich bin spindeldürr. Ich hungere ganz und gar nicht und nehme trotzdem kein Gramm zu. Ich habe die Figur eines Mädchens und nicht die einer 40-jährigen Frau. Eine wohlgeformte weibliche Figur, das wäre mein Traum.“
Sigrid L., 56 Jahre: „Früher hat mich meine mollige Figur immer gestört. Ich musste Essen nur anschauen und schon nahm ich zu. Heute akzeptiere ich, dass ich trotz Sport, so bin, wie ich bin. Ich stelle meine positiven Eigenschaften, unabhängig von meinem Körper, in den Vordergrund. Aussehen ist wichtig, aber nicht alles.“
wndn.de: Karin, was kannst du unseren Leserinnen und Lesern über dich berichten und was meinst du zu den vorangegangenen Aussagen?
Karin Schüssler: „Mein Name ist Karin Schüßler, ich bin 57 Jahre alt, verheiratet, Mutter von zwei Kindern und wohne in St. Wendel. In meiner Freizeit engagiere ich mich für „Terre des Femmes“ und gegen Mädchen- und Frauenhandel sowie Zwangsprostitution. Die Situation von Frauen, die weltweit in Unterdrückung leben, berührt mich zutiefst. Textilarbeiterinnen in Bangladesch verdienen circa zwei Euro pro Arbeitstag und das für eine Arbeit, die uns Frauen in der westlichen Welt chic aussehen lässt. Zwei Euro pro Tag? Da bleibt kein Geld für Wimperntusche und Makeup, hier geht’s ums Überleben.

Wir leben in einer anderen Welt. Der globale Blick mag zwar helfen, eigene Probleme zu relativieren, dennoch kann ich den Schönheitsdruck nachvollziehen, der über die Medien und die Social Media- Kanäle auf Mädchen und Frauen ausgeübt wird. Überhaupt nicht zu verstehen für mich ist, wenn der Wunsch, zu den Schönen zu gehören, zum Wahn wird. Narzisstische Persönlichkeitsmerkmale fördern den Wunsch, nach außen hin perfekt zu gelten. Dabei wird zudem völlig außer Acht gelassen, dass sowohl Kosmetik mit ihren meist belastenden Inhaltsstoffen, als auch Hyaluron- oder Botox-Injektionen je nach Qualität die Gesundheit gefährden können. Es gibt da einen Spruch, über den es sich nachzudenken lohnt: „Der gesunde Mensch hat 1.000 Wünsche, der kranke Mensch nur einen.“ Aber auch diese Erkenntnisse reichen oft nicht, den Blick vom Äußeren auf das Innere zu lenken. Je weniger selbstbewusst ein Mensch ist, desto mehr wird er sich an sein Aussehen und den materiellen Schein klammern. Darin sehe ich eine große Gefahr. Denn wenn durch Krankheit, einen Unfall oder das Alter das Äußere wegbricht, besteht das hohe Risiko, dass die Persönlichkeit mitwegbricht und innere Leere bleibt.
Jeder Mensch ist schön und Schönheit liegt im Auge des Betrachters. Ein Strahlen von innen lässt über vermeintliche Makel hinwegsehen. Ich empfinde Menschen, die nicht einem Schönheitsideal entsprechen, optisch als spannender und interessanter. Einem perfekt aussehenden Brad Pitt oder einem Robert Redford hätte ich einen Korb gegeben für einen Clive Owen, Javier Bardem oder Liam Neeson. Und mein Mann empfindet Meryl Streep als schön, auch weil er sie als wundervolle Schauspielerin wahrnimmt. Generell denke ich, dass Menschen, deren ganzes Denken und deren komplette Aufmerksamkeit sich um das eigene Ich drehen, schnell langweilig wirken können.
