
In Kooperation mit der Friedrich-Naumann-Stiftung ist Rapper Ben Salomo deutschlandweit unterwegs, um junge Menschen für ein wichtiges und ein heute leider wieder sehr präsentes Thema zu sensibilisieren: Antisemitismus. Seine Vorträge beziehen sich vor allem auf die Rap-Szene, in der Antisemitismus auf verschiedene Wege zum Ausdruck gebracht wird. Am vergangenen Dienstag, 17.05.22, besuchte er die Gemeinschaftsschule Nohfelden-Türkismühle.
Über 600 Vorträge bundesweit hat Ben Salomo bereits gehalten. Er will Menschen aufklären und sensibilisieren. Denn oft wissen junge Menschen nicht einmal, wo Antisemitismus beginnt. Man sei über Rassismus und Diskriminierung aufgeklärt, aber nicht so sehr über Judenfeindlichkeit, so der Rapper. 2019 veröffentlichte er eine Autobiographie, in der er von seinen persönlichen Erfahrungen berichtet. Ben Salomo, bürgerlich Jonathan Kalmanovich, ist in Isreal geboren, in Berlin aufgewachsen und er ist Jude.
Prägende und traumatisierende Erlebnisse im Zusammenhang mit Antisemitismus
Im Interview mit wndn.de, das er gibt, bevor er seinen Vortrag auf der Bühne hält, berichtet er von einem prägenden Erlebnis in seiner Jugend. „Ich war 16 Jahre alt und auf einer Party bei Freunden“, begann er. Dort haben sich drei Jugendliche bei seinen Bekannten über seinen Background erkundigt, weil er „ein südländisches Aussehen“ hat. Als diese erfuhren, dass er ein Jude ist, riefen sie ihn zu sich rüber. Er kam. „Kennst du die jüdische Nationalhymne?“, fragten sie hämisch. Was soll das denn sein, fragte er sich und schaute sie verwirrt an. Sie hielten ihm ein Feuerzeug unter die Nase und drückten auf das Gas: „Das ist die jüdische Nationalhmyne.“ Sie lachten. Ihm riss es den Boden unter den Füßen weg. Und seine Freunde? Die standen nur da, drehten ihre Köpfe in andere Richtungen. „Ich nannte sie Freunde, aber keiner hat sich für mich eingesetzt.“. Und überhaupt: in seinem Leben ist er vielfach wegen seines jüdischen Glaubens angegriffen worden und die Momente, in denen sich jemand mit ihm solidarisiert oder ihn in Schutz genommen hätte, seien sehr sehr überschaubar. Das muss sich ändern. Denn: „Die Tendenz zeigt, es wird immer schlimmer“, so Ben Salomo. Aber er sieht eine Chance für die nächste Generation, wenn junge Menschen heute mehr über Antisemitismus erfahren und ihn gemeinsam bekämpfen.
In der Sporthalle der Gemeinschaftsschule ist eine Bühne aufgebaut. Davor hunderte Plätze, auf den die Schülerinnen und Schüler Platz nehmen. Seinen bewegenden Vortrag begann er, indem er vom ersten antisemitischen Angriff gegen ihn erzählte – ein Angriff von seinem damals besten Freund. „Ich war elf Jahre alt. Ich hatte einen Freund. Es war mein bester Freund. Wir sind zusammen Fahrrad gefahren, haben Klingelstreiche gemacht, sowas. Dann hat er irgendwie erfahren, dass ich Jude bin – Ende der Freundschaft.“ Sein bester Freund kehrte ihm den Rücken, weil er nicht mit einem Juden befreundet sein wollte. Aber als wäre das nicht schlimm genug für einen 11-Jährigen, wurde er Tage später von ebendiesem Freund mit zwei älteren Freunden verfolgt und angegriffen. „Hol ihn dir, den Juden“, feuerten sie sich gegenseitig an. Ein traumatisches Erlebnis. Die Schülerinnen und Schüler in der Halle sind sichtlich ergriffen.
