„Ich kann Ihnen nicht versprechen, dass Ihr Baby überleben wird!“

„Am Ende wird alles gut“: Ein Erfahrungsbericht über Komplikationen in der Schwangerschaft

„Ich kann Ihnen nicht versprechen, dass Ihr Baby überleben wird!“

Diesen Satz und diesen scheinbar unendlich andauernden Schockmoment wird keine werdende Mama jemals wieder vergessen.

Was Mütter und Väter in spe und Eltern im Hinblick auf die Gesundheit und das Wohlergehen Ihres Kindes erleben müssen, kann schlimm sein. Eine Frau erleidet eine Fehlgeburt, die nächste eine Frühgeburt, manche sogar beides und mehrfach. Eltern erfahren, dass ihr kleiner Schatz wider Erwarten eine schwere Erkrankung hat und sie müssen hilflos zusehen, wie er kämpft und kämpft und doch ein Engel wird. Nochmal andere haben Angst, dass sie ihr Baby nicht mal kennenlernen dürfen und es von ihnen geht, bevor es das Licht der Welt überhaupt richtig erblickt hat. Und wieder andere freuen sich auf die Geburt und halten schlussendlich ein totes Kind in den Armen.

Es ist Montagmorgen. Und täglich grüßt das Murmeltier: die morgendliche Übelkeit, das tägliche Erbrechen und die Kreislaufprobleme hast du gerade wieder hinter dir, und nun geht es ab auf die Arbeit. Die Schlaflosigkeit der Nacht steckt dir noch in den Knochen und die Montagsmotivation muss sich erst einmal entfalten, aber du bist positiv gestimmt, denn du freust dich auf die Arbeit und darauf, Ende der Woche Deutschland in Richtung Kanaren zu entfliehen. Da du schon ein paar Tage harmlose Frauenbeschwerden hast, die du aufgrund deiner Schwangerschaft und insbesondere vor deinem Urlaubsantritt sicherheitshalber lieber nochmal abklären lassen möchtest, rufst du von der Arbeit aus bei deiner Frauenärztin an und bittest um einen Termin. Du kannst direkt vorbeikommen. Im Wartezimmer schreibst du über WhatsApp mit ein paar Freundinnen, um die Zeit zu überbrücken, liest von Rihannas zweiter Schwangerschaft, überlegst was du noch packen musst und bist glücklich, weil es bald mit deinem Mann in Urlaub geht – die Welt scheint in Ordnung.

Die freundliche medizinische Fachangestellte ruft deinen Namen und begleitet dich ins Arztzimmer. Kurze Zeit später kommt deine Frauenärztin herein und nach einem kurzen, wie immer angenehmen Plausch, geht es ins Nebenzimmer auf den Stuhl, den alle Frauen so mögen. Die Spekulumsuntersuchung beginnt und ganz plötzlich ist die Ärztin deines Vertrauens sichtlich schockiert. Es herrscht Stille. Du bist irritiert und weißt nicht, was du gerade denken sollst. Sie fragt dich sehr besorgt „Ist etwas vorgefallen? Hatten Sie einen harten Bauch, Krämpfe, Schmerzen oder Wehen?“ Du antwortest: „Nein es ist nichts passiert. Ich hatte in dieser Nacht Bauchweh, aber das habe ich aufgrund anderer andauernder Beschwerden öfter!“ „Ihr Gebärmutterhals ist stark verkürzt, Ihr Muttermund ist schon deutlich geöffnet und ich sehe schon die Fruchtblase, die sich vorwölbt!“ erklärt dir die Frauenärztin ruhig, aber sehr besorgt. Du hörst, was sie sagt, aber du verstehst es nicht, denn dir geht es doch gut soweit. Sie stützt und begleitet dich vorsichtig zur Liege. „Es tut mir leid, aber ich stehe gerade völlig auf dem Schlauch, bitte erklären Sie mir nochmal was los ist“, bittest du sie maßlos überfordert. Die Ärztin wiederholt, was sie dir bereits gesagt hat, diesmal aber zusätzlich mit einer klaren, aber bestimmten Aussage: „Ich kann Ihnen nicht versprechen, dass Ihr Baby überleben wird. Sie müssen sofort mit dem Rettungswagen ins Krankenhaus gebracht werden. Es kann zu einer Frühgeburt kommen und in der 22. Schwangerschaftswoche ist Ihr Kind noch nicht überlebensfähig. Bei der letzten Untersuchung, die noch nicht einmal 14 Tage her ist, war alles in Ordnung, es gab keine Anzeichen. Es tut mir leid. Ich wünsche Ihnen nur das Beste!“ Das hat gesessen, nun verstehst du den Ernst der Lage. Du stehst absolut unter Schock, beginnst innerlich panisch zu werden und erstarrst, während die Ärztin eine Angestellte bittet, sofort den Krankenwagen zu rufen. Wie kann so etwas passieren? „Ich habe mich nicht überanstrengt und es gab auch keine besonderen Vorkommnisse“, erklärst du ihr. „Manchmal ist es eine körperliche Ursache, zum Beispiel eine Bindegewebsschwäche. Die Spezialisten werden die Angelegenheit genau untersuchen. Ich drücke Ihnen die Daumen“, antwortetet sie sinngemäß. Das Becken hochgelagert, wartest du mit der Ärztin an deiner Seite, mittlerweile im CTG-Raum kurze Zeit und schon hörst du das Rettungsfahrzeug. Alles geschieht Schlag auf Schlag. Rettungssanitäter und Notarzt sind da und fragen, was geschehen ist. Da du neben dir stehst, überlässt du deiner Frauenärztin die Erläuterung der Situation. Gott, das darf doch alles nicht wahr sein! Passiert das gerade wirklich? Warum? Wie kann so etwas passieren? Was habe ich falsch gemacht? Ich dachte, alles wäre in Ordnung. Ich begreife es nicht. Warum? Warum? Und nochmal: Warum?