Glücklicherweise ist Bewegung in die Modelbranche gekommen. Zunehmend werden Models für Fotostrecken oder den Laufsteg gebucht, deren Äußeres schon alleine eine Geschichte erzählt – so wie Winnie Harlow, die trotz ihrer Weißfleckenkrankheit ein berühmtes Model geworden ist. In den 90ern wurde Cindy Crawford noch genötigt, ihr Markenzeichen, ein Muttermal über der linken Oberlippe entfernen zu lassen. Sie zeigte Charakter und blieb standhaft. Auch „Curvy Models“ mit Übergrößen sind mittlerweile auf Titelbildern bekannter Magazine zu sehen. Dies macht Hoffnung und auf diese Entwicklung sollten Mädchen oder Frauen mit Problemen hinsichtlich ihres Aussehens ihren Fokus legen. Niemand ist perfekt und ein gewisses Etwas, strahlende Augen, ein nettes Lächeln, eine tolle Persönlichkeit fesseln langfristig, eine genormte Fassade nicht. Und die Männer, die die eine perfekte Hülle an ihrer Seite suchen, sind nicht die Männer für eine langfristige Bindung. Denn um die Ecke steht die Nächste, die noch etwas perfekter aussieht. Sucht euch Vorbilder, die die Welt zum Besseren verändern möchten und sucht euch Partner, die euch wegen eurer Persönlichkeit lieben. Greta Thunberg ist für mich das Paradebeispiel dafür, wie Persönlichkeit ohne jegliche Eitelkeit und äußeren Schein Massen für sich begeistern kann.“
Karin, was können wir tun, wenn wir mit unserem Erscheinungsbild unzufrieden sind?
„Der erste Schritt sollte sein, anzunehmen, was am Körper nicht zu verändern ist – es sei denn, die Psyche ist so sehr belastet, dass sogar eine Schönheits-OP eine Option sein kann. Ein Mensch, der mit sich im Reinen ist und seine Makel akzeptiert, geht ganz anders durchs Leben, zum Beispiel mit toller Ausstrahlung und angenehmer Wirkung. Dies ist ein innerer Prozess, der nicht von heute auf morgen funktioniert. Was gefällt uns am eigenen Körper, wo liegen unsere Stärken und worauf kann man stolz sein? Welche positiven Eigenschaften unterscheiden sich von anderen? Diese Frage sollte man in den Vordergrund stellen. Eine gesunde Ernährung und Sport wirken sich positiv auf die Figur aus und auch eine positive Lebenseinstellung zeigt sich in unserem Gesicht. Ich berate als Gesundheitsberaterin (IHK) und Mineralstoffberaterin präventiv unter anderem mit Schüßler-Salzen und beherrsche die Methode der Antlitzanalyse. Sorgen belasten die Milz, dadurch entstehen Furchen, zu viel Ärger wirkt sich nachteilig auf unseren Eisenspeicher aus, etwa mit der Folge von Schatten in den Augenwinkeln. Die innere Einstellung zeigt sich antlitzanalytisch im Außen. Alles ist miteinander verbunden und wenn wir unsere Kraft damit verschwenden, uns auf das zu fokussieren, was wir nicht ändern können, bleibt weniger Energie dafür, das anzugehen, was positiv beeinflusst werden kann.“

Falten, Tränensäcke, Cellulitis und Co: Das „Älter werden“ ist für viele Frauen eine regelrechte Bedrohung. Wie siehst du das?
„ Älter werden zu dürfen ist ein Geschenk, das nicht jeder erleben darf. Man lernt dazu und wird reifer. Dass all die Höhen und Tiefen unseres Lebens nicht spurlos an uns vorbeigehen, liegt im Lauf der Dinge. Was ich aber leider bemerke ist, dass viele Mädchen und Frauen – auch in meinem Alter – im optischen Konkurrenzkampf stecken anstatt sich ihrer neu gewonnenen Reife zu erfreuen und mehr Gelassenheit zu empfinden. In Nepal werden die Frauen jenseits des Klimakteriums als weise und als Familienoberhaupt angesehen und von den Familienmitgliedern um Rat gefragt. In unserer Welt hingegen, hat der ältere Mensch das Gefühl, nicht mehr wirklich dazu zu gehören, weil dem Wert der inneren Reife und der Weisheit nicht genug beigemessen wird.