Ben Salomo ist in Israel geboren. Zuerst sind seine Großeltern nach Deutschland gezogen, später kam er mit seiner Familie nach. Der Rapper, der auch hebräisch spricht, habe sich hier integriert, die Sprache gelernt, ist zur Schule gegangen. Um die Scheidung seiner Eltern zu verarbeiten, begann er zu dichten. „Ich hatte Spaß am Reimen“, erinnert er sich. „Angestaute Emotionen konnte ich auf diese Art verarbeiten.“ Texten war seine Leidenschaft. Genauso wie das „Spitten“ dieser Texte, also das Rappen. So fand er seinen Weg in die Rap-Szene. In der er seit 1998 20 Jahre lang aktiv war. Deshalb bezieht sich sein Vortrag vorrangig auf Antisemitismus in der Rap-Szene. Deutschrap erreicht vor allem junge Menschen. Doch es gibt Rapper, die gefeiert werden, obwohl sie sehr fragwürdige Songs veröffentlichen. Songs mit mehr oder weniger subtilen judenfeindlichen Inhalten. So schleicht sich der Antisemitismus unbemerkt in die Köpfe der jungen Zuhörer*innen.
Mitte der 2000er startete er erfolgreich mit seiner Show „Rap am Mittwoch“ durch, die vielen Rappern eine Plattform für ihre Darbietungen bot, ihnen zu mehr Bekanntheit verhalf und manchen sogar als Sprungbrett in eine große Rap-Karriere diente, z.B. dem Rapper Capital Bra. Rund 1.200 Rapper waren in der Show. Vielen Schüler*innen an der Gemeinschaftsschule Nohfelden-Türkismühle ist sie bekannt. 2018 jedoch war Schluss mit Rap am Mittwoch. „Judenhass hat sich in der Rap-Szene ausgebreitet.“ Salomo, der sich immer mehr mit Antisemitismus konfrontiert sah, wollte nicht mehr in der Branche tätig sein, bis sich etwas ändern würde. So nimmt er seitdem die notwendige Veränderung selbst in die Hand und besucht Schulen, Stiftungen und jüdische Gemeinden, um dort über Antisemitismus in der Rap-Szene zu referieren.
Was ist Antisemitismus? Wie drückt er sich aus?
„Antisemitismus ist die Wahrnehmung von Juden in den Köpfen der Antisemiten“, erklärt Salomo eindringlich. „Antisemitismus ist das Gerücht über Juden – Gerüchte verändern die Wahrnehmung von den Menschen, über die sie verbreitet werden. „Es werden Lügen und Gerüchte über alle Menschen verbreitet. Das Schlimme bei uns Juden: die Gerüchte werden seit Jahrhunderten und Jahrtausenden verbreitet und leider gibt es viele Menschen, die sich daran beteiligen und mit der Zeit anfangen, diesen Lügen und Gerüchte über uns zu glauben. Und wenn sie anfangen, daran zu glauben, verändert sich die Wahrnehmung.“ „Wer von euch hatte schon mal Kontakt mit Antisemitismus?“, will er von den Schüler*innen wissen. Kopfschütteln als Antwort.
Das will er testen. Er stellt verschiedene Fragen.
„Wer kennt jemanden, der jüdisch ist, persönlich?“ Von 140 Schüler*innen melden sich zehn. „Weniger als 10%, stellt er fest. Das ist übrigens überall, wo ich hinkomme, ähnlich.“
Dann bittet er alle aufzustehen, wenn sie eines der folgenden Gerüchte schon einmal gehört haben:
„Die Juden sind alle reich.“
„Die Juden kontrollieren die Medien.“
„Die Juden sind alle so schlau, die können so gut mit Geld umgehen.“
„Die Juden zahlen in Deutschland keine Steuern, wegen dem Holocaust.“
„Die Rotschilds, die jüdische Bankiersfamilie, hat den ersten und zweiten Weltkrieg ausgelöst, und dann den Holocaust selbst angezettelt, um dann Israel gründen zu können.“
„Am 11. September sind 4000 Juden nicht zur Arbeit erschienen, denn sie wurden vom israelischen Geheimdienst vorgewarnt. Denn Israel selbst steckt eigentlich hinter dem 11. September.“ Dieses Gerücht sei von Rapper Massiv verbreitet worden, fügt Salomo hinzu.
Am Ende der Fragen sind fast alle Schüler*innen in der Sporthalle aufgestanden. Der Beweis für Salomo: „Rund 70% von euch hatten schon mal Kontakt mit Antisemitismus, nur habt ihr es nicht wahrgenommen.“
Er bezieht sich auf eine Umfrage, aus der hervorgeht, dass rund 22% der Deutschen an antisemitische Lügen glauben. In Deutschland gebe es rund 200.000 Juden. Sie stehen rund 16 Mio. „ihrer Feinde“ gegenüber. Eine erschreckende Zahl, die erkennen lässt, warum jüdische Menschen so häufig angegriffen werden.