„Trauen Sie sich zu, zum Krankenwagen zu gehen?“, fragt dich einer der Rettungssanitäter. „Nein!“, hättest du sagen sollen! Im RTW liegend wirst du angebunden, bekommst eine Infusion gelegt und ab geht die Fahrt! Es ist laut, rattert und poltert an allen Ecken, du fühlst dich teilweise wie auf einem Karussell, dir ist speiübel und der Druck auf die Blase steigt kontinuierlich. Ein netter Rettungssanitäter sitzt neben dir und entschuldigt sich für den holprigen Transport. Du sprichst innerlich zu deinem Baby, streichelst deinen Bauch und sagst ihm, dass alles gut wird und ihr das zusammen überstehen werdet. Immer wieder versuchst du deine Familie telefonisch zu erreichen, vergebens, und das gerade jetzt. Du liegst da in diesem lauten Kasten, der gefühlt nie ankommt und fühlst dich so alleine. Du bist traurig, ängstlich und wütend. Es fühlt sich an, als würde ein Horrorstreifen laufen und du bist dir gerade nicht sicher, ob du Teil des Filmes bist oder du ihn gerade anschaust. Plötzlich vibriert das Handy, dein Mann und deine Schwester rufen zurück und versuchen die Situation zu begreifen.

Endlich angekommen folgt gleich eine erneute Untersuchung auf dem gynäkologischen Stuhl. Du wirst von einer sympathischen Ärztin begutachtet und machst dir Gedanken, weil sie so jung ist. Es werden Abstriche entnommen, um eine Entzündung, die die vorzeitige Muttermundsöffnung verursacht haben könnte, zu erkennen. Der Fruchtwasserabstrich war leicht positiv, was fehlerhaft sein oder auf eine undichte Fruchtblase hinweisen kann. Der Test soll am Folgetag wiederholt werden, die Ergebnisse der übrigen Abstriche dauern Tage. Weitere Informationen, die die Situation alles andere als erträglicher gestalten. Weiter geht es zum Ultraschall. Wenigstens scheint es dem kleinen Mann, der heute besonders aktiv ist, weil er sicher merkt, dass seine Mama völlig durch den Wind ist, gut zu gehen. „Sie haben Bettruhe, müssen sich schonen, liegen und dürfen maximal auf die Toilette und wieder zurück! Die Durchführung einer Cerclage, also der operative Verschluss des Gebärmutterhalses zur Verhinderung einer Frühgeburt, ist aktuell noch nicht möglich. Alles Weitere erklären Ihnen die Ärzte auf der Station!“ sagt die Ärztin sinnhaft.

