Heute ist Allerheiligen. Menschen im ganzen Saarland nutzen diesen stillen Feiertag, um sich mit der Familie zu treffen und auf Friedhöfen verstorbener Angehöriger zu gedenken. Linke politische Jugendorganisationen im Saarland stören sich daran, dass an Allerheiligen fast ganztägig öffentliche Sport- und Tanzveranstaltungen verboten sind. Ihnen geht es, wie sie sagen, um individuelle Freiheit und eine Trennung zwischen Staat und Kirche. Wie lassen sich in einer liberalen Gesellschaft „Tanzverbote“ rechtfertigen?
Es ist eine alte Forderung, die in Vor-Corona-Zeiten zur guten Karfreitagstradition von linken politischen Jugendorganisationen gehörte: die Abschaffung des sogenannten Tanzverbots. Nachdem die Forderung in Corona-Zeiten verstummte, kommt sie nun im Saarland wieder auf. Diesmal entzündet sich die Diskussion um das „Tanzverbot“ zur Abwechslung an Allerheiligen und weiteren kirchlichen Feiertagen im November, wie die Saarbrücker Zeitung berichtet: Die saarländischen Jungliberalen (Julis) fordern nämlich, das Tanzverbot abzuschaffen. Sie sehen in dem „veralteten Gesetz“ eine staatliche Bevormundung. Aus ideologischen Gründen werde die Freiheit jedes Einzelnen eingeschränkt, was die Jugend der großen Bürgerrechtspartei FDP natürlich in Alarmbereitschaft versetzt.
Jungsozialisten (Jusos), Linksjugend und Grüne Jugend schließen sich der Forderung an. Die Jusos erklärten gegenüber der Saarbrücker Zeitung, dass sie zwar christliche Werte schätzten, wir aber eine pluralistische Gesellschaft seien. Sie wiesen darauf hin, dass das „Tanzverbot“ bei christlichen Feiertagen gelte, allerdings nicht bei muslimischen oder jüdischen. Jeder solle für sich darüber entscheiden, ob er an bestimmten Tagen feiere. Wer könnte da noch widersprechen?
Was ist das „Tanzverbot“ und wann gilt es?
Bevor wir uns mit der Frage nach dem Sinn eines „Tanzverbots“ beschäftigen, wollen wir uns zunächst fragen, was es eigentlich beinhaltet und wann es gilt. Dazu werfen wir einen Blick in das saarländische Feiertagsgesetz (SFG), in welchem – wie sein Name schon andeutet – geregelt ist, welche (zwölf) Tage im Saarland staatliche Feiertage sind (§ 2 SFG).
In den folgenden Vorschriften (§§ 4 folgende SFG) sind dann eine Reihe von Verboten geregelt, die Freiheiten einschränken. So gelten beispielsweise nach § 4 SFG allgemeine Arbeitsverbote (eine staatliche Bevormundung, an der sich bislang – soweit bekannt – noch niemand gestört hat). Das saarländische Feiertagsgesetz sieht zudem an bestimmten Tagen Verbote für bestimmte Versammlungen, Veranstaltungen und Umzüge (§ 8 SFG) sowie für öffentliche Sportveranstaltungen (§ 9 SFG) als auch ein sogenanntes Tanzverbot (§ 10 SFG) vor. Der umgangssprachliche Begriff des „Tanzverbots“ ist dabei irreführend. Denn selbstverständlich ist es niemandem verboten, zu tanzen. Es geht lediglich um ein Verbot öffentlicher Tanzveranstaltungen.
„Tanzverbote“ gelten dabei keineswegs nur an Karfreitag (von Gründonnerstag 4:00 Uhr bis Karsamstag 24:00 Uhr) oder Allerheiligen (ab 4:00 Uhr), sondern auch an Heiligabend (24. Dezember, von 14:00 Uhr bis 24:00 Uhr). Am Totensonntag (letzter Sonntag vor dem ersten Adventssonntag) und am Volkstrauertag (zwei Sonntage vor dem ersten Adventssonntag) sind im Saarland öffentliche Tanzveranstaltungen zudem wie an Allerheiligen ab 4:00 Uhr verboten. Außerdem gibt es Einschränkungen an Allerseelen (2. November, bis 18:00 Uhr) sowie am Buß- und Bettag (von 4:00 Uhr bis 18:00 Uhr). Die Eingriffsintensität des letztgenannten „Tanzverbots“ ist dabei besonders gering, da der Buß- und Bettag bekanntlich (außerhalb Sachsens) gar kein arbeitsfreier Feiertag mehr ist und an einem Mittwoch zwischen 4:00 Uhr bis 18:00 Uhr gewöhnlich ohnehin kaum öffentliche Tanzveranstaltungen stattfinden.
An Karfreitag, an Allerheiligen und am Totensonntag sind darüber hinaus im Saarland öffentliche Sportveranstaltungen ganztägig verboten. An Heiligabend (ab 14:00 Uhr) und Allerseelen sowie am Buß- und Bettag (bis 11 Uhr) sind öffentliche Sportveranstaltungen zudem zeitlich nur eingeschränkt möglich.
Welchen Sinn hat das „Tanzverbot“?
Wozu nun diese ganzen Verbote? Alle Verbote des saarländischen Feiertagsgesetzes (und auch die Feiertagsgesetze der anderen Bundesländer) verfolgen letztendlich den Zweck, dass das Wesen und der Charakter eines bestimmten Feiertages nicht beeinträchtigt und gestört werden. So sind beispielsweise nach § 4 Absatz 2 SFG an Sonntagen und sämtlichen gesetzlichen Feiertagen grundsätzlich „alle öffentlich bemerkbaren Tätigkeiten verboten, die die äußere Ruhe beeinträchtigen oder dem Wesen des Sonn- oder Feiertages widersprechen“. Und nach § 11 SFG (Gestaltung der Veranstaltungen) ist bei nicht verbotenen Versammlungen und Veranstaltungen „auf das Wesen dieser Tage Rücksicht zu nehmen“.