Antisemitismus im Netz
„Was macht ihr, wenn ihr antisemitische Posts oder Kommentare im Internet lest?“, will Salomo wissen. Einer meldet sich: „Ich hinterfrage und recherchiere. Wenn ich nichts dazu finde, ist wahrscheinlich nichts dran.“ Salomo lobt dieses Vorgehen, betont aber, dass es sich dabei um eine Ausnahme handelt. „Die meisten lassen es einfach geschehen, glauben, es hätte nichts mit ihnen zu tun, im schlimmsten Fall beginnen sie, an die Lügen zu glauben.“ Salomo weiter: „Jede Generation vor euch hat versagt, als es darum ging, diesen Lügen und Gerüchten über Juden zu widersprechen. Und weil versagt worden ist, ist der Holocaust geschehen.“
„Ihr könnt jetzt vielleicht die erste Generation sein, die dem einen Riegel vorsetzt. Und es wäre wichtig, denn wir befinden uns in kritischen Zeiten.“
Er bat die Schüler*innen ihre Stimmen gegen Antisemitismus zu erheben. Im Netz und im Alltag.
Antisemitismus in der Rap-Szene
Nachdem er 20 Jahre aktiv in der Rap-Szene unterwegs war, berichtet Salomo heute von „sich immer stärker ausbreitendem Antisemitismus“ in der Branche. „Gegen Rassismus sind alle, gegen Antisemitismus scheinbar nicht.“ Er nennt ein Beispiel: Arafat Abou-Chaker, der viele Jahre Bushidos Manager war, bestätigte in einem auf „TV Straßensound“ veröffentlichten Video, dass man als Jude im Rap-Business „unten durch“ sei. Zeitgleich sei Ben Salomo für ähnliche Aussagen als Lügner bezeichnet worden. Arafats Aussage hat dennoch nicht viel Welle gemacht. „Stellt euch mal vor, Arafat würde sagen als Schwarzer oder als Kurde oder als Christ wärst du in der Deutschrap-Szene unten durch“, sagt Salomo. „Wäre das nicht skandalös? Würde die Deutschrap-Szene bei solcher einer Aussage still bleiben?“, fragt er in die Halle und antwortet gleich selbst: „Nein, sie würde sich solidarisieren.“ Beim Thema Antisemitismus werde geschwiegen.
„Ich wurde wütend, sauer, traurig“, so der Rapper. Wie er zu Beginn über sich mitgeteilt hat, verarbeitet er solche Gefühle mit Songs. Also schrieb er einen mit dem Namen „Kronzeuge“ in dem er genau dieses Thema behandelt.
Dieses Video könnt ihr euch hier anschauen:

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Salomo nennt auch konkrete Beispiele, Rapper, Manager, Texte und Videos, die mit Antisemitismus in Verbindung stehen.
Beispielsweise der Musikmanager Hadi El Dor, der auf seinem Handrücken das Gesicht von Hassan Nasrallah, dem Generalsekretär der Terrororganisation Hisbollah tätowiert hat. Die Hisbollah hat in der Vergangenheit bereits zahlreiche Terroranschläge in verschiedenen Ländern verübt, darunter einen Anschlag auf die israelische Botschaft in der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires, bei dem 22 Menschen ums Leben kamen. Ebenfalls in Argentinien verübte sie einen Anschlag auf ein jüdisches Zentrum, bei dem 85 Menschen ermordet wurden. „Stellt euch mal vor, er hätte ein Tattoo von Adolf Hitler oder Heinrich Himmler auf seinem Handrücken.“ Denn Hassan Nasrallah sei auch ein „krasser Mörder“. „Würde man es in der Rap-Szene tolerieren, wenn jemand mit einem Adolf-Hitler-Tattoo rumläuft? – Nein, aber bei der Hisbollah-Organisation anscheinend schon.“
Zwischen 2010 und 2020 erschienen 120 Songs von bekannten Rappern mit antisemitischen Inhalten und antisemitischer Bildsprache. Sie tragen beispielsweise das schwarz-weiß gemusterte Tuch, das sogenannte Palästina-Tuch, das politisch als Symbol des Kampfes und des Terrorismus gegen Israel gilt und in Deutschland auch von Neonazis getragen wird. Ein konkretes Beispiel nennt er hier: Das Rap-Video von SadiQ: „Kalashnikow Flow 2“. Alleine der Titel deutet auf etwas hin: „SadiQ ist seit Jahren bekannt als sogenannter islamistischer Rapper. Er hat schon sehr viele problematische Songs veröffentlicht“, berichtet Salomo. Doch er wird immer mehr gefeiert. „Aus seiner Perspektive ist jeder, der anders denkt, jeder der nicht mit seiner Denkweise einverstanden ist, ein Feind, ein Ungläubiger, ein Satanist oder Jude.“