Nun liegst du auf dem Flur der Schwangerenambulanz und wirst höflich mit bürokratischem Mist belästigt. Um dich herum Fotos von den zahlreichen putzigen und goldigen Babys, die gesund zur Welt gekommen sind. Du hast Angst und fragst dich, ob du und dein Mann wohl auch solche wunderschönen Fotos von eurem Baby haben werdet oder ob es nicht dazu kommen wird. Dein Handy vibriert und dein Mann sagt dir, dass er seine Arbeit vorzeitig beendet hat und auf dem Weg zu dir ist. Nach höflicher Nachfrage bei zwei verschiedenen Krankenschwestern musst du ihm mitteilen, dass er jetzt noch nicht kommen darf, weil die Besuchszeiten Corona bedingt immer noch eingeschränkt sind. Du bist wirklich stinksauer, absolut frustriert, traurig und fühlst dich ganz alleine. Auch als du mit Nachdruck auf die besondere Situation hinweist, juckt das vor Ort niemanden. Natürlich müssen sich die Krankenpfleger:innen an die Regularien halten, die „von oben“ vorgegeben werden, aber in so einer Lage interessiert dich das reichlich wenig. Du denkst dir: „Unmöglich, wie kann man so herzlos sein!“, beißt die Zähne aufeinander, ballst die Fäuste und überbringst deinem Mann die Nachricht.

Angekommen auf der Station arbeitest du weiterhin daran, alles zu verkraften und irgendwie Ruhe zu bewahren, was schier unmöglich erscheint. Du telefonierst nochmal mit deinem Mann und merkst, dass er aufgrund verschiedener Aussagen deinerseits und von deiner Familie verwirrt ist und die Situation noch nicht vollumfänglich begriffen hat. „Warum bist du so pessimistisch?“ fragt er. „Weil ich nicht weiß, ob unser Kind überlebt und ich nichts dagegen tun kann.“ Okay, jetzt ist er im Bilde.

In dir häufen sich Fragen über Fragen. Werde ich Wehen bekommen? Werde ich ein totes Kind oder ein Kind, das sowieso nicht überleben wird, gebären? Die Todesangst, die Angst, dass das Kind zu früh auf die Welt kommt und stirbt, sitzt tief. Du bist sehr verletzlich und merkst gerade wie unglaublich unbedeutend manche Dinge waren, über die du dich gestern noch aufgeregt hast.

Die nächsten Tage fühlen sich nicht nur wie eine Ewigkeit an, sondern sind auch sehr kräftezehrend und schwer auszuhalten. Bitterliches Weinen und lauthalsiges Schluchzen sind nicht mehr zu stoppen und brechen aus dir heraus. So oder so wird dir zu einer Operation geraten, da der bereits geöffnete Muttermund früher oder später eine Infektion mit sich bringen wird, die zu Wehen und eben zur verfrühten Geburt führen kann. Du sagst dir immer wieder „Bloß keine Wehen bekommen! Bloß nicht. Bitte lieber Gott, Bitte lass mich keine Wehen bekommen!“ Hier zwickt es, da drückt es, du bekommst Bauchweh und jedes Mal hast du Panik, dass es beginnende Wehen sein könnten, die eine Operation unmöglich machen und so verfrüht die Gesundheit deines Kindes gefährden. Horror, dieser Druck und diese Angst lassen dich verzweifeln. Du denkst dir immer wieder: „Bitte, bitte da oben, lass sich die Situation stabilisieren und bitte lass uns die OP ohne die Verletzung der Fruchtblase überstehen!“ Du nutzt mehrfach täglich alle Glücksbringer, die dein Mann finden konnte und sprichst immer wieder zu deinem Baby und all deinen verstorbenen Schutzengeln. Du betest und bittest auch die Menschen, die dir wichtig sind, darum. Präventiv erhältst du Antibiotika, da die Situation weiterhin „sehr kritisch“ ist und „wir im Falle einer bereits vorliegenden Entzündung keine Zeit verlieren dürfen“. Wie gut, dass die Abstriche verloren gingen, am nächsten Tag wiederholt werden mussten und die Ergebnisse nun nochmal länger auf sich warten lassen. Du bist ans Bett gefesselt, zu Ruhe verdammt, sitzt auf glühenden Kohlen und wärst so froh, wenn die Operation schon geglückt wäre, damit die größte und akuteste Gefahr erst mal ad acta gelegt werden kann. Naja es ist ein kleiner Trost, dass deine Familie dir tagtäglich die Hand hält, deine Freunde sich nach dir erkundigen und sowohl das Pflegepersonal als auch die behandelnden Ärzte sich einfühlsam und liebevoll kümmern, dir mit Rat und Tat kompetent zur Seite stehen und sich Zeit für dich nehmen.