Welchen Charakter haben nun Karfreitag, Allerheiligen und Co.? Feiertage wie Karfreitag, Allerheiligen, der Volkstrauertag oder der Totensonntag sind Gedenk- und Trauertage. An Karfreitag gedenken Christen dem Tod Jesu am Kreuz. In der katholischen Kirche gedenkt man an Allerheiligen – wie der Name schon sagt – aller Heiligen und an Allerseelen aller Verstorbenen. Der Totensonntag ist demgegenüber der evangelische Gedenktag für die Verstorbenen. Am Volkstrauertag gedenken wir der Opfer von Krieg und Gewalt.
Wäre es angemessen, wenn an solchen gesetzlichen, staatlichen Trauertagen tagsüber öffentliche Tanzveranstaltungen stattfinden? In Bezug auf Karfreitag, Volkstrauertag und Totensonntag sagt der Gesetzgeber in allen 16 Bundesländern: nein! Selbst in Berlin sind öffentliche Tanzveranstaltungen an diesen Tagen von 4:00 Uhr in der Früh bis 21:00 Uhr am späten Abend untersagt. Und in allen fünf Bundesländern, in denen Allerheiligen ein gesetzlicher Feiertag ist, gibt es grundsätzliche „Tanzverbote“ (wenn auch unterschiedlicher Länge). Und in den meisten Bundesländern gilt ein „Tanzverbot“ sogar an Heiligabend.
Wenn ein gesetzlicher Trauertag nicht zum Trauern, sondern für öffentliche Party- und Großveranstaltungen genutzt wird, konterkariert dies den Charakter des Feiertages. Er verliert seinen Sinn. Und ein Feiertag, der seinen Sinn nicht mehr erfüllt, kann abgeschafft werden.
Ist es zwingend, dass Tage wie Karfreitag, Allerheiligen oder der Totensonntag staatliche Feiertage sind? Nein. In den sehr viel religiöseren USA sind alle diese drei Tage beispielsweise keine (bundesweiten) gesetzlichen Feiertage. Braucht es zwingend „Tanzverbote“? Auch nein. Kann man sich darüber streiten, wann und wie lange „Tanzverbote“ gelten sollen? Ja, natürlich, schließlich gibt es ja auch unterschiedliche Regelungen in den verschiedenen Bundesländern.
Wenn wir uns aber dafür entscheiden, bestimmte Tage zu staatlichen Feiertagen zu machen und wenn diese Feiertage einen bestimmten Charakter haben, dann wäre es widersprüchlich, öffentliche Veranstaltungen zu erlauben, die dem Charakter des Feiertages widersprechen. Daher ist ein grundsätzliches Verbot bestimmter öffentlicher Veranstaltungen sinnvoll.
Warum ist Allerheiligen ein gesetzlicher Feiertag?
Die Kritiker der „Tanzverbots“ begründen ihre Forderung – wenig überzeugend – unter anderem mit der Trennung zwischen Staat und Kirche. Denn diese Begründung stellt nicht nur das „Tanzverbot“, sondern den Feiertag an sich infrage. Denn wenn Religion Privatangelegenheit ist und öffentliches und privates Leben strikt getrennt gehören, wie die saarländische Linksjugend gegenüber der Saarbrücker Zeitung erklärt, muss man dann nicht konsequenterweise auch die Abschaffung staatlicher religiöser Feiertage fordern?
Und wenn es den Kritikern des „Tanzverbots“ – wie Julis und Jusos versichern – nicht um die Infragestellung christlicher Traditionen, sondern lediglich um individuelle Freiheit geht, warum wird dann die Abschaffung des „Tanzverbots“ immer nur anlässlich von kirchlichen staatlichen Feiertagen, wie Karfreitag oder Allerheiligen, aber nie anlässlich des weltlichen Volkstrauertags gefordert?
Feiertage sind Teil unserer Kultur. Kein Feiertag hat eine Ewigkeitsgarantie. Unsere Feiertagskultur kann sich ändern. Manche Feiertage wie der Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober (seit 1990) oder der Volkstrauertag (seit 1952) sind relativ jung, andere haben eine sehr lange Tradition. Allerheiligen wird seit etwa 1.200 Jahren am 1. November begangen. Wir Menschen haben Beziehungen und Verbindungen zu anderen Menschen, die auch mit dem Tod nicht enden. Es ist gut, wenn es einige wenige Tage im Jahr gibt, an denen man sich als Gesellschaft Zeit dafür nimmt, gemeinsam Verstorbener zu gedenken und sich vielleicht auch die eigene Sterblichkeit bewusst zu machen. Tod und Trauer verschonen niemanden. Die Auseinandersetzung damit ist nicht veraltet, sondern zeitlos. Es sind Themen die keine Parteifarben und keine Religionen kennen. Dass Allerheiligen ein gesetzlicher Feiertag ist, ist daher sinnvoll. Und dass es Regelungen gibt, die dafür sorgen, dass solche Tage ihren besonderen Charakter nicht verlieren, auch – zumal die Freiheitseingriffe minimal sind. Und anders als die Grüne Jugend Saar behauptet, schreibt der Staat dadurch auch niemandem seine religiösen Ansichten vor.