Zeilen wie „du verkaufst deine Religion, du Satanist“, „Hast jetzt Panikattacken, weil die Araber dich jagen“, „Was für 11. September, ich bin Osama, du Charlie“ sind in seinem Song zu hören. Er soll ein Diss an Bushido sein, der nicht mehr mit seinem damaligen Manager Arafat zusammenarbeiten wollte. „SadiQ ist ein Freund von Arafat und er kennt ihn sehr gut. Arafat ist in sogenannten salafistisch-islamistischen Kreisen unterwegs, besucht Moscheen, die vom Verfassungsschutz beobachtet werden, weil dort in der Vergangenheit IS-Terroristen rekrutiert wurden.“ Das finde Bushido vielleicht gar nicht mehr so toll, meint Salomo. Für SadiQ sei das Grund genug, ihn als Satanisten zu bezeichnen, der seine Religion verkaufe. Zu behaupten, er werde jetzt von Arabern gejagt, sei völlig daneben. „Es gibt 400 Mio. Menschen auf dieser Welt, die sich als Araber bezeichnen. Der Typ behauptet, sie seien alle mit dieser menschverachtenden Ideologie einverstanden. (…) Wie viele Menschen flüchten denn aus den arabischen Ländern? (…).“
„Was für 11. September? Ich bin Osama, du Charlie“, diese Zeile verursacht verständnisloses Kopfschütteln. Als sei der 11. September, an dem 3.000 Menschen ermordet wurden nichts Schlimmes, behauptet er von sich, Osama zu sein, der den Terroranschlag gegen das World Trade Center 2001 angeführt hat. Mit „Charlie“ meint er den islamistisch motivierten Anschlag auf die Mitarbeiter der Satire-Zeitung Charlie Hebdo im Jahr 2015 in Paris. 12 Menschen wurden erschossen.
Es ist erschreckend, dass dieses und ähnliche Videos nach wie vor auf Youtube abrufbar sind und gelikt und gefeiert werden. Über 2,4 Mio. Aufrufe hat das Video und über 68.000 Likes. Und es ist kein Einzelfall. „Stellen wir uns mal vor, diese Leute hätten diese weißen Spitzkapuzen und diese weißen Roben vom Kukluksklan und würden rappen, hast jetzt Panickattacken, weil die Germanen dich jagen, was für Holocaust? Ich bin Adolf, du Judas‘. Würde das noch auf Youtube online sein?“. Alle Schüler*innen stimmen ihm zu, dass Youtube es sperren würde.
Aber warum das und nicht die Videos mit den antisemitischen Inhalten?
Weil der Youtube-Algorithmus es mit seinen 68.000 Likes als beliebtes Video erkennt, weil die Zuschauer*innen zu wenig über Antisemitismus sowie Nazi- und islamistische Symbolik aus anderen Ländern wissen und die Inhalte und Bilder somit nicht richtig einordnen können. Dabei kann man dem Algorithmus helfen, solche Videos zu erkennen und zu löschen: Die eigenen Sinne schärfen, verstehen, wo Antisemitismus beginnt, Videos mit „gefällt mir nicht“ markieren und die Videos melden mit dem Grund: „fördert Gewalt“.
Salomo verweist auf eine Studie der Universität Bielefeld im Jahr 2021, die belegen konnte: „Antisemitismus und Frauenfeindlichkeit ist deutlich höher bei jugendlichen Gangsterrap-Hörern – und wir reden hier von 56%, die antisemitische und frauenfeindliche Aussagen gut finden.
Er schließt seinen ergreifenden Vortrag damit ab, dass er den Schüler*innen von seinen Kindern berichtet. „Ich will nicht, dass sie meine Kinder Ähnliches erleben wie ich. Die einzige Möglichkeit, das zu verhindern oder eventuell eine Chance zu haben, ist es, euch aufzuklären, euch darauf aufmerksam zu machen, eure Wahrnehmung zu schärfen für Antisemitismus. Ich vertraue auch euch, ihr seid meine Hoffnung.“
Ben Salomo wird seine Vortragstour trotz zahlreicher Morddrohungen weiterhin in ganz Deutschland fortsetzen.