Tage später ist es endlich soweit: Minuten fühlen sich wie Stunden an, und du wartest darauf, für die Operation abgeholt zu werden. Du betest nochmal mit aller Kraft und Zuversicht, sprichst zu deinem kleinen Sohn und sagst ihm, dass alles gut wird und ihr das gemeinsam schafft. Es liegt keine Entzündung vor, und es wird eine Cerclage mit totalem Muttermundsverschluss vorgenommen. Die Operation verläuft erfolgreich und die teilweise sehr chaotischen und ärgerlichen Zustände vor und nach der OP, die wohl dem Personalnotstand und der mangelnden Empathie vereinzelter Personen geschuldet sind, lassen wir mal außer Acht. Die Beschwerden nach dem Eingriff sind schmerzhafter als erwartet, und du stehst immer noch völlig neben dir. Du hast wieder Angst vor Wehen, da du beide Wehen hemmenden Mittel schon vor der Operation direkt wieder ausgeschieden hast. Jetzt heißt es erst einmal strenge Bettruhe mit Bettpfannenakrobatik. Du bist erschöpft, schlapp und müde, aber froh, dass die Operation geglückt ist. Die Blutungen, die immer wieder entstehen, sind teilweise „normal“ und hören nach wenigen Tagen auf. Schon jetzt beginnt wieder ein neuer Lebensabschnitt: vieles, was du bis zur Geburt noch geplant hast, ist hinfällig. Urlaube, Ausflüge, Veranstaltungen, alles passé. Sport, Arbeit oder Projekte am Haus – Fehlanzeige. „Jeder Tag zählt, Sie müssen viel liegen und sich schonen. Wir müssen über die 34. Schwangerschaftswoche kommen, dann können wir besser durchatmen!“, bekommst du erklärt. Alles, was dich anstrengt – ganz egal ob physisch oder psychisch – ist untersagt. Du musst jeglichem Stress aus dem Weg gehen und dich zurückhalten. Klingt entspannt, aber wie lenkt man sich ab, beschäftigt sich sinnvoll, fühlt sich wertvoll und gebraucht und geht einer Aufgabe nach, wenn man nicht arbeiten darf? Weder beruflich, noch privat. Selbst kleine Spaziergänge und leichte Haushaltstätigkeiten sind lange erst einmal tabu. Diese Umstellung ist gedanklich noch sehr weit entfernt und unvorstellbar für dich, weil du ein Mensch bist, der sehr aktiv ist und direkt „Hummeln im Hintern hat“, wenn er mal an einem Sonntag mehrere Stunden auf der Couch relaxt hat, aber du schaust nach vorne und glaubst fest daran, dass alles gut wird.

Monate später. Heute: Rückblickend brach eine neue Zeit heran, die sehr anders war, aber letztendlich diente dies der Schonung zum Wohle deines Kindes und das hatte oberste Priorität.

Dein Kind soll gesund und munter zur Welt kommen, das ist das Wichtigste. Nun bist du dankbar in der 38. Schwangerschaftswoche angekommen zu sein. Auch wenn es erneute Komplikationen gibt, denkst du positiv und bald ist es dann auch schon so weit. Deine Frauenärztin sagt „Ich hätte nicht geglaubt, dass wir es so weit schaffen!“ Es stimmt wohl: der Glaube kann Berge versetzen und auch das Glück hat uns einen großen Dienst erwiesen. Am Ende wird alles gut.

Abschließend wünschen wir allen Eltern, die aufgrund von Schicksalsschlägen, die die Gesundheit oder das Leben ihres Kindes gefährden und die schwere Zeiten durchmachen müssen von Herzen alles erdenklich Gute, viel Kraft, Optimismus, Glück und Durchhaltevermögen.

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