Fürs Leben lernen

70 Marpinger Schüler:innen der Stufe 11 absolvieren 14-tägiges Sozialpraktikum

Emely Bürkle absolvierte ihr Praktikum bei der Lebenshilfe St. Wendel (Foto: Markus Mörsdorf)

Zwei Wochen eine ganz andere Welt entdecken und sich deren Herausforderungen stellen. Für die 70 Schülerinnen und Schüler der Klassenstufe 11 der Marpinger Gemeinschaftsschule bedeutete dies nicht die Reise in ferne Gegenden der Welt, sondern zu Menschen, deren Beeinträchtigungen eine besondere Zuwendung erfordern.

Seit über 10 Jahren ist das Sozialpraktikum in der Klassenstufe 11 zum Pflichtprogramm der angehenden Abiturienten und Abiturienten der Marpinger Schule. „Wir waren ja fast alle etwas zurückhaltend, was die Verpflichtung anging, zwei Wochen die Schulbank mit dem Seniorenheim, einer Reha, der Lebenshilfe zu tauschen“, erklären Tabea, Moritz und Emely. Doch nach den zwei Wochen sind sich alle einig: „Man lernt etwas dazu, was so auf dem Stundenplan nicht steht: Einführungsvermögen, Geduld, die Welt aus der Perspektive beeinträchtigter Menschen zu betrachten“, ergänzt Emely. Denn Treppen, Bordsteine, der Straßenverkehr, alltägliche Routinen, wie sich selbst versorgen, einkaufen, selbstständig zu lernen, sind keine Selbstverständlichkeiten, wie die 70 jungen Leute es in den zwei Wochen vor den Herbstferien erfahren haben. Mit ihrer jugendlichen Offenheit, viel Einfühlungsvermögen und selbstkritischer Überlegung meisterten sie manch heikle Situation. Doch auch der gesellschaftskritische Blick wurde gefördert.

Florian und Darja waren 14 Tage bei der St.Wendeler Tafel eingebunden. „Wie wir mit Lebensmitteln umgeht, ist schon erschreckend“, kritisiert Florian. „Noch trauriger ist es aber“, führt Darja fort, „wie Menschen an den Rand gedrängt und bewusst oder unbewusst übersehen werden.“ Mit ihrem Engagement bei der Tafel, das für Darja auch über das Praktikum hinausgeht, wollen sie auch ein Zeichen setzen, dass alle Menschen einen würdevollen Umgang verdienen.

Florian Fries sortiert Waren für die St. Wendeler Tafel (Foto: Markus Mörsdorf)

Das ist auch die Erkenntnis, die Tim aus dem zwei Wochen im WZB Urexweiler mitnimmt: „Regelmäßige Arbeitszeiten, das Gefühl, gebraucht und wertgeschätzt zu werden ist für alle Menschen wichtig“. Er betreute 14 Tage lang motorisch und geistig beeinträchtigte Menschen und machte die Erfahrung, dass „gute Arbeit“ abwechslungsreiche, sinnstiftende Arbeit und ein bereichernder sozialer Kontakt bedeutet.

 

Tabea, die ihr Praktikum im Pflege- und Altenheim Sulzbach-Neuweiler absolvierte, betont v.a., dass man lernen muss, Hilfe zu geben, sensibel reagieren und auch selbst Hilfe annehmen zu können. „Das ist vielleicht nicht nur eine Lebensphilosophie für das Alter, sondern für alle Menschen bzw. das ganze Leben“, ergänzt sie im Anschluss.

Für Masa fanden die zwei Wochen auf gewohnten Terrain statt. Seit einiger Zeit bereits engagiert sie sich auch außerhalb der Schule im Pflegeheim der Steyler Missionare in St. Wendel. „Wenn die Patres von ihren Erfahrungen in den Missionsstationen in aller Welt erzählen, spürt man, welche Energie sie für ihre Überzeugung aufgebracht haben“, berichtet die Schülerin. Erstmals in ihrem Leben hatte sie auch Kontakt zu Demenzkranken, was ihren Blick auf das Leben grundsätzlich gewandelt hat.

Elisa, Marisol und Nike wählten eine andere Gruppe aus: Sie waren in Kindertagesstätten und Ganztagesschulen eingesetzt und erfuhren, welche Herausforderung es ist, sich auf die vielen unterschiedlichen Kindercharaktere einzustellen. „Man braucht dafür ein großes Einfühlungsvermögen und auch sehr viel Geduld“, was auch Vanessa bestätigt, die im Reittherapiezentrum in Grügelborn Erfahrungen sammelte: „Jungen und Mädchen mit Beeinträchtigungen benötigen zwar länger, doch auch sie machen Fortschritte und zeigen ihre Freude und ihren Stolz umso schöner, wenn es geklappt hat“. Eher ungewöhnlich war für Daria der ritualisierte Tagesablauf in der katholischen Kindertagesstätte Uchtelfangen: „Irgendwie ist es doch cool, wenn alle gemeinsam am Morgen oder vor dem Essen beten“, erklärt sie. Das gebe den Kindern einen klaren Rahmen und bilde ein Gemeinschaftsgefühl.

Auch Moritz wurde mit ungewohnten Situationen konfrontiert. In der Reha Klinik Illingen traf er auf Menschen in existentiellen Lebenssituationen und zeigt großen Respekt davor, wie diese damit umgehen. Gelegentlich stieß er dabei an seine Grenzen und kam in Gewissenkonflikte, als Praktikant einem Patienten nicht direkt helfen zu dürfen.

Natürlich konnten die 70 Marpinger Schülerinnen und Schüler in den zwei Wochen nur einen kleinen Einblick erhalten. Doch es geht beim Sozialpraktikum ja auch nicht um die Berufswahl, sondern und die Erfahrung im Umgang mit Menschen in ganz besonderen Situationen und nicht zuletzt um sie selbst. Daher steht die Eigenreflexion nach dem Praktikum im Mittelpunkt. Einen differenzierten schriftlichen Bericht muss jede/r abgeben, worin auch brenzlige, herausfordernde, ethisch unklare Situationen aufgegriffen und reflektiert werden sollen. Durch die Präsentation vor der Klasse lernen die MitschülerInnen die Erlebnisse der anderen kennen und bekommen die Gelegenheit, sich hierüber eigene Gedanken zu machen.

Der schulische Rahmen dafür ist der Ethik- und Religionsunterricht. Die Wiederaufnahme des Sozialpraktikums an der Gemeinschaftsschule Marpingen nach zwei Jahren Corona-Pause ist ein großer Erfolg und wird auch zukünftigen Marpinger Abiturienten eine Chance bieten, sich und die Gesellschaft außerhalb des engeren schulischen Rahmens zu reflektieren. „Das ist eines unserer besonderen Merkmale“, betont der neue Schulleiter Michael Sticher abschließend: Nicht nur auf die Fächer und Noten zu schauen, sondern den ganzen Menschen und die Gemeinschaft im Blick zu haben.

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