Es macht Sinn, alles dafür zu tun, gesund zu bleiben, Sport zu treiben, Übergewicht zu verlieren, sich gesund zu ernähren, denn all dies wirkt sich auch auf unsere optische Schönheit aus. Aber auch hier sehe ich es ähnlich wie bei Teenagern und jungen Frauen: Warum wird den Medien, der Industrie, der Gesellschaft die Macht gegeben, so viel Einfluss auf das persönliche Wohlbefinden zu haben? Für mich als Gesundheits- und Mineralstoffberaterin entstehen Falten durch ein Defizit an Mineralien, Tränensäcke können auch auf eine Erkrankung der Leber oder der Nieren Hinweise geben, Cellulite sind ein Indiz für ein übersäuertes, verschlacktes Bindegewebe und Besenreiser können ein Hinweis auf Venenprobleme sein und diese wiederum können immense gesundheitliche Probleme nach sich ziehen. Unter diesem Aspekt sehe ich Alterserscheinungen von einer anderen Perspektive aus und es macht Sinn, den Anzeichen aus Gesundheitsgründen und nicht unbedingt aus Eitelkeit nachzugehen, die Ernährung zu verbessern und gegebenenfalls einen Therapeuten oder Arzt aufzusuchen. Eine Zufuhr von Vitalstoffen kann auch den Alterungsprozess zurückdrehen, wovon der Körper als Ganzes profitiert und auch nur auf Grundlage dieser Aspekte macht es für mich Sinn, sich Alterungserscheinungen genauer anzusehen.“
Der Druck auf Frauen, gut auszusehen und schlank zu sein ist heute höher denn je. In den (sozialen) Medien dreht sich alles um das äußere Erscheinungsbild: die perfekte Bikinifigur, makellose Haut und eine tolle Haarpracht. Wie können wir uns von diesem Schönheitswahn abgrenzen?
„Schluss mit den Vergleichen. Ein bekanntes Sprichwort lautet: „ Das Vergleichen ist das Ende des Glücks und der Anfang der Unzufriedenheit“ und das ist wahr. Was bringt es uns einem unerreichbaren Schönheitsideal nachzueifern? Wir sollten lernen, wir selbst zu sein anstatt uns mit anderen Frauen oder Berufsschönheiten zu vergleichen. Schon in ganz jungen Jahren schämen sich junge Mädels für ihr Aussehen, wollen Gewicht verlieren, operative Eingriffe vornehmen lassen, sind der Meinung nicht hübsch genug zu sein und wünschen sich ein „perfektes“ Aussehen.
Die Medien spielen hierbei eine beträchtliche Rolle: Die Zeitungen, das Fernsehen, die Werbung, das Internet mit seinen Influencern – viele fühlen sich ständig dem Druck ausgeliefert, einem vorgegebenem Schönheitsideal entsprechen zu müssen, das in der Realität zumeist überhaupt nicht existiert, da Schönheitsoperationen vorgenommen werden, gebotoxt wird und oder Fotos mittels spezieller Bildbearbeitungsprogramme verändert werden. So entsteht der Eindruck, dass alle anderen wahnsinnig gut aussehen. Dass heutzutage aber kaum mehr ein Foto wirklich noch echt, sprich filterlos und unbearbeitet ist, wird nicht bedacht. Es hilft sich Vorher-Nachher Fotos von optischen Idolen im Internet anzuschauen. Beispiele hierfür gibt es genug. Googelt mal Kylie Jenner, sie ist ein Paradebeispiel für das normale hübsche Mädchen, das sich mit viel Geld zu einem Beauty-Idol operieren ließ. Mein Rat: Trefft euch mit Freundinnen im realen Leben und minimiert den ganzen Social Media Mist in eurem Leben.
Karin, was bedeutet „Schönheit“ für dich persönlich?
„Schönheit empfinde ich nicht beim Anblick gutaussehender Menschen. Ich begeistere mich für Menschen mit einer schönen Seele. Schön ist für mich auch die Natur- je unberührter, desto faszinierender. Auch ich versuche, mich wohl zu fühlen mit dem, was ich trage, als Ausdruck meiner Persönlichkeit. Ich habe meinen eigenen Kleidergeschmack, schminke mich hin und wieder, aber ich denke nicht allzu viel über das Thema nach. Die Gedanken, die ich in andere Themen investiere, lassen mir dazu gar nicht viel Raum. Auch benutze ich keine Anti-Aging-Cremes oder besuche Kosmetikstudios. Vielleicht hat mir das Alter aber auch schon etwas geschenkt, was ich allen Frauen wünsche: Gelassenheit J“
Was ist dein persönlicher Apell in Bezug auf das Thema „Schönheitswahn“?
„Meiner Erfahrung nach werden viele von ihrem verzerrten Selbstbild davon abgehalten, ihr volles Potenzial auszuschöpfen und das finde ich sehr schade. Ich möchte die Menschen animieren sich ihrer Fähigkeiten bewusster zu werden. Wünschenswert wäre es ebenso, dass wir – ganz gleich – ob Mann oder Frau – mehr für das geschätzt werden, was uns als Menschen ausmacht: unsere Kompetenzen, unser Wesen und unsere Talente und nicht nur unser Aussehen. Und Eltern empfehle ich, ihre Kinder zu stärken und vor den Auswirkungen der Medien zu warnen.“